Das Verwaltungsgericht Berlin hat am 18. Juli eine Klage der „jungen Welt“ zurückgewiesen. Die Tageszeitung soll weiter Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes bleiben und in dessen jährlichen Berichten genannt werden. „Die Aussage in den Verfassungsschutzberichten, dass es sich bei der ‚jungen Welt‘ um eine Tageszeitung handle, die die Errichtung einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung nach klassischem marxistisch-leninistischen Verständnis anstrebe, lasse sich hinreichend belegen“, ist in der Presseerklärung des Verwaltungsgerichts zu lesen.
Zeitungen, in denen die herrschenden Zustände kritisiert werden und deren Redaktionen womöglich eine bessere Gesellschaftsform im Sinn haben, ergo etwas anderes „anstreben“, gehören demnach auf den Index, genannt Verfassungsschutzbericht. Wer in das Kompendium der vermeintlichen Gegner und Delegitimierer aufgenommen wird, steht auf der Abschussliste des Bundesinnenministeriums. Wann die Exekutive eine Verbotsmaßnahme in die Wege leitet, wird nach politischer Großwetterlage entschieden. Der Verfassungsschutzbericht ist, wie es der Innenminister von NRW, Herbert Reul, treffend formuliert hat, „ein jährlicher Seismograph, wie es um den Schutz unserer Demokratie steht“.
Um die Demokratie steht es mehr als schlecht. Im Urteil gegen die „junge Welt“ wird am bisher als weitgehend verbürgten Grundsatz der Pressefreiheit gerüttelt, wenn es um regierungs- oder gar systemkritische Berichterstattung geht. Noch im Mai 2005 sah das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) das anders. Die Aufgabe der Presse sei es, „umfassende Information zu ermöglichen, die Vielfalt der bestehenden Meinungen wiederzugeben und selbst Meinungen zu bilden und zu vertreten. Dies setzt ihre Unabhängigkeit vom Staat voraus.“
In der jüngsten Entscheidung aus Berlin spiegelt sich der Trend der Zeit. Das 2017 vom damaligen Innenminister Thomas de Maizière (CDU) verfügte Verbot der Internetplattform „linksunten.indymedia“ wurde sowohl vom Bundesverwaltungsgericht (2020) wie vom BVerfG (2023) bestätigt. Die Verfolgung der Palästina-Solidarität durch Verbote und den Einsatz der Allzweckwaffe Paragraph 140 Strafgesetzbuch („Billigung von Straftaten“) zeigt, woher der Wind in nächster Zeit wehen wird. Ebenso die am 17. Mai von der Europäischen Union verfügten Verbote der Medienplattformen „Voice of Europe“, „RIA Novosti“, „Izvestia“ und „Rossiyskaya Gazeta“.
Hier reiht sich auch das Verbot der rechten Elsässer-Postille „Compact“ ein. Es mag zunächst bei Linken Schadenfreude aufkommen lassen, bei näherem Hinsehen erweist es sich aber als ausbaufähige Blaupause für zukünftige Maßnahmen. Mit der Konstruktion, dass auch Verlagsgesellschaften, die „sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung“ richten, Vereine im Sinne des Paragraphen 17 des Vereinsgesetzes sein können, ist der Weg frei, sowohl bei Verlagen wie auch deren Publikationen das Licht auszumachen.
Dabei geht es längst nicht mehr nur um das Eliminieren kritischer Meinungen, sondern um das Unterbinden von Informationen. Wie groß muss die Angst in den Ministerien für Sicherheit und Ordnung sein, wenn ihren Staatsbürgern der Zugriff auf unbequeme Fakten verwehrt werden muss? „Seit Vietnam sind unsere Kriege trotz militärischer Erfolge verloren gegangen, vor allem wegen der Schwäche unseres Narrativs, nämlich das Erreichen der Herzen und Hirne“, bezeichnete der französische NATO-General Eric Autellet bereits auf der NATO-Tagung „Cognitive Warfare“ 2021 in Bordeaux das Kernproblem der Kriegsvorbereitungsstrategie. „Wehret den Anfängen!“ war gestern, wir sind schon darüber hinaus.