Ein Wochenende in Berlin: Die 30. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz und die Luxemburg-Liebknecht-Demonstration 2025

In den Trümmern der alten Gesellschaft

Der Ruß an den unverputzten Ziegelwänden der Wilhelm-Studios im Berliner Stadtteil Reinickendorf zeugt noch davon, wofür die Hallen vor über 120 Jahren errichtet worden waren: Bis vor zehn Jahren wurde hier Eisen gegossen. An diesem Samstag, dem 11. Januar, treiben in diesem Relikt der Deindustrialisierung zarte Pflänzchen der Hoffnung. Die Tageszeitung „junge Welt“ hatte zur 30. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz geladen. Mehr als 3.000 Gäste aus ganz Deutschland und dem europäischen Ausland reisten an, Zehntausende mehr verfolgten die Konferenz im Live-Stream. Sie diskutierten unter dem Motto „Das letzte Gefecht. Wie gefährlich ist der Imperialismus im Niedergang?“ über die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, die wachsende Weltkriegsgefahr durch NATO-Provokationen gegen Russland und China und die geplante Stationierung US-amerikanischer Mittelstreckenraketen in der BRD.

Der Bedarf, sich auszutauschen, zu vernetzen und gemeinsam Kraft für die anstehenden Kämpfe zu schöpfen, ist offenkundig groß. Die Hallen der Wilhelm-Studios waren zu klein für den Andrang. Immer wieder bildeten sich Staus an den Übergängen zwischen Hallen und Räumen. Die Besucher nahmen es gelassen, reagierten solidarisch und hilfsbereit. Viele nutzten Wartezeiten, um neue Genossen kennenzulernen. Für den Platzmangel sind die Wilhelm-Studios verantwortlich, „junge Welt“ hatte ursprünglich mehr Raum angemietet.

Etwas Mut zur Lücke müssen Teilnehmer der größten linken Konferenz Deutschlands ohnehin mitbringen. Das Programm war hochkarätig besetzt und dicht getaktet. Vorträge gab es etwa von Clare Daly aus Irland, ehemalige Abgeordnete des EU-Parlaments, vom Journalisten und Schriftsteller Dietmar Dath und Kwesi Pratt, Generalsekretär des Socialist Movement of Ghana.

Die meisten Referenten betonten ausdrücklich, wie wichtig die Solidarität mit Palästina und Kuba ist. Besonders deutlich wurde das während der Saalmanifestation. Seit 15 Monaten verübe das israelische Militär vor den Augen der Weltöffentlichkeit einen Völkermord in Gaza, kritisierte George Rashmawi. Deutsche Medienberichte darüber, stellte der Sprecher der Palästinensischen Gemeinde Deutschlands fest, unterböten noch das Niveau kritischerer Teile der israelischen Presse. Das palästinensische Volk habe das Recht auf einen unabhängigen Staat in den Grenzen von vor 1967, mit Ostjerusalem als Hauptstadt, bekräftigte Emilia Neurys Acuña Lemes. Sie ist Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas. „Kaum ein Land ist so solidarisch mit Palästina wie Kuba“, lobte Gina Pietsch die Solidarität der Genossen in der Karibik. Die Sängerin und Schauspielerin moderierte die Konferenz formgewandt und sicher. Diese Solidarität wiegt umso schwerer, als Kuba sich nach jahrzehntelanger völkerrechtswidriger US-Blockade selbst in einer schwierigen Lage befindet. Die Folgen dieser Blockade würden aktuell noch verschärft durch Naturkatastrophen, schilderte Neurys. Dennoch seien die Kubaner fest entschlossen, ihre Souveränität zu verteidigen und den Aufbau des Sozialismus voranzutreiben. Dafür bekam Neurys tosenden Applaus, wie vor ihr schon Rashmawi.

