Immer fragen – dann wird man Kommunistin

Lars Mörking im Gespräch mit Elfriede Haug

UZ: Du hattest engen Kontakt zu Genossen der illegalen KPD. Wann wurde für dich die Neukonstituierung der Kommunistischen Partei konkret?

Elfriede Haug: Als eine KPD-Genossin, mit der ich Veranstaltungen zum 8. März vorbereitete, im September 1968 zu uns kam und sagte: „Es hat sich die Kommunistische Partei als DKP neu konstituiert, wollt ihr Mitglied werden?“ Mein Mann hat zunächst gesagt, er müsse sich das noch überlegen und ich habe gleich gesagt, dass ich Mitglied werden will.

UZ: Warum der Vorbehalt deines Partners?

Elfriede Haug: Er musste ja erst einmal schauen wie das läuft. Er war Mitglied der KPD und jetzt wollte er erst einmal wissen, was da vor sich geht. Es gab ja vor der Neukonstituierung auch in Bielefeld den Versuch, den Programm-Entwurf der KPD vorzustellen. Die Genossen, die das Programm vorstellen sollten, wurden aber nicht aus dem Zug gelassen oder am Bahnhof verhaftet. Da war der Manfred Kapluck (Mitglied des ZK der illegalen KPD, Anm. d. Red.) dabei. Die Genossen waren sehr vorsichtig, auch weil nach dem KPD-Verbot einige Gruppen aufgeflogen waren.

Als es dann um die Neukonstituierung der Partei in Bielefeld ging und da 35 Leute saßen und im Präsidium Genossen, die ich u. a. vom Ostermarsch her kannte, da war dann alles klar und da haben wir angefangen die Partei aufzubauen.

Inhaltliche Vorbehalte hatte auch Alfred keine. Außerdem wussten wir ja zunächst nicht, ob das nicht schiefgeht mit der Neukonstituierung. Da ging es auch darum, eine illegale Struktur in der Hinterhand zu behalten.

UZ: Du bist 1930 geboren und hast als Kind Faschismus und Krieg miterlebt. Wie bist du zur kommunistischen Bewegung gekommen?

Elfriede Haug: Manche saugen das ja angeblich mit der Muttermilch auf. Bei mir war es so, dass ich in einem Kinderwagen gelegen habe, unter dem eine Schreibmaschine versteckt war.

Als Kind habe ich gefragt, warum Papa weg ist, und mir wurde geantwortet, dass er weg ist, dass er im KZ sitzt. Als Drei- oder Vierjährige hört man solche Buchstaben wie „KZ“, aber man versteht die Bedeutung nicht.

Ich war ein Kind, das nie allein gelassen, immer mitgenommen wurde. Ich war dabei, wenn meine Mutter zu Genossen ging und sie den Moskauer Rundfunk hörten. Nach jeder Sendung waren sie ganz glücklich, weil sie im Rundfunk erfuhren, dass der Teddy – Ernst Thälmann – noch lebt. Von Teddy wusste ich, dass mein Vater ihn auf einer Kundgebung in Oldenburg anlässlich des Bauernhilfsprogramms der KPD 1930 in den Saal begleitete. Teddy war ein Name, der in meiner Kindheit immer wieder vorkam.

Damit fing das Fragen an. Ich habe dann nicht mehr aufgehört zu fragen und nach Ursachen zu forschen. Und wenn man damit angefangen hat, dann wird man Kommunistin.

UZ: Und nach der Befreiung vom Faschismus?

Elfriede Haug: Ich bin 1948 in die FDJ, und 1949 in die KPD eingetreten und dann gleich in die Kreisleitung der KPD gewählt worden. Nach meiner Ausbildung 1951 hat die Partei gesagt, ich solle erst einmal ein Jahr zur Parteischule. Das war zu der Zeit, als die FDJ gerade verboten worden war und die Bundesregierung das KPD-Verbot beantragte.

Nach Rücksprache mit den Genossen in Berlin hieß es dann, wir schicken dich nicht auf die Parteischule, sondern zum Studium. Ich bin dann direkt zum Institut für Publizistik nach Leipzig gegangen, ohne vorher das Abitur nachmachen zu müssen, ohne Vorstudium. Das war ein hartes Brot. Ich hatte keine Vorkenntnisse und eine schwache Schulausbildung. Jetzt hieß es, drei Jahre Publizistik studieren und dann noch mit „gut“ abschließen.

Nach dem Studium ging es nach Hannover in die kommunistische Tageszeitung „Die Wahrheit“. Es gab damals eine Verfolgung kommunistischer Zeitungen, den Namen „Niedersächsische Volksstimme“ hatte man uns geklaut. Um diesen Namen haben wir dann gekämpft.

