Zum Internationalen Frauentag versammelt eine Neuerscheinung bei Reclam so unterschiedliche Frauen in einem Band wie Olympe de Gouges, Manuela Sáenz, Mathilde Franziska Anneke, Qiu Jin und Alexandra Kollontai. Die Historikerin Alexandra Bleyer hat sich für „Revolutionärinnen. Frauen, die Geschichte schrieben“ auf die Suche nach Frauen gemacht, die sich nicht mit den ihnen zugewiesenen Rollen zufrieden geben, Frauen, die gegen die bestehenden Verhältnisse rebellierten. Interessant sind die Geschichten, die Bleyer zusammengetragen hat – hätte sie uns nur mit ihrer persönlichen Ansicht über Revolutionen verschont.
Den kompletten Umsturz der bestehenden Ordnung findet Bleyer anscheinend nicht so schön – auch das Ansinnen nicht. Und so kennt sie natürlich in ihrem „Bogen von der französischen Revolution 1789 bis zu den Umstürzen am Ende des Ersten Weltkriegs“ (Vorwort) keine Frauen der Pariser Commune – zumindest ist keine von ihnen ihr eine nähere Betrachtung wert. Stattdessen gibt sie einen vermutlich unbeabsichtigten Einblick in ihre Bewertungskriterien, denn sie kann es nicht lassen die von ihr beschriebenen Frauen zu kritisieren. Mit zweierlei Maß.
Über Abigail Adams, die zweite „First Lady“ der USA und Mutter des sechsten US-Präsidenten und überaus findige Unternehmerin, weiß Bleyer zum Beispiel, dass diese ihren Mann auf den Widerspruch zwischen dem Wortlaut der Verfassung, nach der alle Menschen frei seien, und der Praxis der Sklaverei hingewiesen hat, „obwohl selbst keineswegs frei von rassistischen Vorurteilen“. Deutlich wertender geht sie da bei anderen Frauen zu Werke.
George Sand zum Beispiel, „zwischen Sozialismus und Feminismus“, wie Bleyer das Kapitel genannt hat, dreht sie das Wort im Mund um, um ihren Punkt zu machen. Diese schrieb im April 1848 (und schoss dabei, wie Bleyer findet „weit über das Ziel hinaus“) über die anstehende Wahl: „Wenn die Wahlen der sozialen Wahrheit nicht zum Siege verhelfen, wenn sie ein der vertrauensvollen Loyalität des Volkes entrissener Ausdruck der Interessen einer Klasse sind, dann werden die Wahlen, die das Heil der Republik sein sollten, zweifellos deren Untergang herbeiführen. Dann würde es für das Volk, das Barrikaden errichtet hat, nur eine Rettungsmöglichkeit geben: Es müsste ein zweites Mal seinem Willen Ausdruck verleihen und die Entscheidung einer falsche Nationalvertretung aussetzen.“ Für Bleyer ruft Sand zur Revolte, sollten die Falschen gewählt werden – und nicht dann, wenn die Nationalversammlung die falschen Entscheidungen trifft. Und fragt besorgt: „War das ein Aufruf zur Gewalt, sollten korrekte Wahlen nicht zum erwünschten Ausgang führen? Das wäre ein bedenkliches Demokratieverständnis.“
Mit so einem bedenklichen Interpretationsverständnis geht es munter weiter im Aburteilen derjenigen Frauen, die tatsächliche Revolutionärinnen sind. Über Rosa Luxemburg lässt sie gleich im zweiten Absatz des ihr gewidmeten Kapitels richten – von zwei Männern: „Die Frage bleibt, wie realistisch ihre Ziele waren – vor allem ihre Vision einer Revolution ohne blutigen Terror. Die Biographen Michael Brei und Jörn Schütrumpf schreiben von einem Paradoxon: ‚Luxemburg war sehend und blind zugleich.‘“ Da bleibt der Autorin selbst nur noch, herauszustellen, dass Luxemburg Lenin kritisiert hat – und Luxemburgs Integrität mit Plattitüden zu erschüttern zu versuchen, denn, ob sie, „wenn es hart auf auf hart gekommen wäre, ihren Idealen treu geblieben wäre, können wir nicht wissen“. Aha.
Aber auch der bürgerliche Kampf um Frauenrechte ist Bleyer teilweise zu radikal. Ihr Kapitel über die Suffragette Emily Wilding Davison überschreibt sie mit der Frage „Heiligt der Zweck militante Mittel?“ und legt dann direkt los: „Wie weit darf Aktivismus gehen? Mit ihrer Militanz eroberten sie den öffentlichen Raum, erlangten eine enorme Medienpräsenz und brannten sich ins kollektive Gedächtnis. Aber waren es tatsächlich die aufsehenerregenden Aktionen der Suffragetten, die ans Ziel – das Frauenwahlrecht – führten?“ Die Lebensgeschichte von Davison, die sich 1913 beim Epsom-Derby auf die Rennbahn und unter ein Pferd warf, nutzt Bleyer zum Teil dazu, die Einigkeit der Suffragetten in Frage zu stellen – und das Funktionieren ihrer „Kommandoketten“. So wird aus Davison eine radikale Einzeltäterin.
Ob die (teils selbstmörderischen) Aktionen der Suffragetten der Weg zum Ziel waren, darüber kann man streiten. Auch darüber, wann Gewalt ein sinnvolles Mittel zur Durchsetzung der Interessen der Unterdrückten ist. Wenn man allerdings – wie Alexandra Bleyer – der Meinung ist, man habe sich im Kampf um seine Rechte grundsätzlich an die Gesetze der bestehenden Ordnung zu halten, dann sollte man besser kein Buch über aufständische Frauen schreiben. Denn dabei heraus kommt ein Buch über Revolutionärinnen von einer Autorin, die keine Revolutionen mag. Und das hinterlässt den bitteren Beigeschmack, dass Frauen vielleicht doch lieber stillhalten sollen, statt zu radikal aufzumucken – sonst agieren sie noch bedenklich.
Wer gern in einem Werk über revolutionäre Frauen der Geschichte lesen möchte, ohne sich zu ärgern, mache sich auf ins nächste (Online-)Antiquariat und besorge sich das „Lexikon der Rebellinnen“ von Florence Hervé und Ingeborg Nödinger.
Alexandra Bleyer
Revolutionärinnen
Frauen, die Geschichte schrieben
Reclam Verlag, 272 Seiten, 28 Euro
