Er sei relativ unsicher, weil er noch nie auf einer Demo geredet habe, sagt Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität am Samstag auf dem Münchner Odeonsplatz. Mehrere hundert Menschen sind zur Kundgebung für die Unterstützung der ukrainischen Regierung gekommen. Eingehüllt in blau-gelbe Fahnen und EU-Flaggen lauschen sie den Reden der Abgeordneten Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Anton Hofreiter (Grüne), Florian Hahn (CSU) und Roderich Kiesewetter (CDU). Auf Schildern wird die Lieferung schwerer Waffen gefordert, von der Bühne schallt es „Slawa Ukraini, slawa Natsii“. Es ist wohl das erste Mal seitdem es die sogenannte „Münchner Sicherheitskonferenz“ gibt (ehemals Wehrkundetagung), dass sich Menschen für die Forderung nach mehr Rüstung und für Intensivierung der Kampfhandlungen versammeln.
Im Luxushotel Bayerischer Hof ist der Ton währenddessen noch rauer. Militärstratege Masala stellt dem Konferenzpublikum den neuen Verteidigungsminister Pistorius vor und begründet mit Blick auf die Russland-Politik die harte Linie der Veranstalter der NATO-Kriegskonferenz: „Solange dieser Staat totalitär bleibt, können wir in keine kooperativen Beziehungen mit ihm treten, sondern müssen wir unsere Sicherheit gegen ihn organisieren.“ Fast neun Jahre nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine und knapp ein Jahr nach dem militärischen Angriff Russlands sondieren die NATO-Staaten auf der Kriegskonferenz in München mögliche Gemeinsamkeiten, versuchen sie globale Akteure in ihre Strategie einzubinden und Rüstungsdeals abzuschließen. Für den Gastgeber Christoph Heusgen eine Premiere. Er löste am vergangenen Wochenende den langjährigen Konferenzchef Wolfgang Ischinger ab, zu dessen Person voriges Jahr durch journalistische Recherchen direkte Verbindungen in die Rüstungslobby aufgedeckt wurden und der dann 2022 das letzte Mal das Zepter in der Hand hielt.
Nachfolger Heusgen appellierte schon vor Konferenzbeginn, über ein Russland nach der Zeit von Präsident Putin nachzudenken. Die von ihm und seinem Team im „Munich Security Report“ ausgeführten Überlegungen bieten Orientierung für die Außenpolitik des deutschen Imperialismus in einem von den USA-dominierten westlichen Block, welcher sich im Handelskrieg gegen China und seinen Verbündeten Russland befindet. Verklausuliert heißt es im offiziellen Begleitdokument der „Siko“, dass der Krieg der NATO-Staaten gegen Russland „demokratischen Ländern und Regierungsformen ein neues Zielbewusstsein verliehen“ habe. Wenn die westlichen Staaten „diesen Schwung nutzen“, „können sie die Koalition der engagierten Akteure vergrößern und die Ordnung wesentlich widerstandsfähiger machen“. Somit „werden Präsident Selenski und das ukrainische Volk einen großen Anteil an diesem Erfolg gehabt haben“.
Die Richtung der Zeitenwende ist klar: Nachdem der herrschende Kurs in Deutschland auf die Stärkung der deutschen Waffenindustrie ausgerichtet war, versuchen außenpolitische Falken nun die NATO-Verbündeten aktiv kriegsbereit an die Seite der Ukraine zu schweißen. Auch die Diskussionen der letzten Monate innerhalb der Bundesregierung um die Ausrichtung der „nationalen Sicherheitsstrategie“ drehen sich nicht nur um Kosten für die Aufrüstung, sondern um die Bündnispolitik auf internationaler Ebene. Ursprünglich sollte das Papier auf der Münchner Konferenz vorgestellt werden, die Bundesregierung brauche jedoch noch etwas Zeit, hieß es wenige Tage vor Beginn der Siko. Einig sind sich die Koalitionäre und Partner darüber, dass sie Länder des globalen Südens in ihre Strategie einbinden müssen, um das Bündnis um China zu schwächen.
Da passt es gut, dass die deutsche Außenministerin die zahlreichen internationalen Gäste der Münchner Konferenz beim Nobel-Dinner umgarnt. Thema: Feministische Außenpolitik. Auf der Konferenz selber spricht Baer-bock dann, weniger zugespitzt als bisher gewohnt, von Klimafinanzierung. Im Buhlen um neue Verbündete und Freunde wird der Ton freundlicher und Streitthemen werden ausgeklammert. Es benötige eine Reform der Weltbank, um sie mehr auf „private Klimainvestitionen“ auszurichten, sowie die Stärkung von Entwicklungsbanken, um den „weniger finanzstarken Ländern“ Zugang zu erneuerbaren Energien zu geben. Bestehende Initiativen, zum Beispiel vom Staatenbündnis Brasilien-Russland-Indien-China-Südafrika, wurden von der grünen Ministerin freilich nicht erwähnt, aber eben auch nicht öffentlich kritisiert.
Spätestens mit dem Auftritt des chinesischen Diplomaten Wang Yi wurde die Einigkeit unter den freundlich lächelnden imperialistischen Partnern auf der Konferenz jedoch gestört. Der Direktor der Zentralen Kommission für auswärtige Angelegenheiten beim Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) machte während seiner Europatour einen Abstecher zur Konferenz in München und setzte deutliche Kontrapunkte zum Kriegstaumel der einladenden NATO-Staaten. Mit Blick auf den Ukraine-Krieg warb der Vertreter aus Peking für eine Friedensinitiative unter chinesischer Führung.
Das Politbüro-Mitglied kritisierte die imperialistische Sanktionspolitik deutlich, denn diese „führt zu endlosen Schwierigkeiten“. Zum Kurs einiger NATO-Staaten äußerte sich der chinesische Chefdiplomat ebenfalls kritisch: „Einigen Kräften ist es vielleicht nicht recht, Friedensgespräche zu erleben. Denen ist das Leid in Europa vielleicht egal, sie haben vielleicht strategische Ziele, die über die Ukraine hinausgehen.“ Er verurteilte die Angriffe auf Atomanlagen in der Ukraine und den Einsatz von biologischen und chemischen Waffen.
Wang betonte, vielmehr seien „die Prinzipien der UN-Charta etwas, das wir hochhalten müssen“ und „die Souveränität und Territorialität aller Länder müssen geachtet werden“. Die Position der Volksrepublik habe sich nicht geändert: „Wir werden standhaft auf der Seite des Friedens und des Dialoges stehen“ und „dem Frieden sollte doch eine Chance gewährt werden“, betonte Wang.
In einem Kommentar des chinesischen Auslandssenders CGTN heißt es zum Auftritt des Diplomaten aus Peking auf der NATO-Kriegskonferenz in München, dieser habe „verhindert, dass sie zu einer vollständigen Mobilisierung der westlichen Mächte zur Unterstützung eines ungewollten Krieges in der Ukraine wurde. (…) Die Münchner Veranstaltung könnte man am ehesten als Verkörperung der Massenhysterie bezeichnen, wenn da nicht die klare Stimme von chinesischer Seite wäre.“
Dieser Wertung ist zuzustimmen, denn schließlich stellt der selbstbewusste Auftritt des chinesischen Gastes eine Besonderheit auf der Konferenz dar. So versuchte Wang die traute Einheit der NATO-Staaten gezielt zu stören, indem er offensichtliche Interessenwidersprüche zwischen den imperialistischen Staaten in Europa und den USA aufzeigte. „Wenn wir uns für Dialog und Zusammenarbeit entscheiden, wird es keine Lagerkonfrontation geben. Wenn wir uns für Frieden und Stabilität entscheiden, wird es keinen neuen Kalten Krieg geben. Wenn wir uns für offene Win-win-Beziehungen entscheiden, werden globale Entwicklung und Wohlstand eine vielversprechende Zukunft haben“, propagierte Wang in München.
Eckpunkte einer möglichen diplomatischen Lösung des Konflikts lotete der Außenpolitiker bereits wenige Tage vorher im Paris mit dem französischen Präsidenten Macron aus. Dort betonte er drei Tage vor seinem Auftritt in München, dass China in der Ukraine-Frage eine „objektive und unparteiische Haltung“ einnehme und der Förderung von Friedensgesprächen verpflichtet sei mit dem Ziel eines sofortigen Waffenstillstands.
Am Rande der Sicherheitskonferenz beriet sich Wang dann auch mit dem ukrainischen Außenminister Kuleba und US-Außenminister Blinken. China hat angekündigt, seine friedenspolitischen Initiativen zu verstärken: „Wir werden etwas vorlegen. Und zwar die chinesische Position zur politischen Beilegung der Ukraine-Krise“. Das Papier soll in den nächsten Tagen veröffentlicht werden, vorher ist Wang noch zu Konsultationen in Moskau, wo er sich mit dem russischen Außenminister Lawrow trifft.
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, die wenige Tage vorher das zehnte Sanktionspaket gegen Russland angekündigt hat, verwarf die Friedensbemühungen der Volksrepublik China noch am gleichen Tag als unglaubwürdig. Ihre Botschaft an dem Wochenende bestand zusammen mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell darin, der Ukraine noch mehr Munition und Waffen zu versprechen. Von der Leyen stellte außerdem in Aussicht, die Rüstungsproduktionen in den EU-Staaten nach dem Vorbild der Corona-Impfstoffproduktion zu koordinieren und zu verbessern. Bundeskanzler Scholz hatte in seiner Rede seine NATO-Partner deutlich aufgefordert, „nun auch wirklich“ Panzer an die Ukraine zu liefern – da diese aus deutscher Produktion kommen, freut sich über diese Aufforderung vor allem die deutsche Rüstungsindustrie. Gegenüber CNN äußerte Scholz im Interview die Perspektive für den mit Waffenlieferungen angeheizten Krieg: „Es ist weise, auf einen langen Krieg vorbereitet zu sein.“
In dieser Stimmung fiel die Forderung des ukrainischen Vize-Regierungschefs Olexander Kubrakow, der ebenfalls in München anwesend war, kaum auf. Bereits am ersten Konferenzabend forderte er neben Kampfflugzeugen auch die Lieferung von Streumunition und Phosphor-Brandwaffen.
Wie jedes Jahr werden die halböffentlichen Beratungen genutzt, um weitere Eskalationen zu diskutieren und salonfähig zu machen. Der US-Senator Mitch McConnell, der zusammen mit einem Drittel aller US-Kongressabgeordneten in der bisher größten US-amerikanischen Delegation zur Münchner NATO-Kriegskonferenz angereist war, stellte zum Beispiel in Aussicht, dass die F-16-Kampfflugzeuge an die Ukraine liefern würde, ginge es nach ihm.
US-Präsident Biden hatte dies bislang ausgeschlossen, so wie auch der NATO-Generalsekretär Stoltenberg die Forderung nach Phosphor- und Streumunition ablehnte. Doch wird sich erst in den nächsten Monaten zeigen, wie sehr die „Sicherheitskonferenz“ in diesem Jahr die denkbaren Optionen verschoben hat.
Im erwähnten „Security Report“ zum Beispiel heißt es im Schlusskapitel mit Blick auf die ideologische Unterstützung einer möglichen atomaren Eskalation in Europa: „Und in Europa hat der Angriff Russlands auf die Ukraine die Begeisterung für den Vertrag über das Verbot von Nuklearwaffen verringert. Eine Meinungsumfrage aus dem Jahr 2022 hat gezeigt, dass die Unterstützung für die nukleare Abschreckung in Deutschland, einem Land, das ihr traditionell sehr skeptisch gegenübersteht, deutlich zugenommen hat. Inzwischen befürwortet eine Mehrheit von 38 Prozent der Bevölkerung die Teilnahme Deutschlands an der nuklearen Teilhabe der NATO, während 31 Prozent sie ablehnen.“
Der ehemalige Konferenzchef Ischinger hingegen stellte einen kaum beachteten Brandbrief vor, den er zusammen mit der „Euro-Atlantic Security Leadership Group“ verfasst hat. In diesem heißt es, dass „ohne praktische Schritte zur Verringerung der nuklearen Risiken“ ein Ende in einer nuklearen Katastrophe „immer wahrscheinlicher“ wird und sich deswegen die Staaten, welche über Nuklearwaffen verfügen, „die Hand geben“ müssen, um dies zu verhindern.
Proteste gegen Kriegskonferenz
Gegen die Gefahr des Atomkriegs und für eine diplomatische Friedenslösung demonstrierten am Samstag circa 20.000 Menschen, die auf verschiedenen Demonstrationen gegen die NATO auf die Straße gegangen sind. Dem Aufruf des Aktionsbündnisses gegen die NATO-Kriegskonferenz folgten gut 5.000 Personen aus dem linken Spektrum: Zu den Aufrufern gehörte die klassische Friedensbewegung in München rund um das Münchner Friedensbündnis, die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG-VK) oder die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). In der Begrüßungsrede des Aktionsbündnisses forderte Ronja Fröhlich, die zusammen mit Mathias Gast auftrat, unter tosendem Applaus: „Wir fordern die Bundesregierung auf, die Außenministerin Baerbock zu entlassen und sich den Initiativen Brasiliens und anderer Länder für eine friedliche Lösung am Verhandlungstisch anzuschließen!“. Die Münchner Linkspartei unterstützte den Protest nicht, weil dieser nicht so „differenziert“ sei wie die Beschlusslage der Linkspartei, welche die Sanktionspolitik der EU- und NATO-Staaten unterstützt. „Nein zur NATO“ war auf zahlreichen Schildern im Protestzug zu lesen. Sevim Dagdelen referierte auf der Abschlusskundgebung vor dem Münchner Rathaus gegen den „Stellvertreterkrieg der NATO gegen Russland“ und erntete breiten Zuspruch der anwesenden Demonstrierenden.
Hinter dem ersten Demonstrationsbanner des Aktionsbündnisses lief neben Fröhlich von der SDAJ und dem DKP-Vorsitzenden Patrik Köbele die Sprecherin der Bayerischen Linkspartei, Adelheid Rupp, deren Landesverband zur Teilnahme an der Demonstration am 25. Februar in Berlin aufruft. Der große rote Sozialismus-Block führte die Demo an, in welchem Mitglieder der Kommunistischen Parteien aus Tschechien, Italien und dem Irak vertreten waren und dem Delegationen von KKE und TKP folgten.
In der gesamten Demo waren vereinzelte Aktivisten und Fahnen der Partei „Die Linke“ zu sehen, ebenso Fahnen der parteinahen Sammlungsbewegung „Aufstehen“, aber auch von Pax Christi oder von ver.di. Die Dienstleistungsgewerkschaft hatte sich ebenfalls nicht durchringen können, den Protestaufruf zu unterstützen – dafür haben ihre streikenden Mitglieder am Freitag am Münchner Flughafen wohl den größten Beitrag zur Störung des ruhigen Ablaufs der Kriegskonferenz geleistet.
Auf der alternativen Kundgebung am Königsplatz mit mehr als 15.000 Teilnehmern hatten unter anderem Jürgen Todenhöfer und Diether Dehm gesprochen. Der ehemalige stellvertretende Vorsitzende der PDS zeigte Berührungspunkte zwischen gewerkschaftlichem Kampf „ohne Tarifvertrag in Konzernen wie Amazon oder im Klinikmonstrum Fresenius“, also „dort wo der staatsmonopolistische Kapitalismus seine Zelte aufgeschlagen hat“, und der Friedensbewegung auf.
MEL
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