Mit dem Beginn des Sommersemesters wird Studierenden keine Perspektive geboten, wann und wie der Normalbetrieb an Hochschulen und Universitäten wieder aufgenommen werden kann. Online-Veranstaltungen und -Prüfungen sind die Regel, Präsenz ist nur in Ausnahmefällen vorgesehen. Über die Studienbedingungen im Lockdown sprachen wir mit Urs Flock. Er studiert Mathe im Masterstudiengang, arbeitet als Tutor an der Universität Bonn und ist dort Mitglied im Personalrat der wissenschaftlich Beschäftigten.
UZ: Derzeit startet das dritte Semester im Lockdown. Wie sind die aktuellen Lernbedingungen für die Studierenden? Hat sich der Lehrbetrieb inzwischen darauf eingestellt? Gibt es überhaupt noch Präsenzveranstaltungen an der Universität Bonn?
Urs Flock: Bei uns ist eigentlich alles zu. Es ist möglich, sich per Voranmeldung Bücher bei der Bibliothek auszuleihen, aber die Lehre findet bei uns in der Mathematik vollständig digital statt. In anderen Fachbereichen gibt es hier und da noch Praktika, Laborzeiten oder ähnliches.
UZ: Wie ist die Qualität der digitalen Lehrangebote bei euch?
Urs Flock: Das kommt – wie bei den Präsenzveranstaltungen auch – sehr auf die Professoren oder Dozenten an. Das meiste findet per Zoom statt. Manche nutzen Whiteboards und stellen die Inhalte live vor. Andere zeichnen vorher alles auf und führen dann nur noch Fragestunden an. Und dann gibt es wiederum Lehrveranstaltungen, wo der Dozent nur noch durch sein Script scrollt und einzelne Sachen hervorhebt. Es hängt also sehr davon ab, wie viel Arbeit der Dozent reinsteckt. Da gibt es gute und sehr, sehr schlechte Beispiele.
UZ: Dann ist der Unterschied zu Präsenzveranstaltungen ja nicht so groß, oder?
Urs Flock: Doch, es gibt ein paar wesentliche Unterschiede. Es trauen sich deutlich weniger Studierende, Fragen zu stellen. Da merkt man schon, dass der persönliche Kontakt zum Dozenten fehlt. Und es ist auch ein großer Unterschied, ob man mit vielen Kommilitonen gemeinsam in einem Raum sitzt und einem Vortrag folgt oder in seinem Zimmer vor dem Rechner. Es fehlt auch das direkte Feedback – auch für die Lehrenden –, das man bekommt, wenn man sein Gegenüber sehen kann.
UZ: Wie ist das für dich als Tutor?
Urs Flock: Ich muss die Tutorien auch online abhalten. Da habe ich oft das Gefühl, ins Leere hinein zu reden. Ich kann kaum abschätzen, ob das Gesagte verstanden wird. Das ist in Präsenz natürlich deutlich einfacher.
UZ: Wie sieht es mit den studentischen Beschäftigten insgesamt aus?
Urs Flock: Tutorinnen und Tutoren werden weiter beschäftigt, wir werden ja auch weiterhin gebraucht. In der Bibliothek ist die Anzahl der Arbeitsstunden reduziert, das heißt, dass nicht alle weiterarbeiten können oder dürfen – zumindest nicht mit der gleichen Stundenzahl.
UZ: Wenn die Bibliothek geschlossen ist, dann heißt dies ja auch, dass beliebte Arbeits- und Lernplätze nicht nutzbar sind. Wie sieht es bei dir aus? Wo und wie bereitest du dich zum Beispiel auf Prüfungen vor?
Urs Flock: Ich sitze tatsächlich zuhause und habe auch das Glück, etwas Platz zu haben und daher vergleichbar gute Bedingungen. Nur ist es auch bei mir so, dass es hier mehr Ablenkung gibt als wenn ich in der Universität lerne. Das ist eine ganz andere Atmosphäre. Es gibt diese Trennung nicht mehr, dass man an der Universität lernt, dann aber irgendwann nach Hause geht und abschalten kann. Es findet eben alles im gleichen Zimmer statt. Es fällt mir deutlich schwerer, mich zu konzentrieren und über einen längeren Zeitraum konzentriert zu lernen.
UZ: Lässt sich nachvollziehen, ob diese Lernbedingungen sich auf die Prüfungsergebnisse auswirken?
Urs Flock: Mein Eindruck ist, dass die Prüfungen im Allgemeinen einfacher geworden sind, um die Bedingungen ein wenig auszugleichen. Das kann ich aber nur für die höheren Semester beurteilen. Für schriftliche Prüfungen wurde bei uns die Benotung sogar ausgesetzt. Das ist deshalb wichtig, weil diese auch in die Endnote einfließen.
Das finde ich grundsätzlich richtig, zumal insgesamt in Frage steht, wie aussagekräftig gerade schriftlich durchgeführte Multiple-Choice-Prüfungen sind (Fragetechnik, bei der zu einer Frage mehrere vorformulierte Antworten zur Auswahl stehen; Anmerkung der Redaktion), weil es oftmals darum geht, Auswendiggelerntes wiederzugeben. Das Verstehen von Inhalten steht dabei nicht unbedingt im Mittelpunkt.
UZ: In der Mathematik ist die Abbrecherquote normalerweise recht hoch. Wie wirkt sich das aus, wenn Benotungen ausgesetzt und Prüfungen vereinfacht werden?
Urs Flock: Derzeit bestehen deutlich mehr Studierende, als das normalerweise der Fall wäre, das stimmt schon. Bei uns gibt es derzeit auch Sonderregelungen zu Fehlversuchen, so dass diese nicht immer gezählt werden. Man kann also sagen, dass derzeit nicht so stark ausgesiebt wird.
Das Problem besteht aus meiner Sicht darin, dass wenig nachvollziehbar ist, ob die Studierenden mitkommen. Es besteht die Gefahr, dass sie nach etlichen Semestern erst merken, ob das Mathe-Studium für sie das Richtige ist.
UZ: Wie viele fallen bei euch denn normalerweise durch oder brechen das Studium ab?
Urs Flock: Ich schätze, dass im ersten Semester etwa die Hälfte der Studierenden abbricht, also nicht mehr zur Vorlesung erscheint und auch erst gar nicht an den Prüfungen teilnimmt. Wir haben meist in den ersten ein bis zwei Wochen das Problem, dass die Hörsäle überfüllt sind. Danach ist immer genug Platz.
Bei den Prüfungen ist es so, dass wir in der ersten Klausur meist eine Bestehensquote von 60 Prozent haben. In der Nachklausur besteht von den übrigen 40 Prozent dann noch einmal etwa die Hälfte.
Studierende in Not
Zwei Drittel aller Studierenden sind darauf angewiesen, auch während der Vorlesungszeit zu jobben, was viele in der Coronakrise in eine finanzielle Notlage gebracht hat. Zwar gibt es die Möglichkeit, eine Überbrückungshilfe des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zu beantragen, doch fast jeder dritte Antrag wird abgewiesen.
Jonathan Dreusch, Vorstandsmitglied des „Freien Zusammenschlusses von Student*innenschaften“, sagt dazu: „Wir haben den Eindruck, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Richtlinien für die Hilfen so gestaltet hat, dass möglichst wenig Studierende unterstützt werden müssen.“