Die Welt ist viele – den Problemlösungsansatz kennen wir nicht nur aus der quantenmechanischen Theoriearbeit, sondern auch aus Ansätzen der Umgestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse. Hierzulande schimpft sich das gern Pluralismus und besagt lediglich, dass die größte Dummheit genau so viel wiegt wie Ansätze von Wahrheit, es muss nur ein bisschen nach Wahrheit aussehen und nicht ganz so offensichtlich geschwindelt sein. Und dass sich am Ende auf dem Markt der Ideen durchsetzt, was die Stärksten unter den Herrschenden für sich als am genehmsten erachten.
Linke hierzulande streiten unter sich über Diversität und Intersektionalität, meist ohne dabei den aktuell stärksten Herrschenden großartig in die Parade zu fahren. Da die Welt aber wirklich aus vielen Welten besteht, weil sie sich nicht gleichzeitig entwickelt und in Widersprüchen auf der Zeitleiste vorwärtsgeht, haben hiesige Linke andernorts Vorbilder: In den 1990ern und frühen 2000ern waren es die Zapatistas in Mexiko, die als indigene, antikoloniale Befreiungsbewegung selbstorganisierte Strukturen aufbauten und diese seitdem halten konnten. Aus einer ähnlichen Position der Schwäche heraus haben sich Kurdinnen und Kurden im Norden Syriens Verwaltungsstrukturen nach dem Sieg über den Islamischen Staat geschaffen. Beides Projekte fernab der industrialisierten und digitalisierten Zentren der Weltbeherrschung, die sie auch wegen dieser Distanz weitgehend in Ruhe lassen, oder als strategischer Partner vor Ort ihren Nutzen ziehen, wenn der US-Imperialismus etwa Ölquellen für sich beansprucht.
„Für eine Welt, in der viele Welten Platz haben“ kämpfen einem ihrer Slogans nach die Zapatistas und erklären zu Neujahr: „Die Gleichheit der Menschheit liegt in der Respektierung ihrer Differenz. In ihrer Differenz liegt ihre Ähnlichkeit. Das Hören und Sehen der anderen erlaubt uns voranzuschreiten. Der Kampf für die Menschheit ist weltweit.“ Im Juni dieses Jahres landete das Boot „La Montana“ (Der Berg) an der spanischen Küste. An Bord waren zapatistische Aktivistinnen und Aktivisten, um sich in Europa mit anderen autonomen und linksradikalen Gruppen zu treffen, mit ihrer Konterinvasion aber auch eine koloniale Praxis symbolisch umstülpen zu wollen, die Südamerika bis heute als Lieferanten von Extraprofiten für Nordamerika und Westeuropa zwangsverpflichtet.
Viel darüber erfährt man im ausgiebigen Booklet des Soli-Samplers „A Luta Continua“ (Portugiesisch: „Der Kampf geht weiter“) aus der Reihe „Lucha Amada“ (Spanisch: „Geliebter Kampf“) deutscher Aktivisten mit dem Namen „Brigadistak-Sounds“. Im Essay dort von Luz Kerkeling und Miriam Friz Trzeciak wird vor allem die zapatistische Geschlechterpolitik hervorgehoben und gelobt, die sich antipatriarchale Züge und Praktiken mit dem anderen Sehnsuchtskollektivsubjekt teilt, dem Rojava genannten Nordsyrien. Das Booklet berichtet vom „ökologischen Frauendorf“ Jinwar, in dem sich Frauen in beziehungsweise am Rande des Bürgerkriegs auf bäuerlicher Ebene selbst versorgen, bilden und organisieren.
Soviel „Do it Yourself“ gibt es in den gefestigten Machtzentren nicht. Die Monopole wollen einfach nicht Platz machen, wenn nebenan ein Autonomes Jugendzentrum aufmacht, es ist seltsam. So wenig man in der Peripherie machen kann – den Imperialismus zwingen, die Welt zu räumen, das können mexikanische und kurdische Bäuerinnen schlecht und niemand bei Sinnen verlangt es von ihnen – so wenig scheint sich im Herzen der Bestie zu bewegen.
Der wild bebilderte, 45 Songs vereinende Sampler als Projekt der Solidarität spiegelt das wider: Mit einer maximal-multilingualen Sammlung aus Ska, Punk, Reggae, Rocksteady, HipHop und Hastenichtgesehn wird alles aufgefahren, was Demo und Anti-Repressions-Party beschallt, oft penetrant, manchmal aber auch recht erträglich macht. Also so Sachen von Leuten wie Che Sudaka, Mal Élevé und Fermin Muguruza – aber auch wortlos schöne Instrumentals des kolumbianischen Soloprojekts Monte.
„Diese Subkultur ist eine Internationale“, schreiben die Beiden von „Brigadistik-Sounds“, „ein Netz aus unschlagbaren informellen Verbindungen“. Ist es nicht das Problem mit dem Informellen: Dass es zu wenig gilt, um es schlagen zu wollen? Dass jemand einreißen will, was man mit Blut, Schweiß und Tränen aufgebaut hat, ist eine nötige Sorge. Sich stellvertretend zu sorgen ist es zwar nicht, man darf es aber ein bisschen, indem man „A Luta Continua“ erwirbt.
Lucha Amada: III –
A Luta Continua (Sampler)
Jump up Productions 2021
3 CDs im Buchformat, 19, 90 Euro
Erhältlich unter: uzshop.de