Das Wahlprogramm von BSW bietet Anknüpfungspunkte für die Friedensbewegung, bleibt aber den Klassenkampf schuldig

In der realpolitischen Falle

Politjournalisten zerbrechen sich die Köpfe, wohin die Reise gehen soll mit Sahra Wagenknecht und ihrem Bündnis. Manche munkeln, ob sie sich im EU-Parlament nicht den Konservativen anschließen wollen. Andere fragen, was das eigentlich bedeuten soll, wenn sich BSW explizit als „nicht links“ bezeichnet.

Im englischsprachigen „Jacobin“-Magazin, welches aus der radikalisierten europäischen Sozialdemokratie kommt, schrieben Sebastian Friedrich und Ingar Solty kürzlich, Wagenknecht „behauptet, sie sei eine Stimme für die ignorierte Mittel- und Arbeiterklasse – aber die Partei konzentriert sich hauptsächlich darauf, Deutsche zu gewinnen, die sich der extremen Rechten zugewandt haben“. Dass diese Deutschen, die bereit sind, eine in Teilen faschistische AfD zu wählen, vielleicht auch Angehörige der lohnabhängigen Klasse und von Mittelschichten sein könnten, liegt auf der Hand. Der soziologische Blick weicht jedoch der politischen Fragestellung nach links und rechts aus. Denn die von Wagenknecht propagierten Wirtschaftstheorien folgen den CDU-Vätern der sich „soziale Marktwirtschaft“ schimpfenden herrschenden kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Sie romantisieren nicht nur die realen wirtschaftlichen Verhältnisse, vielmehr verschleiern sie die Klassenverhältnisse und sind Sand im Getriebe jeder sozialen Bewegung.

Das drückt sich auch im kürzlich vorgestellten EU-Wahlkampf-Programm des BSW aus, in dem es heißt, „kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind der Motor der europäischen und besonders der deutschen Wirtschaft“ – das erscheint wie der Abschied von der Arbeiterklasse. Diesen hatte ein Teil der Bewegungsorientierten in der Linkspartei schon vor Jahren vollzogen, als sie sich jungen urbanen Milieus zuwandten. Seitdem wird die Partei ins grüne und liberale Lager transformiert, teils unter dem Banner einer „solidarischen Moderne“.

Mit dem BSW wendet sich nun ein anderer Teil den eher konservativen, nationalstaatlich-orientierten Wählergruppen zu. Eine Begründung für diese Ausrichtung liefert das BSW im EU-Wahlprogramm: „Während sich das politische Machtzentrum der Welt zunehmend nach Asien und in den globalen Süden verschiebt, intensiviert sich die Rivalität zwischen China und den USA um die globale Vorherrschaft. Vor diesem Hintergrund dürften Spannungen und Konflikte in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Nach dem Willen der EU-Kommission und einflussreicher EU-Regierungen – auch der Bundesregierung – soll die EU in diesen Konflikten als Juniorpartner fest an der Seite der USA stehen. Dadurch droht Europa zwischen den konkurrierenden Machtblöcken zerrieben und in Kriege und Konflikte hineingezogen zu werden, die für den Wohlstand, aber auch für das Leben der Menschen in Europa extrem gefährlich werden können.“

In diesem Stil versucht das zwanzigseitige Wahlprogramm eine europäische Alternative zu den transnationalen Außenpolitikern zu formulieren, um damit das Wahlergebnis zu verschieben und auch der AfD das Wasser abzugraben. Mit Parolen wie „Für eine EU der Abrüstung und Diplomatie“, „Ein friedliches Europa in einer multipolaren Welt“ oder „Solidarische Zusammenarbeit statt EU-Erweiterung“ bieten sich Anknüpfungspunkte für die Friedensbewegung. Auf der anderen Seite wird aber auch gefordert, eine „unkontrollierte Migration in die EU (zu) stoppen“. Daran schließt sich die Konsequenz an: „Wer dort keinen Schutzstatus erhält, hat auch keinen Anspruch auf Zugang zur EU, eine Arbeitserlaubnis oder soziale Leistungen, wie z. B. Bürgergeld, in einem EU-Mitgliedstaat.“ Damit begibt sich das BSW in die Falle der bürgerlichen Realpolitik und klingt wie die etablierten Parteien von AfD bis Grüne.

Das Wahlprogramm von BSW wird trotzdem für viele enttäuschte Wählerinnen und Wähler eine Alternative darstellen. Als Richtschnur für soziale Kämpfe aber dient es nicht, da es die Oberfläche nicht verlässt und sich in den Erklärungsmustern etablierter Stellvertreterpolitik bewegt. Eine Erweiterung des politischen Parteiensystems wird gegen die Offensive des Monopolkapitals, gegen Hochrüstung und Sozialabbau nichts ausrichten können. Spitzenkandidat Fabio de Masi kündigte nun die Gründung einer neuen Fraktion im EU-Parlament an, aktuell liefen entsprechende Gespräche mit potentiellen Partnern. Die Vorstellung dieser langfristigen Parlamentspartner wird Aufschluss darüber geben, ob sich das BSW als parlamentarischer Partner für gewerkschaftliche und soziale Bewegungen anbieten möchte.

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"In der realpolitischen Falle", UZ vom 17. Mai 2024



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