Medien im deutschen Blätterwald berichteten in der vergangenen Woche als Erfolgsmeldung für das hiesige Sozialsystem: Kaum Einkommensverluste durch Corona. Ausgelöst wurden diese Berichte von einer jüngst veröffentlichten Analyse des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) und einer gemeinsamen Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und des Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo). Wie kann das sein? Sind Linke mal wieder die Schwarzseher der Republik? Mitnichten!
Es lohnt sich immer das Original zu lesen beziehungsweise nicht einfach – wie in diesem Fall geschehen – die Überschriften von Pressemitteilungen wörtlich zu übernehmen ohne eigene Recherchen anzustellen. Überschrift und Inhalt stimmen nicht immer überein und der positive Titel ist hier anscheinend wunschgetrieben. Im Text selber wird deutlich ausgesagt, dass die staatlichen Maßnahmen die Einkommensverluste nur „deutlich gedämpft“ hätten. Zudem sind die Grundlagen für die beiden Analysen Datenmaterial aus den Monaten August und September dieses Jahres. Dort waren die Prognosen für die Wirtschaft deutlich optimistischer als sie es heute sind und es war ein Anstieg der Beschäftigung nach dem ersten Lockdown zu beobachten. Offenbar sollte der Moment festgehalten werden, um ein positives Bild zu zeichnen.
Real zeigen die Studien, dass trotz der „Dämpfungsmaßnahmen“ – Kurzarbeitergeld, Kinderbonus, Lohnersatz bei Kinderbetreuung – Einkommensverluste vorhanden sind, die sich ungleich verteilen. Schon ein Blick in die Veröffentlichungen der Minijob-Zentrale macht deutlich, dass im Frühjahr im ersten Lockdown über 800.000 „Minijobber“ ihre Arbeit verloren hatten. Zwar haben sich diese Zahlen bis zum Spätsommer deutlich verbessert, aber im gewerblichen Bereich lag die Anzahl der Menschen mit einem Minijob immer noch gut 30 Prozent unter dem Stand im Vergleichsmonat des Jahrs 2019. Diese Beschäftigungsverhältnisse fallen nicht unter den Regelungen für Kurzarbeitergeld. Diese Verluste lassen sich somit auch mit einem Kinderbonus nicht ausgleichen.
Der Verteilungsbericht des Düsseldorfer Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) vom November spricht eine klarere Sprache. Er kommt zu dem Schluss, dass soziale Ungleichheiten durch die Wirtschaftskrise verschärft werden. Danach haben Beschäftigte, die bereits vor der Krise niedrige Einkommen hatten, bedeutend häufiger Einbußen erlitten, als jene mit bereits zuvor höheren Haushaltseinkommen. Es bedarf keiner statistischen Grundkenntnis, um zu verstehen, dass sich ein derartiger Trend im weiteren Verlauf der Krise nur negativ auf die Verteilungsverhältnisse auswirken kann. Das WSI weist darauf hin, dass insbesondere Erwerbstätige in prekären Beschäftigungsverhältnissen betroffen sind. Schaut man noch genauer hin, werden die Einkommensverluste in bestimmte Bevölkerungsgruppen deutlich, betroffen sind unter anderem Alleinerziehende, Menschen mit Migrationshintergrund und Jugendliche. Auch das Kurzarbeitergeld greift unterschiedlich, denn Großbetriebe haben dies häufig noch aufgestockt – aufgrund tarifvertraglicher Vereinbarungen. entfällt in den meisten Klein- und Mittelbetrieben.
Die unterschiedlichen Betrachtungen in den Analysen machen vor allem eins deutlich: Es kommt darauf an „von welchem Berg“ aus man die Dinge betrachtet. Das WSI ist ein gewerkschaftliches Institut und schaut stärker auf die Interessenlagen der erwerbstätigen Bevölkerung. Wissenschaftlich betrachtet ist beides richtig, aber auch Wissenschaft ist deswegen nicht neutral, sondern interessegeleitet.