Über 150 Mitglieder und Gäste feierten am 24. September im großen Saal des Frankfurter Literaturhauses den 50. Geburtstag der Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ). In seiner Eröffnungsansprache ging der Vorsitzende, Rechtsanwalt Joachim Kerth-Zelter, auf das programmatische Ziel ein, das heute wie vor 50 Jahren die sichere Richtschnur für die Arbeit der fortschrittlichen Kräfte innerhalb der Juristen biete: die in der Satzung verankerten Prinzipien Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Im täglichen Kampf um die richtige Entscheidung vor Gericht und bei Behörden richte sich der Blick auf die Interessen der arbeitenden Menschen. Die Rechtsordnung habe sich zwar in ihren Verästelungen gewandelt, der Gegensatz von Kapitalinteressen und Arbeiterinteressen bestimme aber heute wie damals die Struktur des Rechts. Die Forderung nach einer Umverteilung von oben nach unten stelle sich angesichts der Krise mehr denn je. Professor Udo Mayer, Ursula Mende und Rechtsanwältin Lea Welsch schilderten im nächsten Programmteil aus ihrer jeweils subjektiven Sicht „Ernstes und Vergnügliches“ aus 50 Jahren Organisationsgeschichte. Mayer, Gründungsmitglied der VDJ („Wir waren ja damals blutjung, (…) und mein Umfeld war der MSB Spartakus“), berichtete von der turbulenten Gründungsversammlung an der Marburger Universität 1972. Ursula Mende führte anschaulich vor Augen, welche Bedeutung Bündnisarbeit und gemeinsame Projekte (wie die Herausgabe des „Grundrechte-Reports“) für die Vernetzung der VDJ haben. Die junge Juristin Lea Welsch gab Nachdenkliches zur verbreiteten politischen Apathie des Berufsstandes an die Zuhörer weiter. In der politischen Arbeit des Verbandes sei es unverzichtbar, Zukunftsfragen mit ihren historischen Ursprüngen in Verbindung zu setzen. Sie erläuterte dies anhand des Gesetz gewordenen Katechismus des Zivilrechts in Paragraf 903 BGB („Der Eigentümer einer Sache kann, … mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen“).
Die VDJ hat sich zum runden Geburtstag eine Festschrift geschenkt: Der vor kurzem im Verlag VSA erschienene Band „Streit ums Recht“ (erhältlich unter uzshop.de) versammelt über 20 Autorinnen und Autoren. Sie ziehen Bilanz der rechtspolitischen Kämpfe der letzten 50 Jahre und richten zugleich den Blick nach vorn. Die Themen berühren dabei fast alle Rechtsgebiete. Ein Bericht über die Schwierigkeiten, unter Juristen linken Protest zu organisieren, gehört ebenso dazu wie Beiträge zu den Grundbedingungen des Kampfes um eine soziale und gerechte Republik und die konkreten Konfliktfelder widerstreitender Arbeiter- und Kapitalinteressen im Arbeitsrecht, Sozialrecht und Mietrecht. Norman Paech untersucht den aktuellen Status des Völkerrechts, Rolf Gössner, Litten-Preisträger des Jahres 2020, analysiert en détail „die jahrzehntelange Tradition“ des Gesetzgebers, vermeintlich unverbrüchliche Freiheitsrechte mehr und mehr auf dem Altar des Sicherheitsstaates zu opfern. Repression hat Tradition. Wie der – vor wenigen Wochen überraschend verstorbene – Staats- und Verwaltungsrechtler Martin Kutscha in seinem Beitrag nachweist, sind Berufsverbote und Gesinnungsschnüffelei solche reaktionären Wiedergänger. Im Beamtenrecht einiger Bundesländer erleben sie zur Zeit ihren zweiten Frühling.
Höhepunkt der Veranstaltung war die Verleihung des diesjährigen Hans-Litten-Preises. Hans Achim Litten gilt als einer der bedeutendsten Anwälte der Arbeiterbewegung der Weimarer Republik. International bekannt wurde er durch den Berliner „Edenpalast“-Prozess. Ein SA-Sturm hatte im November 1930 den beliebten Treffpunkt proletarischer Vereine, den Tanzpalast Eden, überfallen. Litten vertrat die Opfer vor Gericht. Durch geschicktes Taktieren gelang ihm, Adolf Hitler vor Gericht als Zeugen laden zu lassen. Im Kreuzverhör riss Litten dem Nazi-Führer die Maske des Biedermanns herunter. Ein Anwaltskollege notierte damals: „Er vernahm den prominenten Zeugen mit der ihm eigenen beharrlichen Ruhe, machte ihn ein paarmal wütend und ließ ihn beträchtlich schwitzen.“ Am Ende der Sitzung war Hitler zum Gespött geworden. In der Nacht des Reichstagsbrandes nahmen die Nazi-Schergen Hans Litten fest. Eine fünfjährige Odyssee durch Gefängnisse und Konzentrationslager folgte. Brechen konnten sie ihn nicht. Gezeichnet von Misshandlung, Erniedrigung und Folter vollzog Litten in der Nacht des 5. Februar 1938 die letzte freie Entscheidung, die ihm noch geblieben war. Er erhängte sich im KZ Dachau. Zu Ehren von Hans Litten vergibt die VDJ alle zwei Jahren den nach ihm benannten Preis, um fortschrittliches und im Sinne der Arbeiterbewegung parteiisches Engagement zu würdigen. In diesem Jahr ging der Preis an die römische Menschenrechtsanwältin Simonetta Crisci. „Vierzig Jahre auf der Seite der Schwächsten“, schrieb die italienische Tageszeitung „La Repubblica“ am 16. August dieses Jahres. In seiner Laudatio hob Cesare Antetomaso, Sprecher der römischen Sektion der „Giuristi Democratici“ (Demokratische Juristen), ihr hartnäckiges Engagement für die Rechte der Arbeiterschaft, benachteiligter Frauen und Flüchtlinge hervor. Crisci ist Präsidentin der Hilfsorganisation „Senzaconfine“ (Ohne Grenzen) und wurde durch ihre juristische Aufklärungsarbeit im Kontext der Polizeirepressionen beim G8-Gipfel in Genua (2001) bekannt. Simonetta Crisci, die aus Rom angereist war, nahm den Preis sichtlich gerührt entgegen. Für den würdigen und kämpferischen Rahmen der Feier sorgte der Frankfurter Akademische Arbeiterliederchor. Die Songs aus dem aktuellen Programm „Avantgarde und Antifaschismus“, wie die „Resolution der Kommunarden“, die „Ballade vom Wasserrad“ oder das „Lob der Dialektik“ brachten die Botschaft der Veranstaltung auf den Punkt: „Das Sichere ist nicht sicher. So, wie es ist, bleibt es nicht.“