Razzia gegen „Letzte Generation“ lässt künftigen Umgang mit politischen Protesten erahnen

Instrumente gezeigt

Am 24. Mai war es wieder einmal soweit. Diesmal fiel die medial nahtlos präsentierte Machtdemonstration eine Nummer kleiner aus als beim bundesweiten Polizeieinsatz gegen die Reichsbürgerrentner im Dezember letzten Jahres. Diesmal bekamen die Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ in sieben Bundesländern frühmorgendlichen Besuch von 200 Polizeibeamten. Die Generalstaatsanwaltschaft München betrat juristisches Neuland, ließ nicht nur, wie bei solchen Aktionen üblich, diverse Konten der Organisation vor Zugriff sperren, sondern wies ihre Internetprofis vom Bayerischen Landeskriminalamt an, die Internetseite zu beschlagnahmen und dort im selben Atemzug einen Warnhinweis anzubringen. „Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß Paragraph 129 StGB dar!“, hieß es. Nach ein paar Stunden strich sie den Satz wieder. Die Polizei habe das „missverständlich formuliert“ (Was kann man daran missverstehen?) Die obersten Strafverfolger hatten im Eifer des Gefechts die Unschuldsvermutung hinter sich gelassen und aus einem Anfangsverdacht gleich den Schuldnachweis gefolgert.

Der Vorwurf eines Verbrechens im Sinne des Paragraphen 129 des Strafgesetzbuches (StGB) ist zweifelsohne eines der stärksten Geschütze, derer sich der Staat zur Zerschlagung von Organisationen bedienen kann. Die „kleine Schwester“ des Paragraphen 129a StGB (terroristische Vereinigung) ist entgegen landläufiger Auffassung nicht nur auf Autoschieber-, Drogen- und Räuberbanden zugeschnitten, sondern soll all jenen Strukturen den Garaus machen, die auf die „fortlaufende Begehung von Straftaten“ angelegt sind. Und mit solchen Straftaten sind die Generalstaatsanwaltschaften der Länder schnell bei der Hand, wenn Sitzblockaden zur Nötigung, zum Eingriff in den Straßen- oder Luftverkehr werden.

Mit dem Konstrukt der kriminellen Vereinigung hat sich der bürgerliche Staat 1871 ein vielfältiges und jederzeit abrufbares Instrument geschaffen. Neuartig ist der Einsatz gegen politisch missliebige Bewegungen trotzdem. Die Strafverfolger haben entdeckt, dass der strafprozessuale Werkzeugkasten des Paragraphen 129 StGB schier unbegrenzte Ermittlungs- und Eingriffsmöglichkeiten bereithält. Anlässlich der Klimakleberrazzia einmal auf den Geschmack gekommen, wird sich jede politische Organisation, die zum Beispiel zu Sitzblockaden vor Munitions- oder Atomwaffenlagern aufruft, seitens des Staates auf elektronische Ausforschung, verdeckte Ermittlung und hohe Strafdrohungen einzustellen haben. Nicht umsonst wird Paragraph 129 StGB bei kritischen Juristen als „Türöffner“ bezeichnet, der den prozessualen Handlungsspielraum überreizt und die Brücke zur stetigen Erweiterung der Kriminalisierung des „Vorfelds“ schlägt.

Der frühere Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle hielt in einem Interview mit der „Rheinischen Post“ vom 26. Mai die Aktionen der Klimaaktivisten für „harmlose Sandkastenspiele“, verglichen mit dem, was die breiten Protestbewegungen der 70er und 80er Jahre an Staatsgefährdung mit sich brachten. Er liefert damit das Zeugnis, womit in Zukunft der demokratische zivile Widerstand zu rechnen hat.

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"Instrumente gezeigt", UZ vom 2. Juni 2023



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