Die Dubliner Aussperrung von 1913

Irlands Verdammte

Die Dubliner Aussperrung von 1913 war einer der größten Arbeitskämpfe in der irischen Geschichte. Der Konflikt zwischen rund 20.000 Arbeitern und 300 Unternehmern hielt vom 26. August 1913 bis zum 18. Januar 1914 an. Seine Kernforderung bestand im Recht auf gewerkschaftliche Organisation.

Die Lage in den Mietskasernen Dublins war katastrophal. Ungelernte Arbeiter konkurrierten täglich um niedrigst bezahlte Arbeit.

James Larkin, Hafenarbeiter aus Liverpool, wurde 1907 als Gewerkschafter der National Union of Dock Labourers (NUDL) nach Belfast entsandt und organisierte hier einen Hafen- und Transportarbeiterstreik. Von dort nach Dublin transferiert, machte er sich daran, die ungelernten Arbeiter gewerkschaftlich zu organisieren. Die NUDL fürchtete den Arbeitskampf mit den mächtigen Dubliner Unternehmern und so gründete Larkin die Irische Transport- und Arbeitergewerkschaft (ITGWU), die erstmals neben gelernten auch ungelernte Arbeiter vertrat. Die ITGWU verbreitete sich mit wachsenden Erfolgen und zwischen 1911 und 1913 stieg ihre Mitgliederzahl zum Entsetzen der Unternehmer auf 10.000.

Neben Larkin spielte der Marxist James Connolly im Aufstieg einer organisierten Arbeiterbewegung in Irland eine entscheidende Rolle, der neben den Arbeitskämpfen sein Augenmerk auf eine sozialistische Befreiung vom britischen Kolonialjoch richtete. 1896 rief Connolly die marxistisch orientierte Irish Socialist Republican Party und die erste regelmäßig erscheinende sozialistische Zeitung Irlands, „The Workers‘ Republic“, ins Leben. Als die Massenaussperrung in Dublin drohte, schickte Larkin nach Connolly, der zu dieser Zeit in Belfast war, um ihn bei der Organisation von Massenmeetings der ITGWU zu unterstützen, gemeinsam wurden sie zu den Führern des Ausstandes. Während der knapp dreiwöchigen Inhaftierung Larkins übernahm Connolly alleinverantwortlich die Leitung des Streiks.

Zu ihren Gegenspielern gehörte William Martin Murphy, Großunternehmer und prominentester Vertreter der irischen Bourgeoisie. Murphy verstand die Bedrohung, die von dem von Larkin und Connolly entwickelten neuen Gewerkschaftsgeist ausging. Im August 1913 entließ Murphy hunderte Beschäftigte, die er der ITGWU-Mitgliedschaft verdächtigte, und stellte den Arbeitern ein Ultimatum zwischen Gewerkschaftszugehörigkeit und ihren Arbeitsplätzen. Die Mitglieder von 37 Gewerkschaften weigerten sich, dieses Dokument zu unterzeichnen. Damit begann die Aussperrung in Dublin. Alle Bemühungen britischer Gewerkschaften, eine Einigung auszuhandeln, wurden von den Unternehmern sabotiert. Ein Übergriff der Polizei am 31. August 1913 führte zu zwei Toten und hunderten Verletzten. Vor allem auf Betreiben von Connolly hin wurde zum Schutz der streikenden Arbeiter die Irish Citizen Army (Irische Bürgerarmee) gegründet, die auch noch beim Osteraufstand 1916 eine wichtige Rolle spielen sollte.

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Gewerkschaftsführer „Big“ Jim Larkin bei einer Streikkundgebung 1913. (Foto: gemeinfrei)

Connolly und Larkin appellierten letztlich erfolglos in England für Solidaritätsstreiks durch die britische Arbeiterklasse als einzige Möglichkeit, einen Sieg der irischen Arbeiter herbeizuführen. Ohne diese Unterstützung der britischen Arbeiter musste sich Dublin nach fünf Monaten heroischen Kampfes geschlagen geben. Die meisten Arbeiter, viele kurz vor dem Verhungern, kehrten an ihre Arbeitsplätze zurück und verpflichteten sich, nicht der ITGWU beizutreten. Larkin ging 1914 in die USA und Connolly wurde 1916 als einer der Führer des Osteraufstands hingerichtet. Viele Arbeiter, die unwiderruflich auf der schwarzen Liste standen, traten in die britische Armee ein, wurden so Kanonenfutter im Ersten Weltkrieg.

Um die Jahre von 1907 bis 1914 geht es in James Plunketts Buch „Manche, sagt man, sind verdammt“, 1970 von Annemarie Böll ins Deutsche übersetzt. Der Roman bringt diesen historischen Moment Lesern auch heute noch eindrucksvoll und plastisch nahe. Er gehört zu den großen Werken der irischen Literatur.

