Die Löhne in Britannien sind auf das niedrigste Niveau seit über einem Jahrzehnt gefallen. Sie halten nicht mehr Schritt mit der galoppierenden Inflation. Für die arbeitende Bevölkerung ist das katastrophal, warnen Gewerkschaften.
Inflationsbereinigt sanken Löhne und Gehälter im März um 2,9 Prozent. Das ist der größte Rückgang seit November 2011, meldete das „Office for National Statistics“ (ONS). Schon seit einigen Monaten halten Löhne und Gehälter nicht mehr Schritt mit der Inflation, trotz stark wachsender Unternehmensgewinne. Offiziellen Daten zufolge sind die Lebenshaltungskosten im April mit 9,1 Prozent noch einmal enorm gestiegen.
Der Chef der Bank of England, Andrew Bailey, äußerte jüngst, Beschäftigte sollten „nachdenken und reflektieren“, bevor sie nach einer Gehaltserhöhung fragen, um die Inflation nicht zusätzlich anzuheizen. Er selbst bezog im letzten Fiskaljahr ein Gehalt von umgerechnet knapp 680.000 Euro. „Ich wurde gefragt, ob ich selbst eine Gehaltserhöhung bekommen hätte dieses Jahr. Ich habe gesagt: Nein, ich habe die Bank gebeten, mir keine zu geben, weil ich das persönlich für richtig hielt“, so Bailey.
Gary Smith, Generalsekretär der Gewerkschaft GMB, sagte: „Lohnsenkungen bei galoppierender Inflation sind katastrophal für zu viele arbeitende Menschen. Die Reallöhne haben den stärksten Fall seit einem Jahrzehnt hinter sich, trotzdem denkt der Chef der Bank of England, die Beschäftigten sollten nicht nach einer Lohnerhöhung fragen.“ Der beste Weg zu besserer Bezahlung sei es, die Gewerkschaften zu stärken, so Smith. Die Regierung müsse den Menschen in der Krise der Lebenshaltungskosten dringend helfen.
Manuel Cortes, Generalsekretär der Transportarbeiter-Gewerkschaft TSSA, bekräftigte, dass seine Gewerkschaft nicht „untätig herumsitzt, während die Lebenshaltungskosten-Krise der Tories unsere Mitglieder in ihren Taschen trifft“. Er drohte mit Arbeitskampfmaßnahmen. „Viele unserer Mitglieder haben seit zwei Jahren keine Lohnerhöhung bekommen – bei den galoppierenden Preisen. Genug ist genug. Wenn das Verkehrsministerium, die Eisenbahngesellschaften und Network Rail nicht sehr schnell Lohnerhöhungen vorschlagen, die mindestens die Inflation ausgleichen, wird ein Sommer der Unzufriedenheit auf unseren Schienen unterwegs sein.“
Der Stellvertretende Generalsekretär der Gewerkschaft TUC, Paul Nowak, ärgerte sich: „Es ist unglaublich, dass die Bank schon wieder Arbeiter auffordert, Lohnsenkungen hinzunehmen, während sie praktisch gar nichts über die sprunghaft steigenden Profite von Konzernen wie BP und Shell sagt.“ Das Letzte, was Beschäftigte inmitten der schlimmsten Lebensstandardkrise seit Generationen bräuchten, seien niedrig gehaltene Löhne. „Ganz klar: Die globalen Energiepreise treiben die Inflation in die Höhe, nicht Lohnforderungen“, ergänzte Nowak. „Die Löhne niedrig zu halten verringert die wirtschaftliche Nachfrage und verursacht weit verbreitetes Elend.“
Die jeweilige Oppositionspartei hält in Britannien während der gesamten Legislaturperiode ein Schattenkabinett bereit. Jonathan Ashworth ist Labours Schattenarbeitsminister. Er warnte vor einem „Lebenshaltungskosten-Tsunami“ in Britannien mit Reallöhnen, die heute schon fast 355 Euro niedriger lägen als vor 15 Jahren. „Mit seiner Weigerung, angesichts der Lebenshaltungskosten mit einem Notfallbudget zu handeln, hat Rishi Sunak einmal mehr gezeigt, dass die Tories nicht an der Seite der arbeitenden Bevölkerung stehen.“
Finanzminister Sunak weigert sich bislang trotz steigenden Drucks, Hilfe zur Verfügung zu stellen.
Die Bank of England hatte Anfang des Monats gewarnt, der Preisdruck bringe Britannien an den Rand der Rezession. Die Inflationsrate könne in diesem Jahr noch auf über 10 Prozent steigen.
Andrew Bailey warnte am Montag vor steigenden Nahrungsmittelpreisen. Und politische Entscheidungsträger gehen davon aus, dass die Arbeitslosigkeit durch die schärfer werdende Krise wächst. Die Arbeitslosenquote könnte 5,5 Prozent erreichen.