Mit Hochwasserversicherungen ist kein Profit zu machen

Im Regen stehen gelassen

Mehr als drei Wochen, nachdem ganze Landstriche in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen dem Hochwasser zum Opfer fielen, wird immer mehr Kritik aus der betroffenen Bevölkerung laut. UZ sprach mit André Hahn, Stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag und Mitglied des Innenausschusses:

UZ: Haben Sie Verständnis für die Menschen, die sich von offizieller Seite im Stich gelassen fühlen?

320502 hahn - Im Regen stehen gelassen - Kapitalismus, Katastrophen, Linkspartei - Politik

André Hahn: Ja, das habe ich, denn es ist insbesondere bei der unzureichenden Vorwarnung der Menschen in den betroffenen Regionen einiges schief gelaufen. Aber dennoch müssen wir hier schon etwas genauer hinschauen. Es gibt eine enorme Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung und viele Menschen, die seit Wochen vor Ort bis zur Erschöpfung helfen. Dazu gehören haupt- und ehrenamtliche Kräfte des Technischen Hilfswerks (THW), des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) und von anderen Hilfsorganisationen, Angehörige der Bundeswehr, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem öffentlichen Dienst und freiwillige Helfer, die einfach kamen, um völlig selbstlos mit anzupacken. Dazu gehören auch zahlreiche Mitglieder meiner Partei „Die Linke“. Die Abgeordneten und Mitarbeiter der Bundestagsfraktion haben zum Beispiel einen Spendentopf gebildet und wollen 100.000 Euro an die „Aktion Deutschland hilft“ übergeben.

Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass auch wieder Hochwasserschäden in meinem Wahlkreis, der Sächsischen Schweiz, sowie in Oberbayern entstanden sind.

UZ: Warum ist die Bevölkerung nicht rechtzeitig vor dem Hochwasser gewarnt worden?

André Hahn: Ganz offensichtlich funktionierte die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden und Institutionen von Bund, Ländern und Kommunen nur sehr unzureichend, Alarmierungssysteme fehlen beziehungsweise sind zu wenig erprobt, Unwetterwarnungen wurden von Behörden, Medien und zum Teil leider auch auf der kommunalen Ebene in den später betroffenen Regionen nicht ernst genug genommen.

UZ: Was hätte aus Ihrer Sicht anders laufen müssen?

André Hahn: Bei rechtzeitiger Warnung der Bevölkerung durch Nutzung aller vorhandenen Wege, also zum Beispiel auch Unterbrechung von Fernseh- und Radiosendungen, Lautsprecherdurchsagen von Polizei und anderen Institutionen sowie früherer Evakuierung wäre die Zahl der tödlich Verunglückten, der Verletzten sowie der getöteten Tiere sicher deutlich niedriger gewesen und auch der Umfang der Zerstörungen und materiellen Schäden wäre geringer ausgefallen.

UZ: Und wer trägt für diese Fehler am Ende die Verantwortung?

André Hahn: Ich bin grundsätzlich gegen Vorverurteilungen, ohne die genauen Abläufe zu kennen. Die Frage, wer für die Versäumnisse während des Hochwassers Verantwortung trägt, muss aus strafrechtlicher Sicht die Justiz klären. Andererseits geht es auch um die politische Verantwortung. Hier sind der Bundestag, die Landtage in NRW und Rheinland-Pfalz sowie die kommunalen Vertretungen in der Pflicht. Sofern erforderlich, müssen dafür eventuell auch Untersuchungsausschüsse eingesetzt werden. Die Sondersitzung des Innenausschusses des Bundestags am 26. Juli, an der ich teilnahm, kann nur der Auftakt gewesen sein, denn hier blieben viele Fragen an Bundesinnenminister Seehofer und den Präsidenten Schuster des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) zu ihrer Mitverantwortung offen.

Zum anderen müssen wir aber auch über die Fehler in der Klima- und Umweltpolitik, über die Bausünden in bekannten Überflutungsgebieten sowie die politischen Versäumnisse im Katastrophenschutz in Bund, Ländern und Kommunen reden und ebenfalls über die Frage, wie sich Haus- und Grundstückseigentümer besser auf solche Ereignisse vorbereiten können.

UZ: Die betroffene Bevölkerung sitzt jetzt auf den vom Hochwasser verursachten Schäden. Viele Menschen besitzen keine Elementarschutzversicherung. Wie kann den Menschen nun trotzdem schnelle Hilfe zuteil werden?

