Rede von Egon Krenz anlässlich des 135. Geburtstages von Ernst Thälmann am 18. April 2021 in Ziegenhals

Immer Standhaft

Liebe Freunde, Genossinnen und Genossen, liebe Anwesende, wir halten Abstand. Räumlich! Nicht politisch.

Wir haben das Wort nicht vergessen, das sich heute fast auf den Tag genau vor 75 Jahren Kommunisten und Sozialdemokraten auf dem Vereinigungsparteitag von SPD und KPD zur SED gaben:

Brüder, in eins nun die Hände!

Es ist geschichtlich anders gekommen als damals gewollt.

Trotz Niederlage bleibt aber wahr: Linke haben auch in der Gegenwart nur eine Chance, wenn sie das Gemeinsame suchen und das Trennende beiseiteschieben.

Unsere politischen Gegner werden uns wieder als „unverbesserlich“ diffamieren, als „Ewiggestrige“, als Dogmatiker „in kleinen Zirkeln“, als „Gefangene unserer DDR-Vergangenheit“.

Nichts von dem sind wir. Wir sind eher die Ewigmorgigen, die sich Gedanken machen um die Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder für ein Deutschland, von dem nur Frieden ausgeht, der inzwischen durch die Politik der USA und ihrer Verbündeten mehr als brüchig geworden ist.

Wir denken anlässlich seines 135. Geburtstages an ihn, den Hafenarbeiter, den Kommunisten, den Parteivorsitzenden, den Abgeordneten des Deutschen Reichstages, den Präsidentschaftskandidaten der KPD, den Häftling der Nazis,

wir gedenken unseres Genossen Ernst Thälmann, den seine Anhänger liebe- und achtungsvoll Teddy nannten.

Ich höre schon von rechts wie auch von links den Einwand: Er hat aber Fehler gemacht.

Ja, wer macht die denn nicht?!

Höher als seine Irrtümer aber steht, dass die KPD unter seiner Leitung eine Massenpartei war und über 5 Millionen Deutsche ihn wählten.

Höher als seine Irrtümer steht die Warnung: Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler und wer Hitler wählt, wählt Krieg!

Was wäre unserem Volk erspart geblieben, wenn Thälmanns Rat verwirklicht worden wäre!

Und vor allem höher als seine Irrtümer steht seine Standhaftigkeit.

Er gab das Wertvollste, was er hatte, sein Leben für ein nazifreies Deutschland. Er hätte sein Leben retten können, wenn er denn abgeschworen, wenn er seine Überzeugung verleugnet hätte.

Er blieb sich und seiner Sache treu – bis in den Tod. Allein deshalb bleibt Thälmann vor allen – wie wir in der DDR sangen – „Deutschlands unsterblicher Sohn“.

Gerade auch deshalb ist es eine arglistige Täuschung schlimmster Art, wenn die AfD Plakate klebte mit dem Bildnis Thälmanns und der Aussage „Thälmann würde AfD wählen.“

Thälmann und AfD schließen einander aus wie Feuer und Wasser. Nichts aber auch gar nichts kann einen Sympathisanten Thälmanns dazu verleiten, seine Stimme der AfD zu geben.

Wenn wir Thälmann ehren, vergesse ich nicht, dass wir in einem Lande leben, in dem seine Mörder nie bestraft wurden und seine Partei, die KPD, noch immer widerrechtlich verboten ist.

Wer Thälmann gerecht werden will, sollte sich für die Aufhebung des Parteiverbots und die Rehabilitierung aller Opfer des Kalten Krieges einsetzen. Und nicht zu vergessen: Gegen die rechtswidrige Verfolgung der FDJ.

Ein kompetenter Zeitzeuge, der aus bürgerlichem Hause stammende Heinrich Mann, meinte zum 50. Geburtstag Thälmanns, er gehöre zu den Helden, zu denen die proletarische Jugend aufblicken könne.

Wörtlich: „Der gefangene Ernst Thälmann ist sehr stark, viel stärker als seine Peiniger… Thälmann ist ein wirklicher Arbeiter mit starken Fäusten und einem gesunden Verstand. Der Feind, der ihn gefangen hält, stellt von allem das Gegenteil dar.“

Jährlich wird in Deutschland der mutigen Männer des 20. Juli 1944 gedacht, die ein Attentat auf Hitler wagten. Das war auch in der DDR so.

Wer aber heute Stauffenbergs gedenkt, darf Thälmann nicht aus seiner Erinnerung streichen und den kommunistischen Widerstand gegen das Naziregime herabwürdigen.

Thälmann war ein glühender Anhänger der Sowjetunion.

Wem auch sonst sollte ein deutscher Kommunist seine Solidarität geben, wenn nicht jenem Land, das die Oktoberrevolution wagte und einen ausbeutungsfreien Staat aufbaute?

Es gibt ihn nun nicht mehr, den Sowjetstaat.

Auch wenn in Russland inzwischen kapitalistische Verhältnisse herrschen, bleibt doch wahr:

Ohne Russland wird es in der Welt und in Europa keinen Frieden geben.

Das wusste schon der Eiserne Kanzler Bismarck – nur seine konservativen Nachkommen – die Nato-treuen Regierungen – ignorieren dies.

Sie erklären Russland – wie das in dem taufrischen Dokument „NATO 2030“ nachzulesen ist, zum „Feind“.

Russland unser Feind?

Das ist Kalter Krieg kurz vor einem heißen!

