Anfang Januar startet die Tarifrunde bei der Post, bei der die gekündigten Teile des Mantel- und des Gehaltstarifvertrages ausgehandelt werden. Neben der Gehaltstabelle wird es vor allem um Fragen der Arbeitszeit gehen. Die Friedenspflicht endet am 31. Dezember 2024, die ersten Verhandlungen sind dann ab der zweiten Januarwoche geplant. In dieser Zeit kann es zu Warnstreiks kommen. Derzeit läuft in den Niederlassungen die ver.di-Befragung zur Tarifrunde.
Der Fragebogen beginnt mit der Lohnforderung: 6 Prozent bei zwölf Monaten. Diese „halte ich für“ „viel zu gering“ bis „viel zu hoch“ – so lauten die Antwortmöglichkeiten. Kriterien und Argumente für diese Einschätzung werden nicht mitgegeben. Es zählt also das, was die Arbeiter gerade im Kopf haben. Die Arbeiter werden auf ihr schlechtes Besonderes zurückgeworfen und die Argumente weder abgefragt noch eingeordnet. Der Kapitalpropaganda der Konzernmedien wird Tür und Tor geöffnet.
Die zweite Frage umfasst die Erkenntnis, dass die Arbeitsbelastung bei der Post hoch ist und weiter steigt. Ob es denn Regelungen „für weniger Arbeitszeit und mehr Freizeit“ geben solle, wird gefragt? Die Antwortmöglichkeiten reichen von „Ja, das ist wichtig“, über „Nein, wenn das geringere Lohnerhöhung bedeutet“, bis hin zu „Nein, nicht erforderlich“. Dabei wird das Problem der Arbeitsbelastung zwar angesprochen, nicht aber die Ursache – das Kapitalinteresse. Die Arbeitsbelastung scheint zu steigen wie der Schnee fällt.
Kampfmöglichkeiten für eine geringere Arbeitsbelastung gibt es, werden aber nicht genutzt. Es wäre möglich gewesen, diese mit der Tarifrunde zu verbinden: längere Ruhepausen, neue Gefahrenbeurteilungen vor allem bei Aufteilungen und „Flexi“-Fahrten wegen des erhöhten Stresses bei der Vorbereitung und vieles mehr. Die entsprechenden Auseinandersetzungen führen die Beschäftigten bereits. Mit der Kündigung des Manteltarifvertrags hätte es für ver.di die Gelegenheit gegeben, diese Abwehrkämpfe – die derzeit vor allem in den inoffiziellen Netzwerken der Kollegen laufen – zu nutzen.
Im Fragebogen wird stattdessen die „Erklärung“ vorbereitet, dass man nur das eine – nämlich die Lohnerhöhung – oder das andere – die Arbeitszeitverkürzung – hätte schaffen können. Die von der Gewerkschaft vorgebrachte Perspektive einer Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich ist bei einem Konzern, der gerade plant, Post und Paket Deutschland auszugliedern und von sinkenden Post- und Paketmengen schwadroniert, ein weit geöffnetes Scheunentor für die Durchsetzung der Kapitalinteressen.
Das Ausspielen von Lohn- und Zeitforderungen impliziert, dass die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, wie es der linke Rand der Gewerkschaftsbewegung fordert, ohnehin nicht möglich ist. Von vornherein wird nur eines als machbar, wahlweise in der Verhandlung durchsetzbar oder als finanzierbar gesehen. Von einer ver.di, die sich über das Postgesetz freut, weil dieses „die Finanzierung sichergestellt“ habe, war das zu erwarten. Doch mit dieser Position wird der Kampf der Arbeiter und ihr Bewusstsein geschwächt. Die dritte Frage schließt sich dem an: Was ist bedeutender? Geld- oder Zeitfragen?
In der vierten Frage wird die Individualisierung für die Auswertung vorbereitet. Dort wird gefragt, ob man die zusätzliche Entlastungszeit nutze. Es liegt nahe, dass in der Auswertung festgestellt werden wird, dass diejenigen, die jung sind, die Belastung aushalten. Sie brauchen das Geld, nutzen deshalb die Entlastungszeit nicht – wen wundert’s? – sind für die Lohnerhöhung und damit gezwungenermaßen gegen die Arbeitszeitverkürzung. Die älteren Beschäftigten, die mit der Belastung schwerer klar kommen, aber dafür in der Gehaltstabelle höher stehen, sind bereit, mehr Entlastungszeit zu nehmen und damit auf Geld zu verzichten. Sie sind also für die Arbeitszeitverkürzung. Mehr Lohn oder mehr Zeit? Diese Positionen werden gegeneinander gestellt. Die Individualisierung, die auch das Kapital nahelegt, wird so durch die ver.di-Umfrage bestätigt und zieht hilflose Gewerkschaftspolitik nach sich.
Ein gemeinsames Interesse, anknüpfend an die Alltagskämpfe, wäre der Kampf gegen die Arbeitsverdichtung: Gegen die Flex-Scheiße und die Zustellwand (an der Zustellbezirke tagesaktuell zugeschnitten werden, siehe UZ vom 8. September 2023), gegen das „Projekt Startklar“ (Einsatz neuer Sortiermaschinen, siehe UZ vom 13. September) und wie die Folterwerkzeuge der Kapitalseite so heißen. Der Kampf gegen die Zerschlagung des Post-Konzerns muss zudem mit dem Kampf um eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich einhergehen.