Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey, SPD, wurde bei ihrem Gastauftritt auf der diesjährigen 1.-Mai-Kundgebung des DGB während ihrer Rede ausgebuht und mit Eiern beworfen. Offenbar spielte die Unzufriedenheit vieler mit der SPD-Wohnungspolitik eine große Rolle. 59,1 Prozent hatten im September 2021 für das Anliegen der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen!“ gestimmt. Eine „Enteignung“, die gegen eine milliardenschwere Entschädigung ablaufen soll. Giffey hatte bei Amtsantritt verkündet, mit dem erfolgreichen Volksentscheid zur „Enteignung“ großer privater Immobilienbestände in der Stadt „seriös“ umgehen zu wollen. Was das genau bedeutet, wurde Ende März klar, als der Großteil der Expertenkommission benannt wurde, die sich ein ganzes Jahr lang der Frage der Machbarkeit und Umsetzung der Enteignung widmen soll. Kritiker sagen, dass es sich dabei lediglich um das Verschleppen und letztlich Verwässern der Pläne der Enteignungsaktivisten handeln könnte. Dem Gremium unter dem Vorsitz der ehemaligen Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin sollen je drei von SPD, Grünen und der Partei „Die Linke“ benannte Vertreter angehören. Drei weitere darf die Initiative entsenden. Ob sie dies tun würde war lange Gegenstand intensiver Diskussionen.
Die Aktivisten hatten zuvor „mangelnde Transparenz“ der Kommission beklagt und kritisiert, dass die SPD besonders reaktionäre Juristen nominiert habe: Michael Eichberger, Ex-Richter am Bundesverfassungsgericht, Christian Waldhoff, Professor für Öffentliches Recht und Finanzrecht an der Berliner Humboldt-Universität, sowie Wolfgang Durner, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bonn. „Diese Mitglieder machen deutlich, dass der Senat weiter versucht, den einst von der Sozialdemokratie erkämpften Artikel 15 zu begraben“, sagt ein Sprecher der Initiative. „Die beiden Professoren bedienen sich der exakt gleichen juristischen Argumente wie die Rechtsanwälte der ‚Deutsche Wohnen‘. Mit ihnen wird es nicht um die Umsetzung des Volksentscheids gehen, sondern darum, ihn zu verhindern“ („Neues Deutschland“, 23. März). Überhaupt, ließen die Aktivisten verlauten, sei die überwiegende Anzahl von Juristen im Gremium ein Problem, da es sich in erster Linie um eine politische und soziale Frage handele.
Und trotzdem entschloss man sich Mitte April dazu, nun doch drei Experten für die Kommission zu nominieren. Zwei davon sind ebenfalls Rechtsgelehrte. In einer Pressemitteilung heißt es: „Wir haben uns mit Prof. Dr. Mangold und Vertr.-Prof. Dr. Wihl dafür entschieden, zwei ausgezeichnete Verfassungsrechtler:innen in die Enteignungskommission zu entsenden. Denn zuerst gilt es, die Vergesellschaftung nach Artikel 15 des Grundgesetzes mittels juristischer Expertise zum Leben zu erwecken. Doch die Wohnungsfrage in Berlin ist keine rein juristische, sondern an erster Stelle eine soziale Frage. Deswegen freuen wir uns, mit Prof. Dr. Heeg eine renommierte Humangeographin in die Kommission zu entsenden. Ihre Expertise wird der Kommission helfen, die Ursachen des Berliner Mietenwahnsinns aufzuzeigen, um unsere Stadt aus dem Strick der Spekulanten zu befreien.“ Doch selbst wenn weitere „Experten“ der Enteignungsidee gegenüber eine moderate oder sogar positive Haltung besitzen sollten, besteht die Gefahr der Verwässerung und Verschleppung. Man wird „drüber reden“, abermals etliche teure Gutachten erstellen lassen und am Ende bestenfalls irgendeinen faulen Kompromiss formulieren. Dann wäre die Mitmachfalle einmal mehr zugeschnappt.
Und so betonen die Kampagnenvertreter, neben der Mitarbeit in der Kommission auch künftig weiter auf der Straße für „Enteignungen“ zu mobilisieren. Ihnen bleibt auch nichts anderes übrig, denn schließlich müssen die Kampagnenmacher ihren Ruf als entschlossene und erfolgreiche Vorkämpfer für die Interessen der Mieter aufrechterhalten. Denn die Berliner Regierungskoalition tut nichts, um das Wohnungsproblem in der Hauptstadt anzugehen, geschweige denn, den gewonnenen Volksentscheid umzusetzen. Außerdem verweist man auf eine „Enteignungskonferenz“ vom 27. bis 29. Mai in Berlin, unter anderem zur Frage: „Wie geht es weiter mit der Vergesellschaftung von Deutsche Wohnen und Vonovia?“