Ich empfinde es als Schande, dass die Bundesregierung in Vasallentreu zu den USA dieser Politik folgt.

Als knapp 8 – jähriger habe ich noch Plakate gesehen, auf denen die Russen als „Untermenschen“ dargestellt wurden.

Ich fühle mich heute manchmal daran erinnert.

Die offizielle russophobe Hetze in diesem Lande ist unerträglich.

An allem Bösen sind wieder einmal die „Russen Schuld“.

Weil diese antirussische Ideologie das Denken der Regierenden bestimmt, lassen sie in der herrschenden Pandemie lieber Millionen Deutsche ohne Impfschutz statt Sputnik V anzuwenden, mit dem inzwischen in mehr als 50 Ländern erfolgreich geimpft wird.

DDR-Bürger kennen aus Erfahrung die Qualität sowjetischen Impfstoffs. Auch mit seiner Hilfe wurden in der DDR solche Krankheiten wie Pocken, Kinderlähmung, Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Tuberkulose und Masern so gut wie besiegt. Heute sind sie zum Teil wieder da.

80 Jahre nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion wird Russland zum Feind erklärt, sanktioniert Deutschland wieder Russland.

Das ist mehr als geschichtsvergessen, haben doch 27 Millionen Sowjetmenschen ihr Leben auch für Deutschlands Freiheit vom Faschismus gegeben. Es berührt mich äußerst negativ, dass dies dem Deutschen Bundestag keine Gedenkstunde Wert ist.

Vor fünf Jahren erhielt ich von einem Studienfreund aus Moskau eine E-Mail, die immer wieder starke Emotionen in mir auslöst.

„Wir haben den Großen Vaterländischen Krieg gewonnen“, schrieb er, „und letztlich doch verloren. An unseren Grenzen steht die NATO. Fremde Truppen in der Nähe unserer Heimaterde, das sollte es nach den furchtbaren Erfahrungen des deutschen Überfalls vom 22. Juni 1941 nie wieder geben. Dafür starben Millionen meiner Landsleute. Fünfundsiebzig Jahre danach wird Russland von Deutschland wieder bestraft, nicht mit einem Überfall, aber mit einem Wirtschaftskrieg und mit übler Hetze gegen mein Heimatland. “

Soweit die Gedanken meines russischen Jugendfreundes.

Die Russen haben aus ihrer Geschichte heraus ein gutes Gefühl dafür, wer ihrem Land Gutes will und wer es demütigt. Man mag manches am heutigen Russland zu kritisieren haben, nichts, aber auch garnichts kann rechtfertigen, dass auch deutsche Truppen an Russlands Grenzen stehen – egal unter welchem Vorwand.

Nicht Russland hat die Nachkriegsgrenzen in Europa verändert wie der deutsche Außenminister unwissend zu wissen glaubt, sondern die NATO unter Führung der USA.

Die europäischen Nachkriegsgrenzen wurden im Februar 1945 von den drei Großen der Antihitler – Koalition in Jalta auf der schon damals russischen Krim festgestellt und verliefen quer durch Deutschland und Europa.

Die NATO hat sie von der Elbe und Werra an die russische Grenze verlegt. Das kann und wird Russland niemals akzeptieren können.

Hohe ehemalige französische Offiziere üben in einem bemerkenswerten offenen Brief scharfe Kritik an dem Plan «Nato 2030».

Sie verurteilen die Unterordnung Europas unter die USA und heben hervor, dass dieser Plan zwar „friedlich präsentiert“, aber mit „böswilliger Absicht“ ausgearbeitet wurde.

Was erfahren wir in diesen in Tagen aus deutschen Medien?

Russland verschärfe die Lage, weil es an seiner Grenze Truppenbewegungen gebe.

Was aber ist in Deutschland nicht oder nur oberflächlich zu hören, zu sehen oder zu lesen?

Dass die Ukraine das Minsker Abkommen verletzt. Seit Wochen ihre Truppen an der Grenze zu Russland zusammenzieht, dass seit Beginn dieses Jahres die nationalistischen Kreise in der Ukraine ermutigt und geradezu angestachelt werden, ihre aggressiven Ziele gegenüber dem Donbass und Russland auf der Krim mit Waffengewalt zu verfolgen.

Der Beschuss des Donbass wurde ebenso verstärkt, wie der Zufluss von immer mehr Waffen und „Ausbildern“ aus den USA und weiteren Ländern in die Ukraine. Sie rufen nach dem Eingreifen der NATO.
Besonders der neue amerikanische Präsident zündelt und heizt den Konflikt an.

Welch ein Zynismus!

Die USA stationieren fern ihrer Heimat neue Soldaten, führen das Manöver Defender Europa 21 mit über 31 000 Soldaten in Russlands Nähe an und beklagen sich, dass Russland reagiert.

Thälmann zu ehren, das heißt für mich auch, seine Lebensart zu pflegen, sich gegen Lüge und Verleumdung zu wehren, bei Schwierigkeiten nicht klein beizugeben, seine Überzeugung zu verteidigen.

Es ist schwer, sich in dieser durcheinandergeratenen Welt und im Chaos Deutschlands zu Recht zu finden.

Aber: Es gibt einen Kompass. Die uralte Frage der Menschheit ist heute aktueller denn je: Wem dient etwas? Wem nützt es?

Benutzen wir diesen Kompass bei jeder unserer politischen Entscheidungen. Ehren wir Thälmann, indem wir uns treu bleiben.

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