Die digitale Offensive der Bourgeoisie

Industrie 4.0

Von Helmut Woda

Was ist Industrie 4.0? Dazu gibt es folgende Angaben von Uwe Fritsch zu Industrie 4.0 in der UZ vom 18.9.2015.

Bei Industrie 4.0 geht es, so Uwe Fritsch,

1. um den gravierenden Grad der Komplexität der vierten industriellen Revolution mit „Vernetzung aller Lebensbereiche durch umfassende Digitalisierung“;

2. die Produktion nur noch auf Auftrag und ohne Lager für Fertigprodukte;

3. die Verteilung der immensen Investitionen für neue Techniken/Technologien auf mehrere Unternehmen;

4. Die durch Industrie 4.0 zu erwartenden Änderungen umfassen alle Lebensbereiche.

5. Die neuen Produktionsweisen mit Vereinzelung der Beschäftigten;

6. Der Druck auf festgelegte Arbeitszeiten, Druck auf die Anzahl der Arbeitsplätze, auch der qualifizierten Arbeitsplätze und eine weitere Differenzierung der Belegschaft in „Kern“und „Rand“belegschaften“.

Die Arbeiterklasse soll also weiter „differenziert“, im Klartext gespalten werden. Natürlich verpackt das Monopolkapital sein Interesse an der Verschärfung der Ausbeutung hinter einem „gravierenden Grad der Komplexität der vierten industriellen Revolution“ und einer „Vernetzung aller Lebensbereiche durch umfassende Digitalisierung“, das heißt der schrankenlosen Ausdehnung der Unterwerfung der Gesellschaft unter die Verwertungsinteressen des Monopolkapitals mit Hilfe der Digitaltechnik.

Das Verwertungsinteresse hat absolute Priorität. Dafür wird jeder Skandal in Kauf genommen. Mit raffinierter Digitaltechnik hat der VW Konzern die gültigen Vorschriften für den Umweltschutz gewissenlos unterlaufen. Da war dann schon ein Wechsel an der Konzernspitze unumgänglich, aber an der Priorität des Verwertungsinteresses wird und darf nicht gerüttelt werden. Diese kriminelle Perversion der Möglichkeiten der Digitaltechnik gibt uns nur einen kleinen Vorgeschmack, was der Arbeiterklasse und der breiten Bevölkerung durch die „Vernetzung aller Lebensbereiche durch umfassende Digitalisierung“ als Folge von Industrie 4.0 drohen kann.

Natürlich interessiert sich das Verwertungsinteresse für die Rationalisierung der Produktion durch Produktion nur noch auf Auftrag und ohne Lager für Fertigprodukte; durch die Verteilung der immensen Investitionen für neue Techniken/Technologien auf mehrere Unternehmen; durch zu erwartende Änderungen aller Lebensbereiche durch Industrie 4.0 und durch die durch die neuen Produktionsweisen ermöglichte Vereinzelung der Beschäftigten.

Die Bourgeoisie hat unmittelbares Verwertungsinteresse an der Rationalisierung der Produktion mit Hilfe der Anwendung der Digitaltechnik: durch Produktion nur noch auf Auftrag zur Minimierung des Marktrisikos; durch die Bündelung der Investitionen mehrerer Unternehmen für neue Techniken/Technologien; durch die Durchdringung aller Lebensbereiche infolge von Industrie 4.0 und durch die Vereinzelung der Beschäftigten mit Einführung der neuen Produktionsweisen.

Dem Charakter der kapitalistischen Ausbeutung entsprechend soll der Standort Deutschland mit Industrie 4.0 auf Kosten der Belegschaften durch Druck auf festgelegte Arbeitszeiten, durch Druck auf die Anzahl der Arbeitsplätze, auch der qualifizierten Arbeitsplätze und eine weitere Differenzierung sprich Spaltung der Belegschaft in „Kern“und „Rand“belegschaften“ gegenüber der Konkurrenz in Übersee ausgebaut werden. Bezüglich Industrie 4.0 sagte Reinhard Clemens, Chef von T-Systems, auf einer Tagung des „Vereins Deutscher Ingenieure“ (VDI) am 10. Februar 2015 in Düsseldorf: „Den ersten Teil des Spiels haben wir verloren, wir müssen uns jetzt in der zweiten Halbzeit besser positionieren“, vor allem gegen die US-Initiative „Industrial Internet Consortium“ (IIC) in den USA.

