Zum 480. Todestag von Hans Holbein dem Jüngeren

Im Geist der frühbürgerlichen Revolution

Hans Holbein der Jüngere, geboren im Winter 1497/98 in Augsburg und vor 480 Jahren im Oktober oder November 1543 gestorben, war einer der bedeutendsten deutschen Maler des Renaissancehumanismus. Er wuchs in der Freien Reichsstadt Augsburg auf, einem nördlichen Tor der italienischen Renaissance, und erlernte das Malerhandwerk in der Werkstatt seines Vaters. Es war eine Blütezeit der Kunst – Leonardo, Michelangelo, Tizian, Raffael, Riemenschneider, Cranach, Grünewald, Dürer, Paracelsus und Hans Sachs waren Zeitgenossen, wie auch Erasmus, Thomas Morus, Machiavelli und Heinrich VIII. Mit einigen dieser Persönlichkeiten wurde Holbein persönlich bekannt, manche porträtierte er. Holbein erlebte als junger Mann die Zeit, die zur Reformation führte, und den Bauernkrieg, Vasco da Gama entdeckte den Seeweg nach Ostindien über Südafrika, Magellans Erdumsegelung erbrachte einen endgültigen Beweis, dass die Erde rund ist, Spanien vernichtete blutig das Aztekenreich in Mexiko, die Schweiz löste sich vom Deutschen Reich. Das Neue Testament wurde in Martin Luthers Übersetzung veröffentlicht und das Volksbuch „Till Eulenspiegel“ in Straßburg gedruckt.

Augsburg war Sitz der Familie Fugger, Handelsmagnaten und Bankiers, die enormen Reichtum anhäuften. Die Fugger besaßen nahezu ein Monopol auf dem europäischen Kupfermarkt. Jakob Fugger „der Reiche“ wurde 1511 in den Adelsstand des Heiligen Römischen Reiches erhoben und gilt noch heute als einer der reichsten Menschen, die je lebten.

1514/15 wanderte Holbein gemeinsam mit dem Bruder Ambrosius nach Basel, trat dort in eine renommierte Werkstatt ein und ließ sich hier nieder. Basel war eine florierende Buchdruckerstadt. Während dieser Zeit revolutionären Wandels im Buchdesign schuf Holbein Illustrationen für den bedeutenden Baseler Verleger Johann Froben, den Herausgeber der Schriften des Erasmus von Rotterdam. Bereits 1516 entstanden Randzeichnungen Holbeins zu Erasmus’ „Lob der Torheit“, eine scharfe Kritik der Scholastik. Im gleichen Jahr erschien Morus’ bahnbrechendes Werk „Utopia“, das Holbein ebenfalls illustrierte. 1517 leitete Luther die Reformation ein. In Augsburg entstand das erste Bauwerk der deutschen Renaissance, die Fuggerkapelle.

1519 heiratete Hans Holbein Elsbeth Binsenstock, Witwe eines Baseler Gerbers. Dies gestattete ihm, Bürger von Basel und Mitglied der Baseler Malerzunft zu werden. Es entstanden Porträts, religiöse Gemälde sowie Buch­illustrationen. 1523 malte Holbein seine ersten Bildnisse des damals in Basel ansässigen Erasmus, der diese Abbildungen für seine Freunde und Bewunderer in ganz Europa benötigte. Diese Werke machten Holbein international bekannt.

In den frühen 1520er Jahren initiierte Ulrich Zwingli die Reformation in der Schweiz. 1524 nahm Holbein die Arbeit an den Totentanz-Blättern auf und unternahm die grundlegende Neugestaltung des alten Themas in 40 Variationen. In dieser Zeit begann der Bauernkrieg unter Führung von Florian Geyer in Franken, Thomas Müntzer in Thüringen und Michael Gaismair in Tirol – Martin Luther verriet die Bauern (er veröffentlichete im Mai 1525 die Schrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“). Diese forderten in zwölf Artikeln eine Erleichterung ihrer sozialen Lage und wurden bei Frankenhausen von den Fürsten vernichtend geschlagen, wodurch der Adel seine Macht stärkte.

1526 reiste Holbein durch Vermittlung von Erasmus nach England und verbrachte nahezu zwei Jahre im Hause von Thomas Morus und in dessen humanistischen Kreisen, wo er zu einem hohen Ansehen gelangte. Es entstanden zahlreiche Porträts englischer Persönlichkeiten der Zeit, unter anderem von Morus selbst sowie des Erzbischofs von Canterbury.

Zur gleichen Zeit ergriff Albrecht Dürer die Seite der aufständischen Bauern und bekannte sich zur Reformation. Paracelsus verbrannte Bücher der scholastischen Medizin an der Baseler Universität und verkündete sein neues Lehrprogramm. 1528 kehrte Holbein in ein turbulentes, von der Reformation erfasstes Basel zurück und erlebte dort, wie viele alte Patrizier die Stadt verließen, den Protestanten Kirchen überlassen wurden und ein erbitterter Bildersturm einsetzte. Als eine der ersten Darstellungen eines Künstlers der eigenen Familie schuf Holbein 1528 das Gemälde „Bildnis der Frau des Künstlers mit den beiden ältesten Kindern“. 1529 zog Erasmus aus Basel nach Freiburg. 1532 verließ Holbein Basel und siedelte endgültig nach London über, wo er 1536 Hofmaler Heinrichs VIII. wurde und 1543 mit 45 Jahren starb.

In Holbeins Frühwerk fällt eine starke antirömische Tendenz auf. Ähnlich wie andere Humanisten in Basel stand er der Reformation ambivalent gegenüber. Obwohl sie sich eine Reform der Kirche wünschten, zögerten sie, sich vollständig vom traditionellen Glauben zu lösen. Dies rührte daher, dass sie in der Reformation gleichzeitig ein Element sahen, das die Volksopposition fördern könnte.

Doch bis zum Bauernkrieg lässt sich bei Holbein eine Befürwortung der reformistischen Bewegung nachvollziehen. So schuf er Holzschnitte, die das Papsttum und den Ablasshandel anprangern sowie kämpfende Bauern darstellen. Vor allem sein Zyklus „Der Totentanz“, der während des Bauernkriegs entstand, enthält zutiefst antiklerikale und demokratische Aussagen. Das Genre des Totentanzes war seit dem 14. Jahrhundert überliefert, doch erfüllte Holbein seine Darstellungen mit dem Geist der Reformation. Seine für den Holzschnitt gefertigten Zeichnungen wurden von Hans Lützelburger ausgeführt.

4711 Holbein Danse Macabre 38 - Im Geist der frühbürgerlichen Revolution - Künstler, Malerei, Reformation, Renaissance - Kultur
Im Totentanz-Zyklus gibt es für den Ackermann vielleicht Frieden … (Foto: gemeinfrei)

Es ist auffällig, wie viele Kleriker (vom Papst bis zur Nonne) sowie weltliche Machthaber (vom Kaiser über den Richter bis zum Kaufmann) sich der Tod hier holt. Sie werden zumeist wohlgenährt und kritisch dargestellt, in ihrer Gleichgültigkeit gegenüber dem notleidenden Volk. Das Volk wird arbeitend und verarmt vom Tod heimgesucht.

„Der Herzog“ wird in dem Augenblick vom Tod erfasst, als er eine hungernde Frau mit ihrem Kind abweist, der „Ratsherr“ schenkt dem Bettler keine Beachtung, der Teufel des Hochmuts sitzt ihm im Nacken. „Der Richter“ wird vom Reichen bestochen, während der Arme mit der Mütze in der Hand unterwürfig daneben steht – das Urteil steht fest. Der Richterstab ist in der Hand des Todes. Auch der „Fürsprech“ (Schweizerdeutsch für Anwalt) lässt sich durch einen wohlhabenden Bürger bestechen, derweil der Arme händeringend am Bildrand steht. „Der reiche Mann“ mit den Zügen Jakob Fuggers sitzt über seinen Schätzen im Keller mit stark vergitterten Fenstern, wo ihn der Tod findet. Auf dem anderen Blatt, „Der Kaufmann“, liegen Fuggers prächtige Handelsschiffe im Hafen, ihre Fahnen flattern im Wind, der den Handel begünstigt. Aus aller Welt kommende Waren sind fest verpackt entladen. um bald in Profit verwandelt zu werden. Doch auch hier reißt der Tod den Kaufmann am Rock, während dieser sich vergeblich an den Verpackungsseilen festklammert.

„Die Nonne“ holt der Tod, als sie sich, vor dem Altar in ihrer Zelle betend, zum Liebhaber umsieht, der bereits auf ihrem Bett Platz genommen hat. Kam diese junge Frau unfreiwillig ins Kloster? In dem Blatt „Das junge Kind“ bereitet eine Mutter in einer ärmlichen Kate auf offenem Feuer eine Suppe – der Tod holt sich ihr Jüngstes.

Der reiche Mann - Im Geist der frühbürgerlichen Revolution - Künstler, Malerei, Reformation, Renaissance - Kultur
… während der Reiche seine Schätze vom Tod entzogen bekommt. (Foto: gemeinfrei)

„Der Ackermann“ läuft barfuß und zerlumpt hinter dem Pflug her, zu schwach, tiefe Furchen zu graben. Der Tod treibt die Pferde an, der Bauer arbeitet bis zu seinem Ende. Für ihn zeigt sich am Horizont eine friedliche, sonnige Landschaft mit Dorf, wie sie in keinem der anderen Blätter des Totentanzes zu sehen ist. Zeitgleich gewinnt die Landschaftsmalerei mit Albrecht Altdorfer neue Bedeutung. In Holbeins Bild vereint sich vielleicht das Paradies mit der irdischen Utopie von Thomas Morus, einer Insel, auf der für die Begüterten kein Platz und das Privateigentum abgeschafft ist.

Der aussagekräftige realistische Stil des Frühwerks Holbeins atmet den Geist der frühbürgerlichen Revolution. Auch seine Porträts bezeugen eine großartige Charakterisierungskunst. Holbein stellte seine Modelle kühl und sachlich dar, betonte das Wesenhafte der dargestellten Person. Bedeutende Bespiele sind die Abbildungen des Erasmus sowie „Bildnis der Frau des Künstlers mit den beiden ältesten Kindern“.

In seinen letzten Londoner Jahren wurde Holbein als Hofmaler ein gefeierter Künstler, der die Reichen und Mächtigen porträtierte, Ausschmückungen für Festlichkeiten am Hof und Schmuck entwarf sowie Teller und andere wertvolle Gegenstände. Seine Gemälde der königlichen Familie und des Adels sind Zeugnis für den königlichen Hof in der Zeit, in der Heinrich seine Kontrolle über die Church of England festigte und diese von der römischen Kirche und dem Papsttum löste. Holbein verabschiedete sich zunehmend von seinen humanistischen Positionen. Das politische und religiöse Klima hatte sich in England drastisch verändert. 1532 forderte Heinrich VIII. die Autorität des Papstes heraus, als er seine Ehe mit Katharina von Aragon annullieren ließ, um Anne Boleyn zu heiraten. Morus gehörte zu den Gegnern dieses Schritts und trat im Mai 1532 von seinem Amt als Lord Chancellor (oberster Richter und Berater des Monarchen) zurück. 1535 wurde Morus enthauptet. Holbein distanzierte sich.

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"Im Geist der frühbürgerlichen Revolution", UZ vom 24. November 2023



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