Das ging schief: Ihren ersten ernsten Post-Brexit-Konflikt mit Britannien hat die EU in der vergangenen Woche krachend verloren. Angefangen hatte es damit, dass die Kommission, wegen ihres umfassenden Versagens bei der Beschaffung von Covid-19-Impfstoffen immer stärker unter Druck, begonnen hatte, einen Sündenbock zu suchen. Sie fand ihn dort, wo insbesondere die deutsche Politik seit je eine Quelle fiesen Übels wähnt: im perfiden Albion. Ließ Brüssel BioNTech/Pfizer (Deutschland/USA) sowie Moderna (USA) jeweils Verzögerungen bei der Impfstofflieferung durchgehen, so begann sie nun, wegen ähnlicher Verspätungen wie wild auf AstraZeneca (Hauptsitz: Cambridge) einzudreschen. Zudem verlangte sie, Britannien, das in Europa aktuell wohl am schwersten von der Pandemie betroffen ist, aber bei der Impfkampagne erstaunliche Fortschritte erzielt, müsse ihr seine eigenen AstraZeneca-Impfdosen abtreten.
Die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen ist damit im Vereinigten Königreich abgeblitzt. Dass Brüssel Verzögerungen hinnehmen muss, liegt daran, dass es selbst verzögert hat: Während London seinen Liefervertrag mit AstraZeneca im Mai 2020 schloss, verschleppte die EU die Unterzeichnung ihres Vertrags bis Ende August. Diese Zeit fehlte entsprechend beim Aufbau der Produktionsketten in der EU; die Anfangsschwierigkeiten, die es auch in Britannien gab, sind daher noch nicht ausgestanden. Andere waren besser – Indien etwa. Das Serum Institute of India (SII), ein erfahrener Impfstoffhersteller, schloss schon im Juni mit AstraZeneca einen Vertrag zur Lizenzproduktion des Vakzins. Das hat dazu beigetragen, dass Indien inzwischen mehr Impfungen durchgeführt hat als Deutschland und außerdem Impfdosen in ärmere Länder wie Nepal oder Bangladesch exportieren kann. Die selbstverliebte Behäbigkeit der EU rächt sich nun.
Richtig eskaliert ist der Konflikt, als die EU-Kommission am 25. Januar ankündigte, für Impfstoffe Exportkontrollen zu verhängen. Am 30. Januar hat sie sie – vor allem auf deutschen Druck – tatsächlich eingeführt. In Brüssel hieß es, im ersten Schritt könne man BioNTech/Pfizer-Lieferungen nach Britannien beschlagnahmen und sie in der EU verteilen. Nach hartem Streit gelang es London, Brüssel zum Verzicht auf Letzteres zu veranlassen – zunächst jedenfalls. Protest kam auch aus Japan und Kanada, die von einem etwaigen EU-Exportstopp ebenso betroffen wären. Harsche Kritik gab es nicht zuletzt von der WHO, die konstatierte, Exportkontrollen verzögerten auch ohne Exportstopp wichtige Impfstofflieferungen und verlangsamten damit den Kampf gegen die Pandemie. Wie auch immer die Kommission unter Ursula von der Leyen nun weiter vorgeht: Mit ihrem „EU first“ in Sachen Impfstoffe hat sie keine Vorteile erzielt, aber wichtige Verbündete schwer vor den Kopf gestoßen.
Besonders gilt das für Britannien und Irland. Mit der Ankündigung vom 29. Januar, an der Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland Kontrollen einzuführen, um den Schmuggel von Impfstoffen zu verhindern, hat die Kommission kurzerhand das Karfreitagsabkommen außer Kraft gesetzt – dies auch noch, obwohl sie das Abkommen während der Brexit-Verhandlungen als Instrument nutzte, um London zu harten Zugeständnissen zu zwingen. Im Vereinigten Königreich werfen ihr nun selbst hartgesottene Remainer wütend Heuchelei vor. Und nicht nur das: Die Kommission hat sich auch in der EU isoliert. Die BBC ließ sich von einem EU-Diplomaten bestätigen, die Ankündigung von Grenzkontrollen in Irland sei von der Kommissionsspitze im Alleingang beschlossen worden, sogar über Dublin hinweg; die Wut darüber ist offenbar immens. Anders wäre auch kaum zu erklären, dass die Regulierungsbehörde EMA das AstraZeneca-Vakzin letztlich ohne Altersbeschränkung zuließ, obwohl Berlin und Paris öffentlich auf eine Begrenzung von maximal 64 Jahren gedrungen hatten. Dem deutsch-französischen Durchmarsch haben die anderen Mitgliedstaaten an dieser Stelle ein – seltenes – Ende gesetzt.