Manche, sagt man, sind verdammt

Der kollektive Held des Romans ist die irische Arbeiterklasse, die in einen neuen Abschnitt ihres Klassenkampfes eintritt. Als koloniales Subjekt befand sich die Bourgeoisie 1907 ebenfalls in direkter Abhängigkeit von Britannien. Doch beziehen die Bourgeoisie und der Klerus, denen Leser in mehreren Figuren begegnen, unterschiedliche Positionen bezüglich dieser Unabhängigkeit, gleichwohl die Befreiung Irlands selbstverständlich auch in ihrem Interesse war. William Martin Murphy zum Beispiel lehnt die Erhebung in den Adel ab. Dennoch sind sie sich im Großen und Ganzen darüber einig, dass sie in einem Klassenkampf gegen die Arbeiter stehen und selbst von deren Elend profitieren. Später würde diese Klasse als Staatsmacht, nach der unvollständigen Befreiung des Landes, im Bürgerkrieg gegen die Arbeiterklasse antreten. Wenn es darum ging, die Arbeiterklasse zu bezwingen, war die nationale Frage für diese Bourgeoisie zweitrangig.

Ein Hauptvertreter der Bourgeoisie in diesem Roman ist Mr. Bradshaw, dem einige der Mietskasernen gehören und der gnadenlos mit seinen Mietern und Angestellten verfährt. Polizei und Klerus unterstützen ihn dabei.

Obwohl es innerhalb der Bourgeoisie einige Figuren gibt, die das absolute Elend dieser Klasse begreifen, gelingt es diesen nicht, über ihren Schatten zu springen und sich offen auf die Seite der Arbeiter zu begeben oder die Eigentumsverhältnisse infrage zu stellen. Der Klerus vergibt Almosen, jedoch nicht an streikende Arbeiter und deren Kinder: „Wir ermutigen sie, ihren Arbeitgebern Trotz zu bieten.“

Auf der Seite der Arbeiterklasse stehen Bob und Mary Fitzpatrick, Bernard Mulhall, die Hennessys, die Farrells sowie Rashers Tierney, die ein umfassendes Panorama verschiedener Bewusstseinsstadien, Alter und Umstände lebendig und authentisch verkörpern. Während der Monate andauernden Aussperrung entwickelt sich unter ihnen eine neue Klassensolidarität. Ihr entschlossener Widerstand gegen die Unternehmer bedeutet für sie eine unvorstellbare Verelendung.

In dem Roman werden die Vorgeschichte und das Nachwirken der Ereignisse aus Sicht von Vertretern dieser unterschiedlichen sozialen Klassen dargestellt. Obwohl keine einzelnen ‚Helden‘ dominieren, werden die Figuren differenziert und feinfühlig behandelt. Jede einzelne Figur offenbart ihre Klassenzugehörigkeit in ihren individuellen Lebensumständen und Auffassungen. Das Geschehen wird parallel aus der Perspektive aller drei Gruppen erzählt.

Die Mehrheit der Arbeiter gelangt in diesem Buch durch den Streik zu einem Klassenstandpunkt. Pat Bannister bringt einen breiteren sozialistischen Standpunkt zum Ausdruck. Doch selbst er erwähnt Connolly nur einmal beiläufig und suggeriert historisch falsch, dass sich Connolly zur Zeit der Aussperrung nicht in Irland aufhielt. Sein Marxismus wird auch eher auf eine stereotype Vorstellung reduziert, „dass wir alles gemeinsam haben, auch unsere Frauen“.

Zum Lumpenproletariat gehört Rashers Tierney, Straßenmusikant und Bettler, der teilweise als ungelernter Arbeiter Anstellungen findet. Die Hennessys können aus der Sorge um ihre Kinder dem Druck der Unternehmerklasse nicht standhalten. Doch in ihrer Mehrheit beweisen die Entrechteten eine Menschlichkeit, Herzensgüte und gemeinsame Verantwortung, die den Werten der Bourgeoisie diametral entgegensteht.

Als die ITGWU das Solidaritätsangebot englischer Arbeiter annimmt, Dubliner Kinder für die Dauer des Streiks nach England zu verschicken, spitzt sich der Konflikt im Klerus zwischen Giffley und O’Connor scharf zu. O’Connor will diese Aktion unter allen Umständen unterbinden, während Giffley auf der Seite der Arbeiterfamilien steht und diese große Entlastung befürwortet. Dieser Plan wurde 1913 tatsächlich von der Katholischen Kirche unter dem Vorwand verhindert, dass die katholischen Kinder in Britannien protestantischen oder atheistischen Einflüssen ausgesetzt wären.

