Zur China-Reise des deutschen Bundeskanzlers

In der selbstinstallierten atlantischen Falle

„Olaf Scholz erweist Deutschland in China einen Bärendienst“, titelt die Zeitschrift „Capital“ und zitiert damit „einen der renommiertesten China-Experten“, einen gewissen Andreas Fulda. Fulda hält die Kritik an Scholz, die von der medialen Propagandamaschine bis in die Reihen seiner Regierungsmannschaft reicht, natürlich für „allemal gerechtfertigt“. Nicht wenige „Grüne“ kritisieren gleich die ganze Reise. Es bestünden „erhebliche Zweifel“, so Fulda, „ob Olaf Scholz die Lektion aus dem russischen Angriffskrieg wirklich verstanden“ habe. Fulda hält deutsche Investitionen in China für einen Fehler. Er glaubt, dass es in „zwei bis drei Jahren“ zu einer militärischen Konfrontation zwischen den USA und China um Taiwan kommen wird und dies dann die Beziehungen zwischen Deutschland und China „mit einem scharfen Schwert“ zerschlagen werde. Daher, so die „Logik“, solle man sich auf diese Situation schon im Vorfeld einstellen und die Beziehungen „entflechten“. Ohne „den Sicherheitsschirm der USA“ gebe es „keine deutsche und keine europäische Sicherheit“. An den transatlantischen Beziehungen führe „gar kein Weg vorbei“. „Zu glauben, man könnte einen Mittelweg gehen gegen ein neototalitäres (sic!) China“, sei „völlig falsch“. Damit würden „die Fehler aus der gescheiterten deutschen Russland-Politik wiederholt“.

Die von „Capital“ ausgebreitete Darstellung dürfte ein von den Kriegsmedien und großen Teilen des politischen Personals der Bundesrepublik geteiltes Narrativ sein. Scholz bewegt sich in Peking innen-, europa- und bündnispolitisch auf sehr dünnem Eis. Washington ist erklärtermaßen ganz offensichtlich sogar bereit, den Kalten Krieg gegen Russland und China in einen heißen mit eigenen Truppen zu verwandeln. Egal zu welchen Kosten – ökonomisch, politisch, militärisch und menschlich. Und Washington hat Europa und insbesondere Deutschland dabei in Geiselhaft genommen. Die Ampel muss sich vorhalten lassen, dass sie diesen Crash-Kurs bislang nach Kräften unterstützt hat. Sie ist zu einem der wichtigsten Kriegstreiber geworden, selbst wenn dabei eigene ökonomische Interessen massiv unter die Räder geraten. Jetzt sind politische Absetzbewegungen ausgesprochen schwierig zu realisieren.

Selbst ein Parteifreund von Scholz, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, hat in seiner „Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede“ am 28. Oktober ein düsteres Bild der Lage in Deutschland gezeichnet: „Eine Zeit schwerer wirtschaftlicher Verwerfungen, [der] Energiekrise und explodierender Preise. Eine Zeit, in der unser Erfolgsmodell der weltweit vernetzten Volkswirtschaft unter Druck geraten ist. Eine Zeit, in der gesellschaftlicher Zusammenhalt, das Vertrauen in Demokratie, mehr noch: das Vertrauen in uns selbst Schaden genommen hat.“ Diese Krisenlage lässt Scholz und seine Wirtschaftsdelegation kaum mit breiter Brust in Peking auftreten. Scholz braucht Hilfe – ökonomisch, wie auch politisch. Eine mutwillige, „Entflechtung“ genannte Zerstörung des China-Geschäfts wäre ökonomisches Harakiri. Aber gleichzeitig will auch Scholz den rosa-gelb-olivgrünen Kriegskurs gegen Russland beibehalten.

Diesem Versuch, gewissermaßen die Quadratur des Kreises bei einer kurzen, nur elf Stunden dauernden Stippvisite in Peking zustande bringen zu können, ist Chinas Präsident Xi Jinping mit einem Zitat Helmut Schmidts entgegengetreten, das dieser aus dem „Gelassenheitsgebet“ abgeleitet hatte: „Politische Führer sollten die Gelassenheit haben, die Dinge, die sie nicht ändern können, zu akzeptieren und den Mut, die Dinge zu ändern, die sie ändern könnten und die Weisheit, zwischen beidem zu unterscheiden.“ Es sei wichtig, dass China und Deutschland einander respektierten, den Kerninteressen des jeweils anderen entgegenkämen, an Dialog und Konsultation festhielten und gemeinsam den Störungen durch die Blockkonfrontation und den Versuchen, alles durch die ideologische Brille zu betrachten, entgegenträten.
Letzteres dürfte für Scholz – angesichts des radikalisierten Framings eines Kampfes gegen ein „neototalitäres“ China – kaum zu machen sein. Die kriegsgeilen Atlantiker fahren schweres Geschütz auf. Im Hinblick auf die für die ukrainischen Kräfte und die gesamte ukrainische Gesellschaft sich dramatisch zuspitzende Lage glauben viele an einen „Endsieg“ durch ein Eingreifen von US-/NATO-Kräften. Ein durchaus gängiges, aber durchweg gescheitertes Eskalationsszenario.

Allerdings – Russland ist keine drittklassige Macht, die dem US-Militär nichts entgegenzusetzen weiß, wie es bei allen US-Kriegen nach 1945 der Fall war. Wladimir Putin hatte bemerkt: „Wir haben ja überhaupt noch nicht richtig angefangen.“ Es ist kaum anzunehmen, dass man das in Berlin tatsächlich verstanden hat. Eine Eskalation des Krieges, gleichzeitig in der Ukraine und um Taiwan, wie sie von den neokonservativen Falken in Washington seit einigen Monaten euphorisch vorangetrieben wird, würde den dürftigen Bemühungen von Scholz ein klägliches Ende bereiten. Die Ampel sitzt in der selbstinstallierten atlantischen Falle. Und – wenn wir uns nicht wehren – wir mit.

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