Das Pandemiegesetz NRW schränkt Grundrechte ein oder stellt sie sogar ganz in Frage

Im Wettlauf um das schärfste Gesetz

Nora Hachenburg

Eines muss man der schwarz-gelben Regierung unter Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) in NRW zugestehen: Sie haben sich mit dem am Dienstag letzter Woche in den Landtag eingebrachten Gesetzesentwurf für das „Gesetz zur konsequenten und solidarischen Bewältigung der Covid-19-Pandemie in Nordrhein-Westfalen“ den Titel für das Gesetz mit der schönsten Überschrift verdient. Konsequent wäre, in der aktuellen Situation die Produktion in den Betrieben einzustellen, die für die Bewältigung der Pandemie nicht notwendig sind. Konsequent wäre auch, alle Beschäftigten, Patientinnen und Patienten sowie Bewohnerinnen und Bewohner in Krankenhäusern und Seniorenzentren auf das Virus zu testen. Und solidarisch wären ein Kündigungsverbot und die Aufstockung aller Einkommensformen auf 100 Prozent des letzten Netto-Entgeltes.

Es war zu erwarten, dass die Überprüfung des Gesetzesinhaltes dem nicht standhalten würde. Nicht ganz so erwartbar war der Versuch von Laschet als Kanzlerkandidat in spe, die bayrische Landesregierung und die Bundesregierung rechts zu überholen.

Mit dem Gesetz werden die Befugnisse des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales und der örtlichen Gesundheitsbehörden massiv ausgeweitet, sobald der Landtag einmal „aufgrund der dynamischen Ausbreitung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit im Land eine epidemische Lage von landesweiter Tragweite feststellt“. Danach sind bis zur Feststellung des Endes der epidemischen Lage durch den Landtag zum Teil sehr weitgehende Eingriffe in die Grundrechte der Menschen ohne Befassung im Parlament möglich – bis hin zur Einschränkung des grundgesetzlich verankerten Rechts auf körperliche Unversehrtheit und Freiheit der Person.

Ebenso weitreichend ist die Ermöglichung von Zwangsarbeit für medizinisches und pflegerisches Personal. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Behörden Pflegepersonal, Ärztinnen und Ärzte sowie Rettungskräfte, die nicht mehr im Beruf arbeiten, zur Arbeit in der alten Tätigkeit verpflichten und dem vorhandenen Personal andere Tätigkeiten zuweisen können, soweit das zur Bewältigung der epidemischen Lage dringend erforderlich und angemessen ist. Dass Artikel 12 des Grundgesetzes mit dem expliziten Verbot von Zwangsarbeit per Landesgesetz allgemein und dann durch Anordnung eines örtlichen Gesundheitsamtes konkret geschliffen werden kann, nimmt Schwarz-Gelb im Wettlauf um die schärfsten Gesetze bundesweit gerne in Kauf. Wie gerne, merkt man auch daran, dass dieses Gesetz nicht befristet werden soll.

Die Kritik an dem im Eilverfahren in den Landtag eingebrachten Gesetzentwurf war dementsprechend groß. ver.di NRW lehnte den Entwurf komplett ab, der DGB NRW lehnte eine Zwangsrekrutierung von medizinischem Personal ab und erklärte, diese möge beim Militär funktionieren, nicht aber beim Dienst an den Menschen. In den Stellungnahmen der Gewerkschaften, der Oppositionsparteien und von diversen Verfassungsrechtlern wird die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes in Frage gestellt oder verneint.

Besonders deutlich ist die Unverschämtheit des Gesetzentwurfs für das medizinische und pflegerische Personal: Sie haben in den letzten Jahren am eigenen Leib erfahren, wie das Gesundheitssystem staatlich verordnet kaputtgespart wurde. Sie merken jetzt, dass in der Krisensituation weder die Arbeitgeber noch der Staat in der Lage sind, für ausreichend Schutzkleidung und -masken zu sorgen. Eine Kollegin aus einem privaten Krankenhaus in NRW brachte es auf den Punkt: „Und jetzt wollt ihr uns zwangsverpflichten? Ihr wollt uns wohl verarschen!“ Die Schärfe und Empörung sind angemessen.

Zunächst ist der Plan der Landesregierung nicht aufgegangen. Das Gesetz wurde nicht beschlossen, sondern zur Beratung vertagt. Der Showdown stand nach Befassung in den Landtagsausschüssen für diese Woche Donnerstag an. Das erklärte Ziel der Landesregierung ist eine gemeinsame Beschlussfassung mit den Oppositionsparteien.

Ein positiver Teil dieser leidigen Geschichte ist, dass wieder versucht wird, den Protest auf die Straße zu bringen. Eine Kundgebung der Partei „Die Linke“ am Montag vor dem Landtag wurde zugelassen, auch das Düsseldorfer „Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus“ beteiligte sich an den Protesten anlässlich der Ausschusssitzungen. Mit Blick auf den 1. Mai ist es gut, dass wir uns – wenn auch unter besonderen Bedingungen – die Straßen und Plätze zurückerobern.

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"Im Wettlauf um das schärfste Gesetz", UZ vom 10. April 2020



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