Immer mehr Fleisch wird in immer weniger landwirtschaftlichen Betrieben produziert. Diesen Trend hat die Heinrich-Böll-Stiftung gemeinsam mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in ihrem neuen Bericht „Fleischatlas Deutschland Regional 2016“ belegt, der vergangene Woche in Berlin vorgestellt wurde.
Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, sagte anlässlich der Präsentation, in den letzten 15 Jahren hätten bis zu 80 Prozent der Bauernhöfe die Tierhaltung aufgeben müssen, während gleichzeitig bundesweit bis zu 50 Prozent mehr Fleisch produziert werde. Besonders dramatisch seien das „Höfesterben“, die Konzentrationsprozesse und die zunehmende Industrialisierung in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen in der Rinder- und Schweinezucht. In Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg nehme zwar die absolute Zahl der Schweine- und Hühnerhaltungen ab, dafür würden dort die Betriebe immer größer. „Wenn bei steigenden Produktionsmengen in Bayern fast 30 000 Betriebe und in Niedersachsen mehr als 13000 Höfe die Schweinehaltung aufgeben, dann haben wir es mit einem tiefgreifenden Strukturwandel zu Lasten kleinbäuerlicher und mittelständischer Betriebe zu tun“, sagte Unmüßig. Dies befördere weiter eine agroindustrielle Landwirtschaft, deren Folgen für das Tierwohl und die natürlichen Lebensgrundlagen auf immer weniger gesellschaftliche Akzeptanz stoßen. Zugleich mache diese Landwirtschaft noch abhängiger von Futtermittelimporten aus dem Ausland, wo Sojamonokulturen bereits heute soziale und ökologische Verheerungen anrichteten.
Laut Bericht wächst die Fleischproduktion vor allem in jenen Bundesländern am stärksten, in denen bereits überdurchschnittlich viele Tiere gemästet werden. „Der Trend zu Megamastanlagen geht weiter. Neue Tierfabriken werden geplant, wo die Auswirkungen der Fleischindustrie bereits am deutlichsten zu spüren sind“, sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. Dort seien die negativen Wirkungen auf die Umwelt wie die Ammoniakemissionen aus den Ställen und die Nitratwerte im Grundwasser jetzt schon inakzeptabel hoch.
Dies gelte für Nordrhein-Westfalen und in besonderem Maße für Niedersachsen, wo Mitte 2015 bereits rund vier Millionen Mastschweine gezählt wurden. In den letzten vier Jahren seien dort nach Recherchen des BUND mehr als 150 000 Schweinemastplätze neu genehmigt worden. „Allein im Landkreis Vechta wurden zwischen 2013 und 2014 trotz einer bereits existierenden extrem hohen Schweinedichte über 87 000 neue Schweinemastplätze genehmigt“, sagte Weiger. Dort produzieren knapp 800 Schweinemäster mehr Tiere als in ganz Schleswig-Holstein oder Hessen. Dies gefährde nicht nur das Trinkwasser, sondern gehe auch oftmals mit der Missachtung des Tierwohls einher.
Eine ähnliche Entwicklung sieht der BUND-Vorsitzende in der Geflügelfleischproduktion. Neben Niedersachsen solle beispielsweise auch in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Sachsen in immer größeren Anlagen immer mehr Geflügel gezüchtet werden. Würden alle beantragten Tierplätze genehmigt, könnte die Masthühnchen-Haltung in Brandenburg noch einmal um knapp 8 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern um mehr als 16 Prozent, in Sachsen-Anhalt sogar um über 30 Prozent wachsen. Auch in Sachsen seien hohe Steigerungsraten zu erwarten.
Dumpingpreise für Lebensmittel trieben viele Bauern in den Ruin, so Weiger. Doch statt etwas an der Situation zu ändern, setze die Bundesregierung auf „Massenproduktion, Export und Maximierung von Profiten“. Mittels Schleuderpreisen für Fleisch konnte dessen Export in den letzten Jahren deutlich erhöht werden. Doch, so Unmüßig, seien inzwischen über 80 Prozent der Deutschen bereit, höhere Preise für Fleisch und Wurst zu zahlen, wenn sie dadurch zu besseren Haltungsbedingungen der Tiere beitragen könnten.
Brandenburg ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Massentierhaltung in der Bevölkerung immer mehr an Rückhalt verliert. Erst vergangene Woche endete das „Volksbegehren gegen Massentierhaltung“ – erfolgreich. In der Landesgeschichte ist es erst das zweite Mal, dass ein Volksbegehren erfolgreich war. Über 103 000 Brandenburger sprachen sich mit ihrer Unterschrift dafür aus, dass das Land keine neuen Mastanlagen mit öffentlichen Geldern fördert. Das waren über 20000 Unterschriften mehr als notwendig, und nun liegt es an der rot-roten Mehrheit im Landtag, ob der Bürgerwille akzeptiert wird oder ob ein Volksentscheid organisiert wird.