Hacks’ „Orpheus in der Unterwelt“ war beim UZ-Pressefest erst im Babylon zu sehen und wurde am nächsten Tag diskutiert

In der Hölle war und ist der verlorene Sozialismus unsere Hoffnung

Tim Meier

Mit Beethoven führte erst der Ernst-Busch-Chor und anschließend der Regisseur, Autor und Publizist Olaf Brühl am Samstagabend des UZ-Pressefestes das Publikum aus dessen Hölle der Realität in die Oberwelt der Bühne ein. Dort zu sehen war die musikalisch-halbszenische Lesung von „Orpheus in der Unterwelt“ nach Jacques Offenbach in der 1994 vom Deutschen Theater (DT) in Auftrag gegebenen, aber unaufgeführten Bearbeitung von Peter Hacks. (Siehe UZ vom 12. 8.) Hier besprochen wird besonders die Aufführung, ihre Schauspieler und das anschließende Publikumsgespräch am nächsten Sonntagmorgen – Hacks’ 19. Todestag (und Goethes 273. Geburtstag). Das Publikum, das sich schon früh am Einlass drängte, füllte das Kino Babylon gut aus, man zählte knapp 450 Gäste. Jens Mehrles inzwischen dritte Inszenierung dieses Jahr (März: Berliner Theater im Palais; Juli: Theater am Rand, Oderaue) unter der musikalischen Leitung stefanpauls wusste den großen Saal ohne Mikrofone akustisch gut für sich zu nutzen.

Zuerst genannt werden muss hier Winnie Böwes Eurydike, die, wie Regisseur Jens Mehrle in der „jungen Welt“ zu Hacks’ 90. Geburtstag sowie beim genannten Gespräch bemerkt, als „Volk und Gesellschaft“ den Kontrast zum selbstsicheren Orpheus (Gottfried Richter) – Regierung und Kunst – abbildet. Zwar wird sie im Dritten Akt als ein „unwissend und eigenwillig“ Frauenzimmer charakterisiert, aber von Böwe als feministisch selbstbewusste Figur mit großer Stimme, Charme und Ausdruck gespielt. Liebesgott Cupido hieß Orpheus’ göttlicher Beistand, von Volkmar Paschold dargestellt, der zusätzlich noch mit Kontrabass ­begleitete.

Nicht weniger nennenswert ist die ehrwürdige Ursula Werner, die Autorität nicht nur als vertonte Regieanweisung im Haus, sondern auch in der Hölle als königliche wie hämische Proserpina, Gattin Plutos. Einerseits stellt sie zwar den Teufel vor aller Welt als Gott der Impotenz bloß; andererseits will sie den „Maestro“ Orpheus erst in die „Kloake“ rein-, dann aber die Oberweltler rauswerfen, bevor sie eine Revolution in der Hölle verursachen. Besagten Pluto stellt Jörg Thieme nur zu Recht als betörenden Kavalier und jämmerlichen Halunken dar, ein Charakterzug, der nicht wenigen, die sich mit der Bundesrepublik herumplagen müssen, bekannt vorkommen muss. Sein höllisches Hauspersonal besteht aus den erst blökenden, dann zischenden und vorlauten Furien – alle neckisch gespielt von Vera Kreyer –, dem versoffenen Fährmann und einstigen „Prinz von Arkadien“ John Styx, den Felix Würgler grätig verkörpert, und den höllischen Beamten – die Könige Ungarns, Polens und Preußens (stefanpaul, Paschold, Würgler) und ihr Apparat, der singende Ernst-Busch-Chor.

Nach der Einführung am Abend zuvor übernahm Brühl am nächsten Morgen auch das instruktive Publikumsgespräch zum Stück mit dem DKP-Vorsitzenden Patrik Köbele, Regisseur Mehrle und dem Eulenspiegel-Verlagschef sowie Peter-Hacks-Gesellschaftsvorsitzenden Matthias Oehme. Über 60 Menschen folgten der Diskussion zur Frage: „Wo geht es hier aus der Hölle raus?“. Diese ging direkt an Köbele, der antwortete, dass gegen die Höllenmacht des Kapitals nur der Aufstand proletarischer Massen zur Oberwelt führe, ein Kampf, den seine Partei allen Widerständen zum Trotz wacker kämpfe.

Wo die Arbeiterklasse gerade stehe, sei für den Vorsitzenden unter anderem eine Frage der geographischen Spaltung, die sich nach 1990 negativ verschärft habe: Im Westen sei weiter sozialpartnerschaftliches und sozialdemokratisches Denken vorherrschend, hingegen im Osten durch die Folgen der Annexion (Deindustrialisierung, Entwertung sozialistischer Biographien wie invasiver Antikommunismus) Regress. Ein Regress, dem Peter Hacks übrigens trotz des Verlustes seines Vaterlandes nicht unterlag, wie Oehme als nächstes bemerkt, ganz im Gegenteil. Der Dramatiker intensivierte seine Arbeit, schrieb mehr Dramen, trat in intensiven Kontakt mit Kommunisten Deutschlands (siehe beispielsweise die Briefwechsel mit Hans Heinz Holz, Kurt Gossweiler oder André Müller sen.) und schrieb nach dem Verlust sozialistischer Apparate wie der Akademie der Künste oder dem PEN-Zentrum in Zeitschriften wie „konkret“.

Moderator Olaf Brühl bat Mehrle zu erläutern, wieso Hacksens vom DT nie gespielte Bearbeitung 1998 in Bitterfeld ur- und dann dieses Jahr wiederaufgeführt wurde. Der Regisseur erklärte, dass damals eine Gruppe von Künstlern versuchte, Theaterprojekte für den immer wieder privatisierten und verarmten Kulturpalast zu spielen, der vor 1990 dem Chemiekombinat unterstand, den dieser aber nicht finanzieren konnte. Nach zwei Aufführungen, die dem Dramatiker angeblich zu „naturalistisch“ waren, ist das Stück bis 2021 eingemottet worden, als zur 14. Wissenschaftlichen Tagung der Peter-Hacks-Gesellschaft, die sich mit dessen Spätwerk beschäftigte, traditionell ein Kulturhappen für den Vorabend gesucht wurde.

2022 35 11 - In der Hölle war und ist der verlorene Sozialismus unsere Hoffnung - DKP, Pressefest, Theater - Kultur

Bevor man das Podium für das Publikum eröffnete, wurde nochmal der Aufstand im Dritten Akt besprochen: Dienstpersonal wie Höllenbeamte wagen jenen, weil ihr (Regierungs-)Chef Pluto seine Eroberungen für sich behält. Nur deswegen, aus Furcht vor deren revolutionären „Gerechtigkeit“, schicken Totengott wie -gattin das Paar Orpheus und Eurydike wieder nach oben, in die Oberwelt. Hier erkannte das Podium eine wichtige Lektion:

In der Hölle des Imperialismus war und ist die Erinnerung an den verlorenen Sozialismus die Kraft, die Eurydike und ihren Staat(-skünstler Orpheus) zurück zu den Lebenden schickt – Hacks’ „Urwort drauf. Die Wende kann sich wenden.“

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"In der Hölle war und ist der verlorene Sozialismus unsere Hoffnung", UZ vom 2. September 2022



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