Rund 900 Menschen aus Duisburg-Marxloh sollten geräumt werden, weil der Vermieter die Stadtwerke geprellt hatte.
Als die Marxloher Bewohner rund um die Herbert-Grillo-Gesamtschule in den vergangenen Wochen ihre Post öffneten, traf sie sicherlich der Schlag: Die Stadt Duisburg kündigte ihnen in einem Informationsschreiben eine zeitnahe Räumung an, da ihr Vermieter die Wasserrechnung der Stadtwerke nicht beglichen hatte. Das Wasser werde abgestellt. Ohne Wasser seien die Wohnungen in dem Stadtviertel unbewohnbar. So schreibe es das nordrhein-westfälische „Wohnraumstärkungsgesetz“ (WohnStG) vor. Der Vermieter ist Ivere Property Management GmbH, ein bundesweit agierender Miethai.
Die Stadtverwaltung riet betroffenen Anwohner auf Nachfrage, sich neue Wohnungen zu suchen oder bei Verwandten unterzukommen. Konkrete Unterstützung und Aussicht auf eine Lösung? Fehlanzeige. Alternativen wie die, etwa die Immobilie instand zu setzen oder den Bewohnern adäquaten Wohnraum anzubieten, wurden nicht angeboten. Sogar die Möglichkeit, dass die betroffenen Mieter sich selbst als Kunden bei den Stadtwerken anmelden, um so an fließendes Wasser zu kommen, schlug die Stadt vorerst aus.
„In einem Stadtteil, wo Armut, Ausgrenzung und Verdrängung Alltag ist, lässt die Stadt die Menschen völlig im Stich“, meint eine Anwohnerin. Sie hat zusammen mit Betroffenen ad hoc die „Initiative Marxloher Nachbarn“ ins Leben gerufen. Etwa 15 Nachbarn haben sich Anfang der Woche getroffen, um Erfahrungen auszutauschen und gemeinsame Aktionen zu planen. Sie möchten im Viertel unterwegs sein, Gespräche mit den Betroffenen führen und darüber aufklären, wie man sich jetzt gegen die Räumung zur Wehr setzen kann. „Die nennen mich schon Mama“, berichtet eine Frau, die mit ihrer Familie ebenfalls von einer Räumung bedroht ist. Einige Familien, mit denen sie sich ausgetauscht habe, überlegten, nach Rumänien oder Bulgarien zurückzukehren, weil sie in Duisburg keinesfalls auf der Straße leben wollen. „Diese Not der Menschen habe ich im Gespräch mit der Stadtverwaltung vermittelt. Da kam nur die Antwort: Ja, dann machen Sie das doch!“ Diese Form der Stadt- und Wohnungspolitik hat System.
Marxloh, ein weit im Duisburger Norden gelegener Stadtteil mit rund 20.000 Einwohnern, dient vor allem bürgerlichen Politikern und Medien gerne als das „Problemviertel“, um gegen vermeintlich integrationsunwillige Migranten zu hetzen und eine rassistische Stadtpolitik zu fordern. Dabei ist die das eigentliche Problem: verkommene Wohnhäuser, kaputt gesparte Sozialarbeit und öffentliche Infrastruktur.
Die Stadt Duisburg und ihr Ordnungsamt nutzen besonders perfide Mittel, um den Menschen in Marxloh das Leben so schwer wie möglich zu machen. Vor Jahren schon hat die Stadt eine „Task Force Problemimmobilien“ ins Leben gerufen. Mit dem vorgeblichen Ziel, menschenwürdige Wohnverhältnisse zu garantieren, nimmt ein Tross aus Polizei und Ordnungsamt immer wieder bestimmte Häuser ins Visier, räumt und verbarrikadiert diese und verfrachtet die darin lebenden Menschen in kleine Turnhallen, ohne Perspektive auf eine neue Wohnung.
„Die Leute hier in Marxloh sind ständig in einer sozialen Notlage“, erklärt eine Nachbarin der Initiative. „Nicht nur, dass sie täglich mit prekären Arbeitsverhältnissen zu kämpfen haben, in der Gastronomie, im Reinigungsbereich oder als Paketzusteller. Jetzt werden ihnen auch noch die Wohnungen gestohlen, unverschuldet.“ Auch das gehört zum System. Iverty Property Management macht seine Profite bundesweit auf Kosten der Menschen in sozialen Brennpunkten. Die Firma presst Miete ab, ohne in Instandhaltung zu investieren – so lange, bis die Gebäude unbewohnbar sind. Durch die permanente Ausgrenzung der migrantischen Bewohner und ihrer strukturellen Benachteiligung gibt es kaum Möglichkeiten, sich zu wehren. Sie sind solchen Miethaien völlig ausgeliefert.
Die Initiative Marxloher Nachbarn zeigt allerdings: Eine Stadtpolitik von unten ist möglich und kann erfolgreich sein. Eine Spontandemonstration am Donnerstagabend, an der gut 400 Marxloher Nachbarn teilnahmen, erhöhte den Druck auf die Stadt. Die Räumungen sind vorerst verhindert, das Wasser wird nicht abgestellt. „Die Häuser, unsere Häuser bräuchten nur ein bisschen Liebe“, bringt es eine mazedonische Frau, die „Mutter des Viertels“, auf den Punkt: „Das würden wir auch selbst machen, wenn man uns lässt, denn wir kümmern uns um unsere Nachbarschaft.“