Der im Stil polemisch und moralisch gehaltene Artikel fordert inhaltliche Einwände heraus.
Da der Autor einen großen historischen Bogen von den „Planungen für das Deutsche Reich vor 150 Jahren“ (1865) bis zum Diktat der von der deutschen Regierung inspirierten Kapitulation Griechenlands schlägt, ist es, selbst in einem längeren Artikel, nicht möglich, darauf historisch und theoretisch einzugehen. Die zentrale These ist: „Der deutsche Imperialismus hat wieder zu sich selbst gefunden.“
Dass den Autor die berechtigte Empörung über die Skrupellosigkeit und ökonomische Sinnlosigkeit der deutschen Akteure zu einer solchen Aussage treibt, kann man vielleicht verstehen. Dass er umstandslos die Epochen der Herausbildung und Entwicklung des deutschen kapitalistischen Zentralstaates bis zur heutigen, wenn auch ziemlich beschädigten bürgerlichen, parlamentarischen Demokratie als Ausdruck der gleichen Triebkräfte fasst („dem chronisch zu spät gekommenen deutschen Imperialismus“) mutet doch mehr als kühn an. Zumal wenn man bedenkt, dass das Verhältnis zum US-Imperialismus und den Euro-Verbündeten (oder eher Gegnern?) zur gleichen Zeit so vielgliedrig und widersprüchlich ist: Dort die Nato unter der Dominanz der USA als Einheit aller, dann die Einheit des Wirtschafts- und teilweise des Währungsgebietes und der Währung, EU und Eurozone, und hier die politische und teilweise ökonomische Konkurrenz der großen Länder um Steuern, Lohnniveaus und Zinsvorteile u. a. für die Exporte, und letztlich sogar die Differenz zum großen Bruder jenseits des Atlantiks um die Austeritäts- oder die ökonomische Expansionspolitik.
Die Aufgabe einer differenzierten Einschätzung der allgemeinen Lage „des Westens“ kann natürlich nicht allein bei dem Autor und schon gar nicht in einem deftigen Kommentar eines aktuellen Vorganges liegen, sondern ist als Aufgabe an alle intellektuellen Kräfte der Partei gestellt.