Die industrielle Revolution brachte die Tendenz hervor, dass, wie Marx es beschreibt, der Mensch aus der Produktion heraustritt (heraustrat). Aber nicht verbunden mit einem besseren Leben sondern mit Massenverelendung, Weltwirtschaftskrisen und zwei Weltkriegen.

Je höher sich Automatisierung und Technisierung entwickeln desto größer wird der Anteil des konstanten (toten) Kapitals im Produktionsprozess zu Lasten des (lebendigen, einzig wertschaffenden) variablen Kapitals, desto mehr sinkt tendenziell die Profitrate, desto mehr steigt der Zwang des Kapitals dieses Absinken der Profitrate durch Erhöhung der Ausbeutungsrate (der Mehrwertrate) zu kompensieren, desto mehr verschärft sich der Widerspruch zwischen Produktivkraft und Massenkaufkraft.

Die Tatsache, dass die massenhafte Einführung von Elektronik und IT nicht unmittelbar zur Entfaltung der nächsten Weltwirtschaftskrise führte, war der Systemkonkurrenz geschuldet, die dem Imperialismus Fesseln anlegte, ihn zeitweilig an der Entfaltung seines Wesens hinderte. Und der Tatsache geschuldet, dass nach dem Sieg der Konterrevolution große Kapitalmengen in die Nutzung der nun entstandenen machtpolitischen Möglichkeiten der Neuaufteilung der Welt flossen, also profitabel angelegt werden konnten, auch wenn der Massenkonsum nicht mit der Produktivitätssteigerung Schritt halten konnte.

Diese Phase relativer Krisenfreiheit ist seit 2008 vorbei, und spätestens mit „Industrie 4.0“ wird sich der Widerspruch noch mehr zuspitzen, dass einerseits die Produktivkraft zur Lösung globaler Menschheitsfragen, zur Abschaffung von Hunger und Armut, für ein gutes Leben aller Menschen vorhanden ist und dass der Mensch in nie gekanntem Umfang aus der Produktion heraustritt (herausgetreten wird), aber eben andererseits nicht automatisch in ein gutes Leben. Die Gefahr einer erneuten Apokalypse droht.

Dazu sagen wir in unserem Leitantrag:

„Wir erleben zugleich rasante Entwicklungen der Produktivkräfte, die neue Veränderungen in der Klassen- und Sozialstruktur zur Folge haben. Dies und die Krisenfolgen haben enorme Auswirkungen auf die Bewusstseinsentwicklung der Arbeiterklasse, ihre Organisations- und Kampfkraft. Der Grundwiderspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital verschärft sich weiter“.

„Konzerne und Kapital wollen die Wettbewerbsvorteile, die ihnen die Prekarisierung gebracht hat, ausbauen. Sie treiben die Deregulierung weiter voran. … Wesentliche Angriffe auf soziale und demokratische Rechte, wie die Agenda 2010, wurden durch die Gewerkschaften kaum bekämpft. Wurde die Einbindung der Arbeiterklasse noch bis in die 80er Jahre, auch angesichts der Existenz des Sozialismus in Europa, teilweise mit sozialen Zugeständnissen „erkauft“, so hat sich das Kräfteverhältnis gewandelt, die herrschende Klasse ist in der Offensive“.

„In der Arbeiterklasse muss die Erkenntnis der Notwendigkeit des Sozialismus heranreifen. Es bedarf der Hegemonie der revolutionären Weltanschauung in der Arbeiterklasse, damit sie sich von der Klasse an sich zur Klasse für sich formieren kann. Ein solches revolutionäres Klassenbewusstsein zu entwickeln, in der Klasse zu verankern und mehrheitsfähig zu machen, das ist die zentrale Aufgabe der kommunistischen Partei. Das erfordert von den Kommunistinnen und Kommunisten die Entwicklung und Propagierung einer Politik, durch die die Arbeiterklasse befähigt wird, ihre Interessen selbst in die Hand zu nehmen. Nur im Kampf wird sie lernen, die gesellschaftlichen Zusammenhänge zu erkennen, die ihre Lage bestimmen. Dies ist untrennbar mit der Aufgabe verbunden, reformistische Illusionen über den Kapitalismus, die das Denken eines großen Teils der Klasse dominieren, zurückzudrängen und zu überwinden“

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Industrie 4.0", UZ vom 2. Oktober 2015



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Schlüssel.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit