Mit Liebknecht und den ‚Spartakusleuten‘ geht alles, was unter den Sozialisten Deutschlands wirklich revolutionär geblieben ist, alles, was an Bestem und Überzeugtem im Proletariat vorhanden ist, die gesamten Massen der Ausgebeuteten, unter denen die Empörung brodelt und die Bereitschaft zur Revolution wächst“, so Lenin in seinem „Brief an die Arbeiter Europas und Amerikas“ über Karl Liebknecht, den Revolutionär und Kommunisten mit fescher Brille und feschem Schnurrbart. Sein Lebenslauf in groben Zügen:
Geboren am 13. August als Sohn des Mitbegründers und Anführers der deutschen sozialdemokratischen Partei, Wilhelm Liebknecht, die Taufpaten Karl Marx und Friedrich Engels themselves, der Weg klar: „Arbeiter an die Macht!“ Frühes Engagement in der sozialistischen Bewegung, Studium und Arbeit als Jurist, dauernd von den Herrschenden in Knäste gesteckt, schließlich zentrale Figur und Anführer der revolutionären Arbeiterinnen und Arbeiter der Novemberrevolution, Mitbegründer der KPD, am 15. Januar 1919 ermordet von den erzreaktionären Freikorps.
Aber warum ziehen wir heute noch Jahr für Jahr durchs bitterkalte winterliche Berlin vom Frankfurter Tor nach Friedrichsfelde zur Gedenkstätte der Sozialisten, warum der Zug der Massendemonstration mit seinem Konterfeit auf den Transparenten? Warum ist sein Name Ausgangs- und Bezugspunkt der revolutionären Arbeiterjugend?
Aus den Kasernen auf die Straßen
Dass Karl Liebknecht auch Wegbereiter der Organisation der Arbeiterjugend war, gerät mitunter in Vergessenheit. Dabei ging das schon früh los: 1900 beschließt der internationale Sozialistenkongress in Paris, dass die sozialistischen Parteien die Jugend zum Kampf gegen den Militarismus erziehen und – vor allem – organisieren sollen. Liebknecht schließt 1904 daran an. In Bremen, es ist mal wieder Parteitag, deklariert er: „Der Zweck des Antrages ist, einen Impuls zu geben zur Verschärfung und Systematisierung eines besonders wichtigen Zweiges der Agitation, der Jugendagitation, gegen das Hauptbollwerk des Kapitalismus, gegen den Militarismus.“
Fast schon prophetisch klingen diese Worte zehn Jahre vor Beginn des ersten Weltkriegs. Natürlich gab es auch damals schon einen ganzen Haufen Opportunisten in der SPD, die befürchteten, man könne den Herrschenden Vorwände für Angriffe auf die Partei liefern. Der Antrag wurde mehrere Male abgeschmettert. Was aber ist gemeint mit diesem Antimilitarismus, dieser Jugendagitation gegen den Militarismus? Dass es der entscheidende Punkt des Kampfes sein musste. Viel hatte sich nämlich seit der Gründung der Partei getan, davon einiges, was auch Engels schon an der Schwelle des Jahrhundertwechsels ankündigen konnte: Die Kapitalkonzentration nimmt ungeheuer zu, die Erde ist aufgeteilt, Deutschland als mehrheitlich verhinderte, weil zu spät gekommene und deshalb nicht minder brutale Kolonialmacht musste bald um Absatzmärkte und die sonstigen Boni fürs Kapital bangen, die aus Kolonialbesitz entstehen. Rüstungsmonopolisten haben sich längst herausgebildet und der Militarismus eignet sich wunderbar für die Integration der Bevölkerung in den Dienst der Herrscherclique aus Kaiser und Adel, Konzernherren und Kirche (die aber schon deutlich zurückstecken musste) und die ihrerseits vor allem dem Aufrechterhalten der Herrschaft des Kapitals verpflichtet war. Aber wo kriegt man Absatzmärkte her? Indem man einfach Waren, Maschinen, Fabriken, Infrastruktur und Menschen so lange dahinmetzelt, bis man den übergebliebenen Kram wieder los wird.
Die Aussichten sind also nicht besonders rosig, vor allem nicht für die Jugend, die in Wehrverbänden und durchmilitarisierten Jugendverbänden in der nicht minder durchmilitarisierten Gesellschaft zu strammen und dummen – weil willenlosen – Soldaten gemacht werden sollte. So sagt Liebknecht über den Militarismus auf dem 1905er-Parteitag der SPD: „Der Militarismus wirkte international – als Gefährdung des Völkerfriedens – und national, als Bollwerk und Sturmbock gegen den ‚inneren Feind‘, das kämpfende Proletariat.“ Und später in seiner Schrift „Militarismus und Antimilitarismus“ von 1907, dessen weite Verbreitung in der kämpfenden Jugend kein Zufall war, sondern Ausdruck seiner Relevanz: „Er [der Militarismus, Anm. MM] ist ein ungeheurer raffinierter Apparat zu dem Zwecke, sich den natürlichen Entwicklungsgesetzen entgegenstellend, die menschliche Gesellschaft autokratisch und souverän im Interesse des Kapitalismus und überhaupt der herrschenden Gewalten nach seinem Bilde, nach seinem Willen einzurichten.“ Und im Schlusspassus: „Die proletarische Jugend gehört der Sozialdemokratie, dem sozialdemokratischen Antimilitarismus. Sie wird und muss, wenn alles seine Schuldigkeit tut, gewonnen werden. Wer die Jugend hat, der hat die Armee.“
Das heißt: Der Jugend, die in zukünftigen Kriegen verheizt werden soll, muss klargemacht werden, dass sie kein Interesse daran haben kann, für Interessen zu töten und zu sterben, die nicht die ihren sind, sondern ihr krasses Gegenteil. In diesem Geiste spricht Liebknecht auch auf der 1. Generalversammlung des Verbandes junger Arbeiter Deutschlands 1906. Konsequenterweise gründet Karl Liebknecht mit Hendrik de Man, Gustav Möller, Henriette Roland-Holst und Leopold Winarsky noch im gleichen Jahr die „Internationale Verbindung Sozialistischer Jugendorganisationen“, auf deren Gründungskonferenz Jugendorganisationen aus 13 Ländern vertreten sind, und wird prompt zu ihrem Präsidenten gewählt.
Die Erwachsenwerdung der Jugend
Was die anderen führenden Sozialdemokraten, darunter auch August Bebel, damals nicht verstanden hatten, verstehen wollten oder aus Gründen des Legalismus (das Agitieren in den Kasernen war ja verboten) zu unterbinden versuchten, das setzte der revolutionäre Teil der Sozialdemokratie um Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und andere um. Was so hart erkämpft wurde, kämpft später auch hart: Die kämpfende Jugend ist aufs engste mit der revolutionären Bewegung verbunden und wird in der Novemberrevolution eine herausragende Rolle als einer der konsequentesten, vorantreibendsten Teile der Bewegung auf den Barrikaden spielen. Wie auch bei den „Erwachsenen“ war die Arbeiterjugend nie von linksradikalen oder rechtsopportunistischen Abweichungen gefeit, aber sie hat, wie die Erwachsenen, in Karl Liebknecht ihren Vorkämpfer und ihr Vorbild erkannt und immer hochgehalten, so wie er es mit ihr gegen Opportunisten, bestochene Teile der Partei und Versöhnler getan hat. Seine Vorstellungen von der proletarischen Jugendorganisation sind dabei weitestgehend auf einer Linie mit den später von Lenin in „Die Aufgaben der Jugendverbände“ festgehaltenen: organisatorische Unabhängigkeit von, weltanschauliche Einheit mit der Partei, eigene Wege zum Sozialismus finden und trotzdem natürlich nicht von der Partei verhätschelt, sondern, wo es Not tut, auch kritisiert werden – denn „schmeicheln dürfen wir der Jugend nicht“. Das ist die Grundlage, die Bedingung für die Entwicklung der sozialistischen Jugendorganisationen wurde – von der „Freien Sozialistischen Jugend“ (FSJ) über die „Kommunistische Jugend Deutschlands“ (KJD, später später Kommunistischer Jugendverband Deutschlands, KJVD), die Freie Deutsche Jugend und die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend.
Und heute? Man sagt sicher nichts schockierend Neues, wenn man feststellt, dass die Aufrüstung mal wieder auf Rekordjagd zieht, dass die Herrschenden die blutbefleckten Säbel schon mal wetzen, um die laufenden 14 Kriegs- und Auslandseinsätze der Bundeswehr wie Betriebsausflüge eines Berliner Start-ups aussehen zu lassen und sich langsam mit den NATO-„ Übungen“ an den russischen und chinesischen Grenzen der Vorhang zum 3. Akt des alten, aber lebendigen Lustspiels der Bourgeoisie namens „Weltkrieg“ zu öffnen droht. Das fordert auch uns heraus: Nicht faden, weil wirkungslosen und im Zweifelsfall doch den Herrschenden nützlichen Pazifismus, sondern kämpferischen Antimilitarismus auf die Straße, in die Schulen, die Betriebe, die Hörsäle und Jugendzentren zu bringen, und zwar unter Liebknechts Losung: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“. Und deswegen zieht die Arbeiterjugend, trotz der teilweisen Müdigkeit, manchmal auch trotz Katererscheinungen, laut und agitierend, oft genug gegen die Übergriffe der durchmilitarisierten Polizei sich wehrend, Jahr für Jahr nach Friedrichsfelde. Und solange sie das tut, solange sie die Empörung gegen völkerrechtswidrige Militäreinsätze zu nutzen weiß, solange sie sich im Kampf zum Kampf, im Lernen zum Lernen und in der Organisation zur Organisation erzieht, so lange läuft auch Liebknecht mit ihr – Trotz alledem.
Unser Autor ist Mitglied der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend