Clemens Meyers Geschichten sind ruhiger geworden

Im Proletariat nichts Ungewöhnliches

Von Ken Merten

Clemens Meyer

Der Untergang der Äkschn-GmbH

Frankfurter Poetikvorlesungen

S. Fischer 2016, 176 Seiten, 18 Euro

Clemens Meyer

Die stillen Trabanten

S. Fischer 2017, 272 Seiten, 20 Euro

Die Bücher sind zu beziehen beim Neue Impulse Versand,

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E-Mail: info@neue-impulse-verlag.de

Als Anfang diesen Jahres Ulrike Draes­ner (zuletzt: „Nibelungen. Heimsuchung“, Reclam 2016) ihre Dozentur für Poetik an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main antrat, da reihte sie sich ein in eine Ahnenfolge der deutschsprachigen Literaturprominenz, angefangen mit der Österreicherin Ingeborg Bachmann, über Böll, Dürrenmatt, Kirsch und wie sie alle heißen und genannt werden sollten, wenn wir uns hier nicht auf ein paar klangvolle Namen beschränken müssten.

Zu dieser Runde gehört seit 2015 auch Clemens Meyer. Kein schillernder Name, aber einer, der oft fällt, wenn es um junge deutschsprachige Literatur geht. Der Leipziger, 1977 in Halle (Saale) geboren, war vergangenes Jahr Stadtschreiber in Mainz. Sein Debütroman „Als wir träumten“ (S. Fischer, 2006) wurde mit Merlin Rose in der Hauptrolle für die deutschen Kinos adaptiert.

Mit Filmen hat es Clemens Meyer. Das legt der Titel seiner Poetikvorlesung „Der Untergang der Äkschn-GmbH“ schon nahe. Denn an wen denkt man, wenn man liest, wie das englische Wort „Action“ Nicht-Muttersprachlern über die Lippen kommt, wenn nicht an Arnold Schwarzenegger? So erzählt Meyer von VHS-Kassetten, die er trotz Jugendschutz auf dem Flohmarkt kaufte. Darunter Filme des Edel-B-Movie-Machers John Carpenter und Softpornos mit viel Handlung. „Rausch der Filme, die sich mit Literatur vermischten“, heißt es im Band zur Vorlesungsreihe, die zwei Standards für Poetiken erfüllt: Sie ist an vielen Stellen übertrieben kryptisch und albern assoziativ und sie fährt eine Parade der Vorbilder auf.

Für Meyer sind es DDR-AutorInnen wie Brigitte Reimann, Erich Loest oder Werner Heiduczek, die sein Schreiben prägen und mit denen er sich teils sogar privat austauschte. Autoren wie Uwe Johnson, „der stille Käpt’n der Äkschn GmbH“, die Meyer den Weg zur Literatur wiesen, die bloße Unterhaltung hinter sich lässt. US-Schriftsteller wie Dos Passos und dessen Cut-up-Montagetechnik. Hemingway, den er „Papa Hem“ nennt und dessen Kriegsberichte Meyer animierten, über die sozialen Konflikte auf den Straßen Nachwende-Deutschlands zu schreiben. William Faulkner, von dem er nicht nur die Form des Bewusstseinsstroms übernommen hat, sondern auch, sich mit den Gedanken und Gefühlen der Milieus der Unterklassen zu beschäftigen, was bürgerliche Prosa eigentlich exklusiv den Eliten vorbehalten hatte.

Clemens Meyer schreibt über melancholische ArbeiterInnen, verdrossene kleine Angestellte, Dealer und User, Luden und Sexarbeiterinnen. Seine Romane, wie der vielstimmige, sperrige „Im Stein“ (S. Fischer, 2013), sind voll der Sorgen und Nöte der Arbeitslosen und prekär Beschäftigten.

Kürzlich ist sein neuer Erzählband erschienen: „Die stillen Trabanten“ heißt er und jene titelgebenden Trabanten sind nicht etwa ausgeschlachtete PKWs aus sozialistischer Produktion, sondern „diese großen Hochhäuser am Rand der Stadt, deren Lichter in der Nacht langsam erloschen, Wohnung für Wohnung, Fenster für Fenster“. Sie tauchen wieder und wieder auf in den zwölf Storys, die zum Beispiel von einem Sicherheitsmann handeln, der sich in ein jugoslawisches Mädchen verliebt, das nachts in einen Bus gesteckt wird und verschwindet, von einem Bahn-Reiniger, der eine zärtlich-platonische Freundschaft mit einer Bahnhofsfriseurin beginnt, und von einem Mann, der vor Jugendlichen in die Wohnung einer alten Frau schlüpft und sich als deren Zögling Lukas ausgibt, der bei einem Bundeswehreinsatz in irgendeinem „schrecklichen Land“ den Soldatenunfalltod gestorben war. Die letzte Story zeigt Willi Bredel im sowjetischen Exil.

Viel erinnert an Meyers ersten Erzählband von 2008, „Die Nacht, die Lichter“. Wieder gibt es eine Erzählung über Pferderennen und Jockeys. Diesmal fehlen jedoch die Boxer und diesmal werden eigentlich gar keine Schläge ausgeteilt und eingesteckt. Die Erzählungen sind stiller und traumhafter. Der Bahnfahrer, der sich vom Schock erholt, nachdem sich ein Selbstmörder grinsend vor seinen Güterzug auf die Schienen gestellt hat, wird auf der Suche nach dessen Beweggründen selbst zum Lebensmüden: „Er drückte seinen Kopf noch weiter durch die Öffnung, die tiefstehende Sonne blendete ihn, er sah die glänzenden Räder, die rotierenden Pleuelstangen. Er lachte.“

Das Schlafwandlerische überträgt viel von der Verdrossenheit derer, die sich durch eine Nachtschicht schleppen oder in die nächste Kneipe, auf der Pirsch nach einem billigen Rausch mit Gesellschaft. Doch wirft Meyers Prosa weiter die Frage auf, ob es hinreichend ist, was die Masse der Menschen in jener Leistungsgesellschaft beschäftigt durch derartige sprachliche Langeweile zu reproduzieren?

Reicht es aus, wenn sich der Security in den verwahrlosten Wohnblöcken Anfang der Neunziger scheut, zu lange in die blauen Augen des Mädchens zu schauen, aus Angst, sich in ihnen zu „verlieren“? Oder ist das nicht doch unterkomplex, klischeehaft und literarisch einfach nur schlecht?

Trotz der eingängigen Sprache fehlt es den meisten Erzählungen an Tempo und Witz. Größere Konfliktkomplexe wie in der zentralen Erzählung, die sich den Titel mit dem Band teilt, würden den Geschichten nicht schaden. Dort verliebt sich ein Imbissbesitzer in seine muslimische Nachbarin, freundet sich deshalb mit deren Mann an und liest mit Schweinefett an den Fingern im Koran. Die junge Muslima beschreibt Meyer zwar repetitiv, aber das ist verzeihlich, weil er es auf wunderschöne Art tut: „Sie hatte Aknenarben, die fielen sehr auf, denn ihre Haut war fast weiß, wie Kreide, würde man sagen, wie weißes Hühnerfilet, würde ich sagen.“

Ob das dem Kunstbetrieb „Äkschn-GmbH“ reicht, ist fraglich. Denn die ist leistungsorientiert.

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"Im Proletariat nichts Ungewöhnliches", UZ vom 24. März 2017



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