Am 16. August 1956 stürmte eine Polizeitruppe die Verlags- und Redaktionsräume, nahm uns alle gefangen, sperrte uns in einen Raum, nahm unsere Fingerabdrücke und schickte uns anschließend auf die Straße. Damit waren wir arbeitslos, die Zeitung existierte fortan nicht mehr. Uns kleinere Redakteure hat man damals laufen lassen, leitende Genossinnen und Genossen kamen ins Gefängnis. Wir wurden in alle Richtungen verstreut, der Kontakt zu den Genossinnen und Genossen der Redaktion war erst einmal weg. Wir kriegten ab sofort keinen Lohn mehr und die Solidarität der Partei – der illegalen KPD – und der Gewerkschaft IG Druck & Papier war für uns überlebenswichtig.

UZ: Hattest du nach dem KPD-Verbot noch Kontakt zu deiner Parteigruppe?

Elfriede Haug: Nein, die legale Struktur der Partei war mit dem Verbot vollkommen weg. Ich bin erst einmal zurück zu meinen Eltern. Ich habe mich dann als Buchhalterin – ich hatte vor meinem Studium eine Ausbildung zur Buchhalterin gemacht – bei einem Waschmaschinenvertrieb beworben. Die haben mich auch sofort genommen, weil sie mich brauchten. Aber auch da wurde Druck ausgeübt, keine Kommunistin zu beschäftigen, und ich wurde wieder entlassen. Ich habe dann bei einem Industrie- und Handelsverlag angefangen zu arbeiten.

UZ: Gab es da noch Genossinnen und Genossen oder eine Parteigruppe, die dich unterstützt oder mit dir deinen weiteren Werdegang besprochen hat?

Elfriede Haug: Es gab keine Parteigruppe, aber irgendwo gab es immer Genossinnen und Genossen, zu denen ich Kontakt hatte. Irgendwie hatte ich immer die Partei im Hinterkopf. Es gab auch immer jemanden, der mich auf dem Laufenden gehalten hat. Die haben einen nie hängen lassen.

Als ich mit meinem Lebenspartner damals von Hannover nach Bielefeld ging, habe ich einen Kollegen aus dem Verlag gefragt, wie ich dort an die Partei herankomme. Der sagte zu mir, ich müsse einfach schauen, was draußen in der Welt los sei, und da gäbe es bestimmt Veranstaltungen, vielleicht auch von der Gewerkschaft, und wenn ich auf solchen Veranstaltungen aufträte, dann werde die Partei schon auf mich aufmerksam.

UZ: Wie war die Arbeit in der illegalen KPD organisiert, hast du davon etwas mitbekommen?

Elfriede Haug: Mein Partner war in einem illegalen Dreierkopf, was auch bedeutete, dass wir über seine Arbeit nicht gesprochen haben. Ich erinnere mich aber an eine Stubenversammlung, also eine Versammlung mit vertrauten Genossen privat bei jemandem zu Hause, aber mit einem Referenten. Da kam ein Genosse, der Axel hieß und zu uns sprechen sollte. Ich kam da hin und bekam tellergroße Augen, weil der Genosse Axel Herbert Mies war. Herbert Mies bekam genauso große Augen und wir taten aber nun so, als hätten wir uns nie zuvor gesehen. Ich durfte mir ja nicht anmerken lassen, dass ich Herbert aus der Zeit meiner Arbeit im FDJ-Landesvorstand Niedersachsen kannte.

UZ: Und der Übergang zur Neukonstituierung der kommunistischen Partei bei euch, hast du davon etwas mitbekommen?

Elfriede Haug: Bei einem Besuch einer offiziellen Feier der Stadt Leipzig ergab sich eine Möglichkeit, relativ gefahrlos alle möglichen Kommunistinnen und Kommunisten über die Grenze zu bringen und sich dort zu treffen. Dort waren auch Max Reimann und Herbert Mies als Axel. Der Kurs war zu dieser Zeit schon auf Legalisierung gesetzt. Herbert hat dann alle Kommunistinnen und Kommunisten im Saal aufgefordert, die Politik der KPD offen zu vertreten und öffentlich aufzutreten.

UZ: Und wie habt ihr das umgesetzt?

Elfriede Haug: Bei einer IG-Metall-Versammlung, bei der über den Sechstagekrieg 1967 diskutiert wurde, bin ich aufgetreten gegen Israels Überfall auf Ägypten. Das war eine andere Meinung. Das Gebrüll danach war entsprechend. Am Ende der Delegiertenkonferenz wusste ich: Ein Drittel der Delegierten sind eher links und zwei Drittel sind rechte Gewerkschafter, Sozialdemokraten. Mit dem öffentlichen Auftreten habe ich dann gelernt, wie man sich mit dem linken Drittel verständigen kann.

Im Ausschuss gegen die Atombewaffnung war es beispielsweise so, dass mich jemand gefragt hat, wo ich herkäme, und hat mich zur Gründung des Bündnisses „Blumen für Stukenbrock“ eingeladen. Das war in der Zeit vor der Neukonstituierung der DKP, da haben wir uns schon keinen Maulschutz mehr auferlegt. Da haben wir dann offen gesagt, wer wir sind und was wir diskutieren.

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"Immer fragen – dann wird man Kommunistin", UZ vom 2. März 2018



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