Mammutprozess gegen ATIK-Aktive in München

Im Auftrag von Erdogan

Von Gerhard Mack

Am 15. April des Vorjahres stürmten deutsche Polizeieinheiten in unverhohlener Kumpanei mit dem türkischen AKP-Regime in einer groß angelegten Razzia die Räumlichkeiten der ATIK (Konföderation der ArbeiterInnen aus der Türkei) sowie mehrere Wohnungen. Flankiert von zeitgleichen Paralleloperationen quer durch Europa wie nachfolgenden Auslieferungen sitzen seitdem zehn ATIK-AktivistInnen in deutschen Gefängnissen ein.

Eine der Angeklagten im Münchener §129-Prozess: Dr. Dilay Banu Büyükavci

Eine der Angeklagten im Münchener §129-Prozess: Dr. Dilay Banu Büyükavci

( no129.info)

Nach 14 Monaten strenger Isolationshaft wird ihnen seit dem 17. Juni dieses Sommers nun vor dem Oberlandesgericht München auf Grundlage des „Terrorismus“-Paragraphen 129 a/b der Prozess gemacht. Der Vorwurf: Sie sollen (führende) Mitglieder der Kommunistischen Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch (TKP/ML) sein. Irgendwelche konkreten Straftaten werden ihnen nicht vorgeworfen.

Manche Mitgliedsvereine von ATIK gibt es seit den 70er Jahren, 1986 hat ATIK sich als Konföderation gebildet. Sie setzt sich europaweit für die Rechte der MigrantInnen, Frauen und ArbeiterInnen ein, engagiert sich gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und verficht die internationale Solidarität und den Antiimperialismus.

Die TKP/ML wiederum, ist eine weder in Deutschland oder anderswo in der EU verbotene, noch sich auf der EU-Terrorliste befindende maoistische Partei, in der Traditionslinie des 1973 bestialisch zu Tode gefolterten türkischen Revolutionärs Ibrahim Kaypakkaya.

Vor diesem Hintergrund fungiert denn auch wie so oft der ursprünglich auf die „Sozialistengesetze“ Bismarcks der Kaiserzeit zurückgehende und seither mehrfach modifizierte, erweiterte und verschärfte Gesinnungs- und Feindstrafrechtsparagraph 129 a/b, als justiziell aufgefahrenes Geschütz.

Nach diesem sogenannten Organisationsstraftatbestand muss den Angeklagten keine einzige konkrete Straftat nachgewiesen werden, alleine die Zurechnung zur inkriminierten Vereinigung reicht aus, um sie auf die Anklagebank zu zerren. Und während Straftatbestände ansonsten an ein konkretes Delikt anknüpfen und dieses zur Voraussetzung haben, setzt die Strafbarkeit nach §129 bereits in deren Vorfeld an, womit sowohl legale politische Tätigkeiten (vom Spendensammeln, über das Verteilen von Publikationen, oder dem Organisieren von Veranstaltungen), wie teils sogar gänzlich neutrale Handlungen bzw. private Verhaltensweisen der Kriminalisierung anheimfallen.

So ist denn der einzige im Anklagekonvolut angeführte Straftatbestand eine weit zurückliegende, vorgebliche Grenzübertrittsverletzung mit einem gefälschten Pass. Ein Delikt, dessen sich die Staatsanwaltschaft zudem erdreistete, gerade gegen Müslüm Elma ins Feld zu führen.

Elma wurde zu Beginn des Militärputsches 1980 in Diyarbakir verhaftet und verbüßte anschließend 22 Jahre Haft in türkischen Gefängnissen. Von Beginn seiner Haft brutalster Folter ausgesetzt, nahm er 1984 an einem zweimonatigen Hungerstreik teil, der bei ihm auch bleibende gesundheitliche Schäden hinterließ. 2002 gelang ihm schließlich die Flucht nach Europa. In Deutschland erhielt Elma dann, nicht zuletzt aufgrund der auch behördlicherseits anerkannten mehrfachen wie monatelangen schweren Folter, Asyl. Landesweite Bekanntheit in der türkischen und kurdischen Linken erlangte der damals junge Anhänger der TKP/ML allerdings bereits Anfang der 80er: als einer der vierköpfigen Gruppe politischer Aktivisten, die sich vor Gericht erstmals standhaft auf kurdisch verteidigten. In seinem Asylantrag gab Elma denn auch an, in der Türkei im Rahmen der TKP/ML aktiv gewesen und deshalb vom türkischen Staat verfolgt worden zu sein. Die deutsche Bundesstaatsanwaltschaft gedenkt ihm jetzt aber genau daraus einen Strick zu drehen.

Dass es sich im Münchner Verfahren um eine „Auftragsarbeit für die Türkei“ handelt, wie es eine Anwältin auf den Punkt brachte, dessen einzige Funktion in der Kriminalisierung kämpferischer migrantischer Strukturen wie des revolutionären Befreiungskampfes liegt, lugt nur notdürftig übertüncht durch sämtliche Poren der Prozess-Farce. Dem korrespondiert freilich schon die einzigartige Konstruktion des §129 b (gegen Mitglieder bzw. UnterstützerInnen einer sogenannten ausländischen terroristischen Vereinigung). Nicht die Justiz, sondern die Politik entscheidet entlang ihrer außenpolitischen Interessen und der Begehrlichkeiten ihrer Partnerländer über die Strafverfolgung. Wer „Terrorist“ ist und wer Freiheitskämpfer, bestimmen Bundeskanzleramt, Außen- und Innenministerium in Abstimmung mit dem Justizministerium. Die Justiz mutiert darin zum unmittelbaren Instrument wie Sprachrohr außen- und machtpolitischer Interessen.

Entsprechend stützen sich die Ermittlungsakten (darunter auch nachweislich unter Folter zu Protokoll gegebene vage Mutmaßungen) der Staatsanwaltschaft denn auch überwiegend auf Akten türkischer Behörden, deren Verfasser im Land am Bosporus zwischenzeitlich durch die Bank entweder selbst in Haft sitzen oder als vermeintliche Gülen-Anhänger untergetaucht sind und ihrerseits als „Terroristen“ verfolgt werden. Was für die deutsche Bundesregierung und die Justiz allerdings „kein Anlass“ ist, „an der Zuverlässigkeit der durch die türkischen Behörden übermittelten Erkenntnisse zu zweifeln“. Diese willfährige Türkei-Connection wirft auch ein bezeichnendes Licht auf die Übersetzungspraxis der Anklage, für die sensiblen politischen Erklärungen und Verteidigungen der Angeklagten ein zugleich in der Türkei ansässiges Übersetzungsbüro beauftragt zu haben.

Derweil wird, wie einer Bundestagsanfrage zu entnehmen ist, auf Ersuchen Ankaras an weiteren Vorerhebungen und Verfolgungsermächtigungen gegen zusätzliche linke türkisch-kurdische Organisationen gezimmert.

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"Im Auftrag von Erdogan", UZ vom 28. Oktober 2016



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