Die syrische Armee näherte sich von Süden, aus Richtung Palmyra und von Westen der Stadt Deir Ezzor. Am 5. September war es endlich soweit: Die Garnison von Deir Ezzor und die Stadt selbst wurden aus der Umklammerung des IS befreit. Wenige Tage später durchbrach die Armee auch den Ring um den Flughafen. Die ersten Hilfslieferungen sind angekommen. Die Erleichterung der Menschen in Deir Ezzor machte sich in Straßenfeiern Luft. Der Alptraum war vorüber, der Mangel würde ein Ende haben und es gab nicht mehr die Gefahr, dass die Stadt vom IS überrannt würde.
Jahrelang musste die kleine Garnison den Angriffen des IS standhalten, musste sich auch mal aus der Stadt zurückziehen, es gab Kämpfe selbst um den Friedhof – eine blutige Realität, die sich in den kommenden Filmen über die Belagerung nur wird erahnen lassen.
Heute ist der IS als Organisation, die in der Lage ist, Städte und weite Gebiete zu besetzen und zu verwalten, geschlagen. Jetzt werden im Norden Syriens die Weichen für die weitere Entwicklung des Landes gestellt. Im Fadenkreuz: Bukamal (oder auch Abu Kamal), die Grenzstadt zum Irak.
Seit Monaten arbeitet die syrische Armee daran, die Grenzen zu sichern und den Zufluss von Kämpfern und Waffen nach Syrien zu verhindern. Zuletzt gelang das gemeinsam mit Hisbollah und der libanesischen Armee an der Grenze zum Libanon. Es liegt nahe, dass das nächste Ziel der Armee heißen wird: Bukamal. Und diese Stadt hat auch für die USA strategische Bedeutung. Die Kontrolle über den Grenzort zum Irak durch die USA und ihre Verbündeten würde die wirtschaftliche und militärische Entwicklung Syriens schwächen. So lassen die USA ihre Verbündeten weiter nach Osten vorrücken.
Als die Luftwaffe der USA und die kurdischen Kämpfer der SDF begannen, den IS aus Raqqa zu vertreiben, war für die SDF der Grund: „Eine sichere Entwicklung in Rojava ist nicht möglich, solange der IS in Raqqa herrscht …“ Je weiter die SDF ihren Kampf nach Osten vorantreiben, umso weniger überzeugt diese Begründung.
Die Befreiung von Deir Ezzor stellt eine Zäsur im Krieg gegen Syrien dar. Bisher verdeckte der Kampf gegen den IS manch andere Konflikte. Jetzt steht die Kontrolle über die Grenze zum Irak und die Entwicklung im Norden Syriens im Mittelpunkt.
Spätestens wenn der IS aus Raqqa vertrieben ist, wird es für die PYD, der zum SDF gehörenden politischen Kraft, an der Zeit sein, Farbe zu bekennen. Wird sie das vorgeblich „taktische“ Bündnis mit den USA aufkündigen und gemeinsam mit der syrischen Armee und ihren Verbündeten die Reste des IS vertreiben? Oder wird sie die militärische, ökonomische und politische Zusammenarbeit mit den USA fortsetzen, wie es der Sprecher der SDF Talal Silo in einer umstrittenen Erklärung beschrieb:
„Es wird langfristige militärische, ökonomische und politische Übereinkommen zwischen den USA und der Führung von Nord-Syrien geben“. Jenseits von papierenen Erklärungen haben die USA mit ihren militärischen Basen in Rojava schon längst Fakten vor Ort geschaffen.
Doch die Entwicklungen im Norden Syriens sind keine Einbahnstraße. Mit der Befreiung Bukamals wird die syrische Armee ihrerseits Fakten schaffen. Der Status von Nordsyrien wird sich damit nur durch Verhandlungen zwischen Regierung und der PYD klären lassen, im Rahmen eines politischen Prozesses und mit Zugeständnissen – von beiden Seiten.
Die USA haben dazu ihre eigenen Vorstellungen und Interessen. Vor einem Jahr hatten sie die syrische Armee bei Deir Ezzor bombardiert und damit dem IS ermöglicht, einen wichtigen Berg zu besetzen. Jetzt hat die syrische Armee den IS auch von dieser Stelle vertrieben.