Kulturelle Programmpunkte sind fester Bestandteil jeder Rosa-Luxemburg-Konferenz. In diesem Jahr trat etwa das Hans-Zerbe-Jazz-Orchester auf. Zur Eröffnung der Konferenz spielte es das Stück „Sawod“ des russischen Komponisten Alexander Mosorow, das die Geräusche einer Eisengießerei in Musik übersetzt. An ein jüngeres Publikum richteten sich Ezé Wendtoin aus Burkina Faso und Mal Élevé aus Deutschland. Sirrende Afrobeat-Gitarre und eine Kora, die sich beschwingt in höhere Sphären schraubt – wenn auch vom Band – brachten selbst ältere Semester zum Tanzen und Mitsingen. Revolution brauche schließlich Bewegung, feixte Mal Élevé.

Auffällig war in diesem Jahr der hohe Beteiligungsgrad junger Menschen. Die SDAJ habe alleine 500 Tickets für die Konferenz eingekauft, berichtete Sam Gruber, Mitglied des Bundesvorstands des Jugendverbands, im Gespräch mit UZ. In gleich zwei Sälen bot die SDAJ eigenes Programm an. Auf dem Jugendpodium diskutierten Mitglieder mehrerer Gewerkschaftsjugenden zusammen mit jeweils einem Vertreter von SDAJ und DIDF-Jugend darüber, wie die Arbeiterklasse aus der Integration in den Kriegskurs der Herrschenden geholt werden kann. Ihr Fazit: Antiimperialismus müsse in alle Schulen, Universitäten und Betriebe getragen werden.

Die „einzigen Erben von Luxemburg und Liebknecht“, wie Clare Daly auf der Konferenz formuliert hatte, trugen ihren Antiimperialismus jedenfalls tags darauf auf die Straßen Berlins. Mehr als 10.000 Menschen versammelten sich laut Veranstalterangaben zur Luxemburg-Liebknecht-Demonstration 2025 am Frankfurter Tor. Sie gedachten der beiden KPD-Gründer, die am 15. Januar 1919 von faschistischen Freikorps ermordet wurden – mindestens mit Billigung der SPD.

DKP und SDAJ waren mit starken Blöcken vertreten.

Kurz nach Beginn der Demonstration konfiszierten Polizeibeamte ein Transparent der SDAJ. Ein darauf abgebildetes bolschewistisches Symbol, ein rotes Dreieck, rechneten die Beamten fälschlicherweise der Hamas zu. Dadurch geriet der Demonstrationszug erstmals ins Stocken. Mehrere SDAJ-Mitglieder wurden zeitweise festgenommen.

0312 04 - In den Trümmern der alten Gesellschaft - DKP, LL2025, Luxemburg-Liebknecht-Demonstration 2025, Rosa-Luxemburg-Konferenz 2025, SDAJ - Hintergrund

Gut sichtbar und laut war auch der Block der Palästina-Solidarität dahinter. Kurz nachdem die Demo losgelaufen war, forderte die Polizei die Teilnehmer und „vor allem den Palästina-Block“ via Lautsprecher auf, keine verbotenen Parolen zu skandieren. Welche Parolen darunter fallen, teilte sie nicht mit.

Etwas später griffen Polizeieinheiten diesen und den dahinter marschierenden Block kommunistischer Jugendorganisationen brutal an – mit Reizgas, Schlägen – teils mit Schlagstöcken – und Tritten. Laut Ferat Koçak wurden mindestens vier Menschen krankenhausreif verletzt, darunter zwei Minderjährige. Koçak sitzt für die Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus. Er nahm als Parlamentarischer Beobachter an der Demonstration teil. Ein Demonstrant soll mehrere Schläge auf den Kopf bekommen haben und mehrere Minuten lang bewusstlos gewesen sein.

Dank des besonnenen und solidarischen Verhaltens der Demo-Teilnehmer gelang es der Polizei nicht, die Demonstration zu spalten.

Die Berliner Polizei teilte am Montag mit, sie habe 31 Personen festgenommen und 34 Strafanzeigen gestellt. Selbst auf dem Städtischen Zentralfriedhof Friedrichsfelde, in dem die Gedenkstätte der Sozialisten steht, nahm die Polizei noch Menschen fest.

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"In den Trümmern der alten Gesellschaft", UZ vom 17. Januar 2025



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