Im Unklaren

Adi Reiher zum Ausnahmezustand in Essen

Am vergangenen Samstag herrschte in der Innenstadt von Essen Ausnahmezustand. Das Einkaufzentrum Limbecker Platz mit etwa 200 Geschäften wurde geschlossen. Vor den Eingängen patroullierten schwerbewaffnete Einsatzkräfte der Polizei. Auch in der weiteren Einkaufszone zeigten die Sicherheitskräfte erhöhte Präsenz.

Nordrhein-Westfalens Medien vermeldeten im Minutenabstand, tröpfchenweise und drei tolle Tage lang: geplanter Terroranschlag, mehrere Täter, Hinweise von ausländischen Geheimdiensten, Rucksackbomben, gesteuert vom Islamischen Staat aus Syrien – per Facebook. Später zwei Festgenommene, die allerdings am Montag schon wieder freigelassen wurden – kein Tatverdacht. Trotz dieser nebulösen Faktenlage beeilte sich Ministerpräsidentin Kraft Eckpunkte ihres Wahlprogramms zu verkünden; etwa, dass die Zahl der jährlichen Ausbildungsplätze bei der Polizei „so schnell wie möglich“ von derzeit 2000 auf 2300 gesteigert werden soll. Oder: „Wir brauchen mehr Polizeipräsenz in den Stadtteilen und mehr Kriminalpolizei.“ Die sozialen Netzwerke reagierten hektisch auf den Alarmismus von Medien, Sicherheitskräften und Politik. In vielen Beiträgen kamen die Stichworte Flüchtlinge und alternative Politik vor. Es gibt den inzwischen gut eingespielten Mechanismus: Terror bedroht jeden überall und jederzeit, reagiert wird so martialisch wie möglich, Ausländer und Flüchtlinge sind schuld, der staatliche Sicherheitsapparat muss stark, stärker, am stärksten werden.

Von der Realität ist dieses Szenario weit entfernt. Statistik und Risikoforschung weisen aus, dass es um ein Vielfaches wahrscheinlicher ist an Armut, Umweltverschmutzung, bei einem Arbeitsunfall, durch schlechte Lebensmittel, im Autoverkehr oder selbst bei einem Flugzeugabsturz zu sterben als bei einem Terroranschlag.

Alle führenden Politiker wissen um diese Sachlage. Trotzdem gibt es keine rationale Diskussion um nachhaltigen Schutz vor Terror, der nur in der Bekämpfung seiner Ursachen liegen kann. Stattdessen hält man die Bevölkerung regelmäßig in Atem und über die wahre Gefahrenlage im Unklaren.

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"Im Unklaren", UZ vom 17. März 2017



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