Künstlerisch gelungen gestaltet Plunkett auch Massenszenen, bei denen Leser die Stimmung unter den Dubliner Arbeitern miterleben. Ein Beispiel dafür ist die Szene, in der die Arbeiter unter Larkins Führung aus Protest gegen die über 160 Streikbrecher, die mit einem Dampfer aus Liverpool gebracht werden, den Dubliner Hafen stilllegen. Hier wird äußerst plastisch ein Bild des Dubliner Proletariats in einem entscheidenden Moment dargestellt, wo ihr Führer Larkin auftritt. Die Kraft der Klasse wird im Bild der stillstehenden Kräne und des Bootes mit Larkin wunderbar erfasst. Plunkett stellt die Masse in einem Moment der Stärke dar, der Zuversicht vermittelt. Dieses Bewusstsein und diese Zuversicht durchziehen den ganzen Roman, trotz aller Rückschläge, trotz Hunger und Not. „Was Larkin sagte, war nicht zu verstehen, aber die Wirkung seiner Worte wurde bald deutlich. Der zunächst stehende Kran vollendete seinen Halbkreis und blieb stehen. Dann tat der zweite das gleiche. Dann, in Zeitabständen, die immer kürzer wurden, blieb ein Kran nach dem anderen stehen: die Botschaft wurde von einer Mannschaft an die andere weitergegeben. Schweigend sahen die Männer zu, wie die Lähmung sich ausbreitete.“

Von allen Arbeitern sind die Leser mit der Familie Fitzpatrick am vertrautesten. Bob wurde durch den Einfluss von Mrs. Bradschaw an seinem Arbeitsplatz zum Vorarbeiter befördert. Dennoch bleibt er, wie auch Mary, unverrückbar in seiner Solidarität mit den Streikenden: „Als die anderen ausgesperrt wurden, konnte ich nicht bleiben. Ich konnte es einfach nicht.’ ‚Ich weiß‘, sagte sie.“

Plunkett steht in diesem Roman fraglos auf der Seite der Arbeiterklasse. Um so verwunderlicher, dass die bewussten Gewerkschafter, die im Zentrum der Handlung stehen, keine Verbindung zu Connolly und dessen politischer sowie gewerkschaftlicher Arbeit aufweisen. Trotz der engen Beziehungen zwischen Plunkett und Larkin ist es dennoch überraschend, dass Connolly nahezu völlig ausgeklammert wird. Und obwohl Larkin und einige der Figuren aus der Arbeiterklasse eindeutig Sozialisten sind, findet auch die von Connolly gegründete Irish Socialist Republican Party keine Erwähnung. Der Schwerpunkt liegt auf dem gewerkschaftlich organisierten Kampf ohne eine Theorie, die diesen umfasst und darüber hinausgeht. Die einzige Erwähnung von Connolly durch Pat Bannister verrät eine eher flüchtige Bekanntschaft. Dadurch verschleiert der Roman, dass es in der beschriebenen Zeit auch politische Kämpfe für nationale Unabhängigkeit und sozialistische Befreiung gab. So gibt es außer der alten Haushälterin Miss Gilchrist keine weiteren nationalistischen Stimmen unter den Arbeitern. Plunketts Arbeiter zeigen kein offenkundiges Interesse an der Selbstverwaltung ihrer Nation. So erscheint die Aussperrung als reiner Gewerkschaftskampf auf Kosten ihrer Rolle in der Entwicklung des irischen revolutionären Bewusstseins. Das äußert sich zudem in der Tatsache, dass zwar die Gründung der Irish Citizen Army erwähnt wird, doch ihre weitere Entwicklung und wichtige Rolle im nur drei Jahre später folgenden Osteraufstand nur für eingeweihte Leser klar ist. Für Connolly und seine Genossen war jedoch klar, dass es keine soziale Befreiung ohne die nationale geben kann und keine nationale Befreiung ohne die soziale: „Die Sache von Labour ist die Sache von Irland, die Sache von Irland ist die Sache von Labour. Sie sind untrennbar verbunden. Irland strebt nach Freiheit. Labour will, dass ein freies Irland die alleinige Herrin ihres eigenen Schicksals ist, höchster Eigentümer aller materiellen Dinge in und auf ihrem Boden.“

Dennoch legt das Buch beredtes und inspirierendes Zeugnis über die Stärke des irischen Proletariats in einem ihrer ersten großen Klassenkämpfe ab. Es enthüllt Lesern ein Klassenbewusstsein, das sich noch in den damals bevorstehenden politischen Befreiungskämpfen, im Osteraufstand, im Unabhängigkeitskrieg sowie im Bürgerkrieg beweisen musste und das heute noch entscheidend ist. Auch in der Gegenwart zählen viele Iren, vor allem Arbeiter und Gewerkschafter, „Manche, sagt man, sind verdammt“ zu einem der wichtigsten und besten Bücher der irischen Literatur.

James Plunkett
Manche, sagt man, sind verdammt
Deutsch von Annemarie Böll
Antiquarisch erhältlich
1980 von RTE als siebenteilige Serie verfilmt, mit Peter O‘Toole als Jim Larkin

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"Irlands Verdammte", UZ vom 11. August 2023



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