Friedrich Engels und die Schwestern Mary und Lizzie Burns

Irischer Freiheitskampf

Engels hatte eine sehr persönliche Beziehung zu Irland. Kurz nachdem sein Vater ihn 1843 in seine Textilfabrik nach Manchester schickte, lernte er die 20-jährige Mary Burns kennen, Tochter eines irischen Färbers. Schon 1845 fuhren sie gemeinsam nach Brüssel, wo sie an politischen Versammlungen teilnahmen. Hier trafen sie Engels’ Freund Georg Weerth, der meinte, Mary wäre Obstverkäuferin, laut anderen war sie Fabrikarbeiterin, denkbar, dass sie beides war. Klar ist, dass sie eine irische Patriotin war, deren Familie aus Irland kam, die gezwungen war, in den satanischen Mühlen von Manchester zu arbeiten.

Engels schrieb in seinem Jugendwerk „Die Lage der Arbeiterklasse in England“ (1845): „Die rasche Ausdehnung der englischen Industrie hätte nicht stattfinden können, wenn England nicht an der zahlreichen und armen Bevölkerung von Irland eine Reserve gehabt hätte, über die es verfügen konnte. Der Irländer hatte daheim nichts zu verlieren, in England viel zu gewinnen, und seit der Zeit … die niedrigste Klasse der Bevölkerung“ gebildet.

Die Iren brachten aber auch eine Tradition des Kampfes mit. Viele engagierten sich in der Gewerkschaftsbewegung und Feargus O’Connor, von Marx und Engels wegen seines Klassenverständnisses hoch geschätzt, wurde 1847 als erster Chartist ins Parlament gewählt. Mary Burns war maßgeblich daran beteiligt, Engels die schockierenden Bedingungen des Proletariats von Manchester nahezubringen. Sie kannte die Zustände in den Fabriken und in den von Typhus und Cholera befallenen Hütten. Diese Lage in den Proletarierfamilien führte Engels viel später in seinem Werk „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ (1884) zur Feststellung, „… seitdem die große Industrie die Frau aus dem Hause auf den Arbeitsmarkt und in die Fabrik versetzt hat und sie oft genug zur Ernährerin der Familie macht, ist dem letzten Rest der Männerherrschaft in der Proletarierwohnung aller Boden entzogen – es sei denn etwa noch ein Stück der seit Einführung der Monogamie eingerissenen Brutalität gegen Frauen“.

Engels begriff Ehe und Familie als direkt mit dem herrschenden Klassensystem verbunden, in dem die Akkumulation von Reichtum zu Ehe, strikter Monogamie von Frauen und weiblicher Unterwerfung führte. „… wie die Reichtümer sich mehrten, gaben sie einerseits dem Mann eine wichtigere Stellung in der Familie als der Frau und erzeugten andrerseits den Antrieb, diese verstärkte Stellung zu benutzen, um die hergebrachte Erbfolge zugunsten der Kinder umzustoßen. Dies ging aber nicht, solange die Abstammung nach Mutterrecht galt. (…) Der Umsturz des Mutterrechts war die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts. Der Mann ergriff das Steuer auch im Hause, die Frau wurde entwürdigt, geknechtet, Sklavin seiner Lust und bloßes Werkzeug der Kinderzeugung.“ Engels beschloss, nie zu heiraten. Er lebte jedoch zunächst mit Mary Burns und nach ihrem frühen Tod mit ihrer Schwester Lydia (Lizzie) als Lebensgefährtinnen. So bestritt er ein Doppelleben. Offiziell mietete er als Fabrikherr ein Herrenhaus. Privat lebte er in einem unter einem Pseudonym für Mary und Lizzie gemieteten Vorstadthäuschen, seinem eigentlichen Zuhause.

481101 Lizzie Burns c1865 - Irischer Freiheitskampf - Geschichte der Arbeiterbewegung, Marxismus - Kultur
Lizzie Burns

1856 besuchten Engels und Mary gemeinsam Irland. In dem Brief vom 23. Mai an Marx schrieb er: „Man kann Irland als die erste englische Kolonie ansehn“ und „Ich habe nie geglaubt, daß eine Hungersnot eine so handgreifliche Realität haben könne.“ Er kommentierte weiter: „Sie sind künstlich, durch konsequente Unterdrückung, zur vollendet verlumpten Nation geworden …“
Sowohl Mary als auch Lizzie engagierten sich sehr für irische Befreiung und unterstützten den Kampf der Fenier für ein unabhängiges Irland. Mary war erst vierzig Jahre alt, als sie am 8. Januar 1863 plötzlich starb. Zwanzig Jahre war sie Lebensgefährtin von Engels. An Engels‘ Erschütterung über Marx‘ fehlendes Mitgefühl für seinen Verlust zerbrach fast deren Freundschaft. Nach Marys Tod wurden Engels und Lizzie ein Paar und bezogen ein kleines Reihenhaus. Hier besuchte sie Marx mehrmals, ebenso wie seine Tochter Eleanor. Eleanor verband eine tiefe Freundschaft mit Lizzie, durch sie wurde auch sie zur irischen Patriotin.

Als Engels in den Ruhestand ging, gab er seine bürgerliche Residenz völlig auf. Lizzie war Mitglied der Fenian Society, und Engels beschieb sie als „irische Revolutionärin“. Wahrscheinlich trat Lizzie auch der Ersten Internationale kurz nach deren Gründung 1864 bei. Als die Polizei in Manchester 1867 zwei Fenier, Oberst Kelly und Hauptmann Deasy, verhaftete, war Lizzie an deren Rettungsplan beteiligt. Paul Lafargue zufolge hat sie sie vielleicht sogar kurzzeitig versteckt. Dennoch wurden sie wieder aufgegegriffen und nach der Hinrichtung der beiden Fenier schrieb Engels an Marx: „Die Tories haben also wirklich gestern morgen … den definitiven Trennungsakt zwischen England und Irland vollzogen. Das einzige, was den Feniern noch fehlte, waren Märtyrer.“

Engels und Marx waren entschiedene Befürworter der irischen Emanzipation, aber keine Anhänger der Fenier. In den Haushalten von Marx und Engels/Burns trugen die Frauen zur Trauer für die Fenier grüne Bänder mit schwarzer Farbe. Im September 1869 verbrachten Lizzie, Engels und die 14-jährige Eleanor Marx drei Wochen in Irland. Die Forderung nach einer Amnestie für die in britischen Gefängnissen festgehaltenen Fenier hatte die Befreiungsbewegung angefeuert. Zehntausende Menschen gingen auf die Straßen von Dublin und Limerick. Engels plante eine umfassende Studie über Irland und begann, dessen Geschichte eingehender zu erforschen.

Lizzie und Engels zogen im September 1870 nach London, nur zehn Gehminuten von Marx entfernt. Ihr Haus wurde zu einem Zentrum der sozialistischen Bewegung. Lizzie wurde jedoch krank und starb am 12. September 1878. Engels heiratete sie Stunden vor ihrem Tod. Ihre Sterbeurkunde vermerkt sie als ehemalige Baumwollspinnerin. Engels schrieb am 8. März 1892 an Julie Bebel: „Auch meine Frau war echtes irisches Proletarierblut, und das leidenschaftliche Gefühl für ihre Klasse, das ihr angeboren war, war mir unendlich mehr wert und hat mir in allen kritischen Momenten stärker beigestanden, als alle Schöngeisterei und Klugtuerei der ‚jebildeten‘ und ‚jefühlvollen‘ Bourgeoistöchter gekonnt hätten.“

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"Irischer Freiheitskampf", UZ vom 27. November 2020



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