Neues Jahr, neues Glück …? Sicherlich, es wird sich im Jahr 2019 einiges ändern in der Politik. Ein Blick in die Kommentarspalten zeigt: Niemand weiß genau, wie lange Angela Merkel sich noch im Kanzleramt halten kann – und das schon seit Jahren. Das veranstaltete Medienspektakel um die Berliner Götterdämmerung ist eine Farce. Denn an der grundsätzlichen Linie der Berliner Großen Koalition wird sich erst einmal nichts ändern. Wenn es um Sozial- und Grundrechteabbau und um Militarisierung und Rechtsentwicklung geht, sind sich die etablierten Parteien einig.
Und trotzdem war der angekündigte Rückzug von Angela Merkel ein medialer Paukenschlag. Verständlich, denn sie ist seit 13 Jahren Bundeskanzlerin und war 18 Jahre Vorsitzende der CDU. Ich gehöre zu der Generation, denen Kohl und Schröder vielleicht noch ein Begriff sind, die aber bewusst und aktiv nur Merkel mitbekommen haben.
In diesen 13 Jahren Kanzlerschaft hat Merkel bewirkt, dass ihr Stil und ihre Programmatik „alternativlos“ erscheinen – so hat sie das selber öfter genannt.
Anfang November, wenige Tage nach der Bekanntgabe ihres Rückzugs, sitze ich in einer Berliner U-Bahn und denke noch immer darüber nach. Wie hat sich dieses Land durch Merkel verändert?
Offensichtlich ist Krieg zur Normalität geworden, aber welchen Anteil hat sie daran? Als sich Alt-Kanzler Schröder und sein Außenminister Fischer im Jahr 2003 von den Irak-Lügen der US-Administration „nicht überzeugt“ sahen, sprang sie ein: Auf in die USA, um Werbung für die transatlantische Freundschaft zu machen. Doch hier ging es nicht um Pazifisten gegen Kriegstreiber. Im Internet suche ich nach Original-Aussagen von damals und werde schnell fündig. Die Schröder-Fischer-Regierung setzte auf die europäische Karte, das „alte Europa“ sollte nun Stärke beweisen gegen den großen Bruder. Merkel setzte hingegen auf den Windschatten des großen Bruders USA.
Der kurzen Grübelei im Berliner Untergrund folgt ein Termin mit Anders Koustrup Kærgaard. Ich will mit ihm für die „Position“ über den Irak-Krieg reden. Anders war als Nachrichtendienst-Offizier der Dänen am Krieg beteiligt. Heute ist er kein Offizier mehr, sondern Whistleblower. Er hat Geheimnisse verraten über seinen Einsatz. Und seine Veröffentlichungen zeigen nun Wirkung: Im Mai hat ein dänisches Gericht gegenüber 23 irakischen Klägern eingeräumt, dass sie in einem irakischen Gefängnis unmenschlich behandelt wurden. Dass es zur Verschleppung kam, dafür trägt die dänische Armee Mitverantwortung. Gegen das Urteil, welches jedes Opfer mit 4 600 US-Dollar für 70 Tage Folter entschädigt, hat der dänische Verteidigungsminister Berufung eingelegt. Es würde Dänemark in eine schwierige Situation bringen.
Anders und ich haben uns am Rosa-Luxemburg-Platz verabredet. Es wird langsam kühler. Wir suchen uns also ein Café, um etwas Warmes trinken zu können. Anders erzählt mir viel über den fraglichen Einsatz und den Ablauf der Ereignisse. Doch wir kommen schnell auf die Frage, was das mit ihm gemacht hat. Ich frage ihn, wie es ist, als Whistleblower für die Wahrheit einzustehen. Wird man noch beachtet, muss man sich verstecken? Wir sitzen in dem Café hinten in der Ecke, versteckt hinter einer Treppe. Anders sagt: „Mein bisheriges Leben wurde mir auf einmal unter den Füßen weggerissen. Politik, Justiz und Militär behaupteten gemeinsam jahrelang, dass ich ein Lügner sei.“
Erst als wir gehen, bemerken wir, dass wir so abgelegen gesessen haben, dass wir zwei Stunden lang nicht bedient wurden. Über zwei Stunden ist es mir nicht aufgefallen, das Gespräch verging zu schnell. Zurück in meiner Unterkunft mache ich mir etwas Warmes zu trinken und suche weiter nach der Rolle Deutschlands im Irak-Krieg. Und wieder werde ich schnell fündig. Erst 2016 sagte die Kanzlerin in der Bundespressekonferenz: „Ich unterstütze nie einen Krieg. Ich habe auch den Irak-Krieg nicht unterstützt.“