100 Jahre Frauenwahlrecht - Zusammengestellt von Nina Hager

In der Revolution erkämpft

In diesen Tagen wird in den Medien daran erinnert, dass sich am 19. Januar 1919 Frauen in Deutschland zum ersten Mal an Wahlen, den Wahlen zur neuen Nationalversammlung, beteiligten durften – auf Landesebene, so in Baden (5. Januar) und Württemberg (12. Januar) war eine Teilnahme an Wahlen schon einige Tage früher möglich. Am 12. November 1918 hatte der Rat der Volksbeauftragten aus SPD und USPD in Berlin mit dem Aufruf „An das deutsche Volk“ im zweiten Teil des Aufrufs das „mit Gesetzeskraft“ von da an geltende Recht verkündet. Angekündigt wurde unter anderem ein neues Wahlrecht: „Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen.“

Am 19. Januar kandidierten 300 Frauen, 37 wurden in die Weimarer Nationalversammlung gewählt. Am 19. Februar 1919 sprach die Sozialdemokratin Marie Juchacz in Weimar als erste weibliche Abgeordnete vor den neu Gewählten: „Es ist das erste Mal, dass eine Frau als Freie und Gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf, und ich möchte hier feststellen, ganz objektiv, dass es die Revolution gewesen ist, die auch in Deutschland die alten Vorurteile überwunden hat.“ Juchacz gehörte als einzige Frau dem Ausschuss zur Vorbereitung des Entwurfs einer Verfassung an. Vom 1. August 1919 an hieß es in Artikel 109 Absatz 2 der Weimarer Verfassung: „Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben Rechte und Pflichten.“

Lange blieben Frauen – obgleich bereits im 19. Jahrhundert, aber vor allem dann auch während des ersten Weltkrieges, zunehmend als Arbeiterinnen in den Fabriken gefragt – von einer ganzen Reihe von Bürgerrechten und Bildungsmöglichkeiten ausgeschlossen. In Deutschland wurde ihnen lange das Wahlrecht verweigert. 1850 wurde ihnen in den meisten deutschen Staaten die Mitgliedschaft in politischen Vereinen untersagt. Sie hatten auch kein Versammlungsrecht und durften sich nur in „unpolitischen Vereinen“ betätigen. Seit 1850 hieß es zum Beispiel im Paragrafen 8 des bis 1908 gültigen preußischen Vereinsgesetzes: „Politischen Vereinen ist die Aufnahme von Frauenspersonen, Schülern, Lehrlingen verboten. Auch dürfen solche Personen nicht an Veranstaltungen und Sitzungen teilnehmen, bei denen politische Gegenstände behandelt werden.“ Dagegen handelte und engagierte sich vor allem die revolutionäre Arbeiterbewegung – allen voran Clara Zetkin. Aber dafür traten auch progressive bürgerliche Frauen ein.

Unter den Teilnehmern der Demonstrationen am 9. November 1918 in Berlin waren viele Frauen. Sie forderten Brot und Frieden, ein menschenwürdiges Leben und ihre politische und soziale Gleichberechtigung. Sie hatten – in den Familien zu Hause, in den Fabriken, in denen sie vielfach die zur Front einberufenen Männer ersetzen mussten – die Auswirkungen des Krieges und das entstandene Elend unmittelbar zu spüren bekommen. Nicht wenige hatten sich zuvor in den Kriegsjahren an Hungerprotesten, an Aktionen gegen den Krieg, an Streiks beteiligt. Nicht wenigen wurde nun in den Revolutionstagen klar, dass sie ihre Forderungen und Rechte nur durch den Sturz der alten Herrschaft erreichen konnten. Auch fortschrittliche Teile der bürgerlichen Frauenbewegung schlossen sich der Novemberrevolution an. Florence Herve erinnerte in ihrem Buch „Geschichte der deutschen Frauenbewegung“ (Köln 1987, S. 120): „Clara Zetkin war besonders bemüht um die Gewinnung der Frauen für die Revolution. In Ihrem Artikel ‚Die Revolution und die Frauen’ forderte sie die Frauen auf, sich mit dem Erreichten nicht zu begnügen, Zugleich stellte sie die dringende Forderung an die Genossen, die Agitation unter den Frauen einzuleiten.“

Die Novemberrevolution brachte den Frauen unter anderem die Beseitigung der alten Gesindeordnung, die freie Berufswahl, den Achtstundentag und eine relative Verringerung der Ungleichheit der Löhne. Erkämpft wurde eben auch das Frauenwahlrecht, das es in einigen Ländern Europas wie Finnland (1905), Norwegen (1913), Dänemark und Island (1915) sowie Estland (1917) bereits gab, und das uneingeschränkte Koalitionsrecht für Frauen. Heute muss man nicht nur an die Errungenschaften der Novemberrevolution erinnern, sondern unter anderem auch daran, dass man in einem Teil Deutschlands – bis vor bald 30 Jahren – in Fragen der Frauenrechte und -emanzipation in manchem schon viel weiter war als heute.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"In der Revolution erkämpft", UZ vom 18. Januar 2019



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Stern.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit