Wie der „rote Sheriff“ Pistorius zum Heerführer wurde

Im Eilschritt

Nach dem Rücktritt von Kriegsministerin Christine Lambrecht (SPD) wurden mehrere mögliche Nachfolger gehandelt. Nur in wenigen Listen tauchte der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) auf. Als Pistorius schließlich berufen wurde, wirkten große Teile des Berliner Politikbetriebes überrascht. Die Opposition zeigte zunächst wenig Interesse an einer inhaltlichen Auseinandersetzung. CSU und „Linke“ beschwerten sich über das gebrochene Paritätsversprechen der Regierung, also darüber, dass keine Frau benannt worden war. Der CDU-Abgeordnete Johann Wadephul sprach von einer „Besetzung aus der B-Mannschaft“. Offenbar wusste niemand so richtig, wofür der neue Minister eigentlich steht.

Pistorius hatte sich in den vergangenen Jahren vor allem in der Innenpolitik profiliert. Seine „Law-and-Order“-Mentalität und sein offensiver Einsatz für die Abschiebung von vermeintlichen „Gefährdern“ hatten ihm den Beinamen „roter Sheriff“ eingebracht. Im Jahr 2017 schrieb er ein innenpolitisches Programm für den damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz. Das Papier wurde unter dem Titel „Freiheit in Sicherheit“ vorgestellt und forderte wörtlich ein „europäisches FBI“, „gut aufgestellte und ausgestattete Nachrichtendienste“ sowie eine „Europäische Grenzschutzpolizei“. Diese sollte den „Geburtsfehler“ des Schengen-Raums beheben und „diesen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts verteidigen“. Der Versuch, der AfD den Rang abzulaufen, misslang. Die SPD holte 20,5 Prozent der abgegebenen Stimmen und damit das schlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte. Schulz kam niemals in die Nähe der Kanzlerschaft und Pistorius blieb in Niedersachsen.

In außenpolitischen Fragen stand Pistorius lange für einen Verständigungskurs. Er war Mitglied der Deutsch-Russischen Freundschaftsgruppe des Bundesrates, bis diese im April 2022 aufgelöst wurde. Im Jahr 2018 hatte er sich für die Abschaffung von Wirtschaftssanktionen gegen Russland eingesetzt und erklärt, dass es „keine europäische Friedenspolitik ohne Russland“ geben könne. Neuere Äußerungen weisen in eine andere Richtung. Auf dem Landesparteitag der niedersächsischen SPD sprach er im Mai 2022 von einem „imperialistischen Wahn“ des russischen Präsidenten. Er forderte eine starke Bundeswehr und warb um Unterstützung für das 100-Milliarden-Rüstungspaket. Außerdem sah er die deutsche Aufgabe darin, „der Ukraine zu helfen, diesen Krieg zu gewinnen“.

In den ersten Tagen nach seiner Ernennung zum Kriegsminister vollbrachte Pistorius das Kunststück, sich weder für noch gegen die schnelle Lieferung von Kampfpanzern auszusprechen. Stattdessen zog er sich auf verschwommene Äußerungen zurück. In seiner ersten Stellungnahme erklärte er, dass Deutschland „an einem Krieg beteiligt“ sei, und schob angesichts dieser unerwarteten Wahrheit noch das Wort „indirekt“ hinterher. Am Rande der „Waffenstellerkonferenz“ in Ramstein kündigte er an, die Bestände von „Leopard-2“-Panzern für eine mögliche Lieferung prüfen zu lassen. Zwei Tage später erfreute er in der „Bild am Sonntag“ all jene, die von einer deutschen Großmachtstellung träumen: Ziel müsse es sein, „die stärkste und am besten ausgestattete Armee in der EU zu haben“. Bei „Anne Will“ bezeichnete er Deutschland in Wunderwaffen-Manier als „Leopard-Nation“, die eine „besondere Verantwortung“ habe. Zugleich bekräftigte er, dass die Entscheidung über Panzerlieferungen „im Kanzleramt“ getroffen werde.

Dass Pistorius seine Amtszeit nicht mit einem Paukenschlag eröffnete und sofort mehr schweres Kriegsgerät in die Ukraine schickte, machte ihn in den Augen von grün-gelben Scharfmachern wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Anton Hofreiter (Grüne) verdächtig. Die bisherigen Auftritte des neuen Kriegsministers legen jedoch nahe, dass der Streit in der Ampel eher taktischer Natur ist. Er dreht sich nicht um die Frage, ob der Krieg gegen Russland weiter eskaliert werden soll, sondern darum, wann, wie und mit welcher Geschwindigkeit.

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"Im Eilschritt", UZ vom 27. Januar 2023



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