André Hahn: Dass den Betroffenen geholfen und zerstörte Infrastruktur wiederhergestellt werden muss, steht außer Zweifel. Hier sind neben den Versicherungen, die jetzt schnell und unbürokratisch die Schadensregulierung vornehmen müssen, Bund und Länder gefragt. Sie haben bereits erste Hilfsprogramme beschlossen, weitere sind in Vorbereitung. Dies betrifft übrigens nicht nur die Wohnbevölkerung, sondern auch Hilfen für die Unternehmen, für die Kommunen und hoffentlich auch für die Vereine, zum Beispiel, im Sport-, Kultur- oder Sozialbereich. Hinzu kommen die Spenden aus der Bevölkerung, aber auch von Unternehmen und Institutionen sowie die existierenden Hilfsfonds der Europäischen Union.

UZ: Die Versicherungen, die horrende Preise für Elementarschutzversicherungen aufrufen, weigern sich jedoch zu zahlen, wenn Schadensfälle regelmäßig auftreten. Kann man den Menschen, die jetzt Opfer des Hochwassers wurden, nur den Ratschlag geben, woanders hinzuziehen? Was erwarten Sie von den Versicherungen?

André Hahn: Ich habe schon nach dem verheerenden Elbehochwasser von 2002 im Sächsischen Landtag vorgeschlagen, eine Elementarschäden-Pflichtversicherung für alle Grundstückseigentümer einzuführen. Die Versicherungsbranche hatte daran kein Interesse, weil keine Gewinne zu erwarten waren. Hochwasseropfer, die noch aus DDR-Zeiten gegen entsprechende Schäden versichert waren, erhielten nach der Flut die Kündigung oder neue Vertragsangebote zu unbezahlbaren Konditionen. Wenn die existierenden Versicherungen die Betroffenen im Regen stehen lassen und der Staat nicht immer und womöglich noch häufiger riesige Summen an Steuergeldern aufwenden kann, könnte eine solche Pflicht-Versicherung künftig entstehende Schäden ausgleichen, und das nicht nur für Hochwässer, sondern auch bei Tornados, Waldbränden, Hagelschlag und Blitzeinschlägen. Letztere können alle Grundstücke in Deutschland treffen. Wenn alle Gebäudeeigentümer in Deutschland in einen solchen, notfalls auch staatlich verwalteten Fonds einzahlen müssten, wäre der jährliche Beitrag für den einzelnen sehr überschaubar.

Dass Häuser in bekannten Hochrisiko-Gebieten für Überflutungen und schwere Hochwässer, insbesondere in Tallagen überhaupt gebaut wurden, war mindestens fahrlässig. Meine Erfahrungen in Sachsen sind, dass manche Flächen der Natur zurückgegeben und den Grundstückseigentümern dafür angemessene Ersatzflächen für einen Neubau zur Verfügung gestellt werden müssen. Die Entscheidung darüber müssen im Einzelfall die zuständigen Baubehörden der Kommunen treffen. Neubauten in Überflutungsflächen sollten tatsächlich nicht mehr genehmigt werden.

UZ: Wird sich die Bevölkerung darüber hinaus nicht einfach daran gewöhnen müssen, dass es auch in der Bundesrepublik zunehmend zu Naturkatastrophen kommen wird?

André Hahn: Inzwischen ist für die Mehrheit der Menschen wohl unstrittig, dass sich das Klima drastisch verändert. Wir müssen uns besser darauf einstellen und vorbereiten. Dabei können wir auch von anderen Ländern, zum Beispiel in Asien, lernen, die regelmäßig von Unwettern, Dürre und Hochwassern heimgesucht werden.

UZ: Und was bedeutet das bezüglich einer Neujustierung der Klima- und Umweltschutzpolitik?

André Hahn: Der Klimawandel wird unser Leben nachhaltig verändern, auch wenn das manche noch nicht wahrhaben wollen beziehungsweise nicht bereit sind, ihr Verhalten entsprechend zu verändern. Das betrifft die Politik, die Wirtschaft und auch die Lebensweise jeder und jedes Einzelnen. „Die Linke“ hat aus meiner Sicht mit ihrem Wahlprogramm wertvolle Vorschläge für Änderungen in der Klima- und Umweltschutzpolitik vorgelegt und ich hoffe, dass wir mit einem guten Ergebnis bei der Bundestagswahl in den kommenden Jahren auch reale Veränderungen bewirken können.

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"Im Regen stehen gelassen", UZ vom 13. August 2021



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