Bret Easton Ellis
Weiß
aus dem amerikanischen Englisch von Ingo Herzke
Kiepenheuer&Witsch, Köln 2019
320 Seiten, 20 Euro (eBook: 16,99 Euro)
Der Westen hat, und das ist ein so alter Trick, die Moral eingeführt, um über Politik nicht reden zu müssen. Moral, weil sie hinter allen möglichen Standpunkten ausgerechnet den herzzerreißenden wählt, macht sich selber handlungsunfähig; deshalb ist sie so beliebt“, merkte Ronald M. Schernikau in seiner Rede auf dem letzten Schriftstellerkongress der DDR im März 1990 an. Moralismus ersetzt Politik, also konkrete Politik als die Organisation des Machbaren und Notwendigen. Im historischen Beispiel 1990 ist es die Ersetzung eines sozialistischen Projektes durch eine restaurative bürgerliche Herrschaft, die politische Debatten vorrangig als Fechten mit der Moralkeule versteht. Das sieht man an der aus Wahlkalkül eines Nachwuchs-SPDlers losgetretenen Enteignungsdebatte, in der das leidige Leitmedium der Leitkultur, Wolf Biermann, jüngst in der FAZ das Label „Blutiger Schnee von gestern“ gibt und nochmal deutlich macht, dass erst die Moral, dann Fressen und Wohnen kommt.
Wie Schernikau, nur komplett anders, ist der 55-jährige Kultautor Bret Easton Ellis auch Moralismuskritiker. Sein Werk dazu heißt „White“, hier gerade als „Weiß“ erschienen.
Was man dort zu lesen kriegt, ist in vielerlei Hinsicht nichts Neues: Kein neuer Roman, der ist zwar seit 2010 und dem mäßigen „Imperial Bedrooms“ (Kiepenheuer&Witsch) erhofft, von Ellis aber verworfen worden. Neu ist auch nicht wirklich, wenn der Autor autobiografische Schnipsel mit der Selbstanalyse seines eigenen Werks verbindet, wobei er sich auf seine Hauptwerke konzentriert. „Unter Null“ (1985) und „American Psycho“ (1991) sind beide Spiegel der egoman-nihilistischen (Post-)Reagan-Ära, an die er nie wieder anknüpfen konnte, und selbst dazu schreibt er: „Heute weiß ich, dass ich niemals glücklicher war als im Sommer 1991.“
Und viel Neues erwartet letztlich vor allem jene nicht, die Ellis‘ Podcasts oder ihm auf Twitter folgen. Dort zog er über die „Generation Wuss“ her, die ungefähr sinngemäß so was wie die „Generation Weichei“ ist, die seiner Meinung nach weder kritikfähig noch tolerant gegenüber anderer Meinung sei, alles in Likes abrechne und ständig in Schnappatmung gerate, wenn etwas passiere, das außerhalb ihrer moralischen Biedermeierrahmen geschehe. Dazu führt er vorrangig zwei große Opfer an: Sich selbst und Donald Trump. Letzterer wurde durch die linke „Wutmaschine“ der „Generation Weichei“ überhaupt erst zum ernstzunehmenden und schließlich siegreichen Präsidentschaftskandidaten gemobbt und in den „mächtigsten Underdog aller Zeiten verwandelt“.
Trump, den hatte er ja quasi vorhergesehen, als geistige Vaterfigur für Pat Bateman, den Yuppie und Genesis-Fan in „American Psycho“, der für seine brutalen Morde und Vergewaltigungen, die er sich wohl nur einbildet, durch konsequente Nichtbeachtung jener Gräueltaten von der Gesellschaft bestraft wird.
Ellis Argumentationen gegen linksliberale Opfer-Stilisierung, Political Correctness, Identitätspolitik, „umgekehrten Sexismus“ und so weiter sind flach. Weil ganz offensichtlich (im Gegensatz zu Schernikau, aber ganz wie Biermann) auch er ein Opfer ist, Opfer der Geschichte, die spätestens seit dem Sommer seines Lebens 1991 eine Wende nach unten vollzieht und dialektisches Denken systematisch eliminiert: „Es gibt in unserer Gesellschaft das zunehmende Problem, dass Menschen zwei einander widersprechende Gedanken im Kopf nicht mehr ertragen können.“ Ellis kann davon keinesfalls ausgenommen werden, dreht er doch plump den Moralismus einer saturierten Wohlstandslinken in seinen Antimoralismus um. Denen, die bei politisch inkorrekter Sprache sofort einen kleinen Hitler vor sich sehen und in der Regierung Trump den Orwellschen Horrorstaat realisiert sehen, brüllt er entgegen, sie bereite einem „kindischen Faschismus“ den Weg.
Alles so wenig unterfüttert, dass er sich ständig selbst relativieren muss. Dass er es nicht erträgt, wenn man Trump vorwirft, er hätte alle Mexikaner als Vergewaltiger bezeichnet, dabei aber selbst eingesteht, dass er eben genau das zu Anfang des Wahlkampfs getan hat, ist nur eines von vielen Beispielen dafür, wie brüchig Ellis‘ Essays gebaut sind.
Auf konkrete Politik, auf Lebensverhältnisse, schaut Ellis kaum, bleibt er doch in seinem eigenen, ihm verhassten Milieu hängen, dem weißen, mittleren Bürgertum, wo sich das Räsonieren über Totalitarismus in jede Richtung ohne existenziellen Stress machen lässt.
Dazwischen gehen einige gute Stellen unter, wenn er anhand des Oscar-gekrönten „Moonlight“ (2017) feststellt, dass westliche Gesellschaften, so politisch korrekt ihre Fassade auch sein mag, einen bekennenden Schwulen am liebsten als „magischen Elf“ sehen wollen, der brav, zurückgezogen und dankbar in Opferhaltung verweilt. Oder Ellis‘ berechtigte Kritik am Personenkult um den Autorenkollegen David Foster Wallace, der sich 2008 das Leben nahm. Spätestens mit dem Film „The End of the Tour“ (2015) mit Jason Segel als Wallace, der einen zurückhaltenden All-American-Sympathico gibt, wurden die Seiten der Person David Foster Wallace ausgeklammert, die einen eifersüchtigen, zorngeladenen (Ex-)Freund nach außen trugen, um das literarische Jahrhundertgenie als netten Kerl von nebenan zu stilisieren.
Ansonsten enthält „Weiß“ von Bret Easton Ellis nicht viel, was zu erwähnen wäre, außer dass sich damit die Abwärtsfahrt des einstigen Jungstars noch einmal beschleunigt.
„Aber tatsächlich war ich nie besonders gut darin, zu erkennen, was jemanden beleidigen könnte“, schreibt er, der vor lauter Morallinken um sich herum selbst zum wüterischen Cry-Baby geworden ist, und man fragt sich, ob er an dieser Blindheit auch gegenüber sich selbst, dem Autor der Meisterwerke „Unter Null“ und „American Psycho“, leidet. Denn „Weiß“ ist allem voran eine satte Selbstbeleidigung.