Anne Rieger ist Sprecherin des Bundesausschusses Friedensratschlag
Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg, setzte sich im Dezember auf dem 22. Friedensratschlag in Kassel mit dem Thema „Diversifikation und Rüstungskonversion – statt militärischer Technik. Wie kann der Wandel gelingen?“ auseinander. Kleinere Workshops hatte es schon öfter gegeben. Aber noch nie waren ca. 400 TeilnehmerInnen zu diesem Thema auf dem Friedensratschlag zusammengekommen.
Mit Interesse, Spannung, aber auch Widerspruch folgten sie den Ausführungen des Gewerkschafters. Er vermittelte Einblicke in die Interessenslage der Beschäftigten in Rüstungsbetrieben und in die Diskussionen zu dem für die IG Metall brisanten Thema.
Gleich zu Beginn betonte er „die IG Metall war und ist ein Teil der Friedensbewegung“. Er halte den „jetzigen Kurs der Bundesregierung mit Blick auf Syrien nicht für richtig.“ Die Politik bzw. die vergangenen Interventionen des Westens hätten „ganz maßgeblich zur Destabilisierung der [Nahost-]Region beigetragen“. Der eigentliche Hebel um den IS zu bekämpfen sei u. a. die Austrocknung der Finanzierungsströme.
„Ökonomisch ohne Alternative“
Die Debatte zum Thema Rüstungskonversion und Diversifikation aufzunehmen, sei heute so günstig wie in den letzten 20 Jahren nicht, da die „Zukunftsaussichten“ der Branche aus seiner Sicht schlecht seien. So sei Konversion und Diversifizierung nicht nur ein Beitrag zu Frieden und Abrüstung, sondern für die Branche „ökonomisch ohne Alternative“.
Die Debatte in der IG Metall schilderte er u. a. anhand der Anträge auf dem im Oktober stattgefundenen Gewerkschaftstag. Es sei „Druck im Kessel. Gab es 2011 nur magere drei Anträge aus diesem Bereich waren es in Frankfurt schon 24“, mit einer „beachtlichen Spannweite.“ So werde der Vorstand der IG Metall aufgefordert, „sich eindeutig zu den Beschäftigten der wehrtechnischen Industrie zu bekennen, solle aber gleichzeitig darauf hinwirken „die Rüstungsproduktion und Rüstungsexporte ganz abzustellen“. Zitzelsberger sprach sich dafür aus, dazu „einen geordneten Prozess zu organisieren, der den berechtigten Interessen der Beschäftigten genauso zur Geltung verhilft, wie unserem Anspruch als IGM, einen Beitrag zu einer friedlicheren Welt zu leisten“.
Zunächst listete er die Chancen auf: „Das beschäftigungspolitische Umfeld ist momentan noch günstig, da hochqualifizierte Facharbeiterinnen und Facharbeiter genauso wie Ingenieurinnen und Ingenieure in anderen Wirtschaftsbereichen unterkommen können, z. B. im Bereich der boomenden zivilen Luftfahrt. Dies ist insofern von Bedeutung, als dass Beispiele regionaler Konversion einfacher zu finden sind als rein betriebliche. Viele deutsche Unternehmen aus dem Bereich der Wehrtechnik sind zudem als Mischkonzerne ‚teildiversifiziert’, was den Ausbau der zivilen Bereiche möglicherweise erleichtert“.
Hürden
Bei Rüstungskonversion gehe es aber darum, in neue Geschäftsfelder vorzustoßen. Das sei bereits in zivilen Unternehmen schwierig, wie er aus eigener Praxis wisse. In der Rüstungsbranche seien die Hürden aber ungleich höher: Der Umstellungsprozess sei kosten- und zeitintensiv, Betriebsabläufe und Vertriebsstrukturen müssten umgestellt und neue Märkte entwickelt werden. Das Management scheue Veränderungen wegen der Unsicherheiten, auch weil Renditeerwartungen abgesenkt werden müssten. Zudem befürchte es eine Ausweitung der Mitbestimmung, wenn Vorschläge für eine Umstellung auf zivile Produkte insbesondere aus den Reihen der Beschäftigten kämen. Diese Hürden erklärten auch, warum es zwar Beispiele für Diversifizierung, kaum aber für Konversion auf betrieblicher Ebene gegeben habe. Das Ende der Blockkonfrontation sei das bislang erfolgreichste Konversionsprogramm gewesen.
Mehr „Erdung“
Er plädierte als Ziel „realistische Ansätze zur Ablösung einseitiger Abhängigkeiten von der Rüstungsproduktion“ ins Auge zu fassen, warb für mehr „Erdung“, d. h. für eine Debatte, die sich am aktuellen IG Metallvorstandsprojekt „Konversion und Diversifikation“ orientiere. Drei Bausteine spielten dabei „eine besondere Rolle“.
1. Erarbeitung eines betrieblichen Handlungsleitfadens für Innovations- und Diversifikationsprojekte
2. Betriebliche und regionale Workshops, ausgehend von Betriebsräten, die sich ausdrücklich dazu bekennen, diesen Prozess zu unterstützen, oder von Verwaltungsstellen, wo es relevante Betriebe oder Cluster aus dem Bereich der Rüstungsindustrie gibt.
3. Auswertung der Handlungsleitfäden und Workshops zur Entwicklung gemeinsamer Strategiepapiere.
Es sei nötig an die Politik heranzutreten, damit die bereitgestellten Mittel aus dem Wirtschaftsministerium für die Projekte auch tatsächlich gebilligt und auch aufgestockt würden. Möglichst klare Vorgaben der Rüstungs- und Beschaffungspolitik als Orientierungsrahmen für entsprechende Märkte seien seiner Meinung nach nötig. In einem ersten Schritt seien sie auf die NATO-Ebene zu begrenzen.
Miteinander statt übereinander reden
Als letztes warnte er davor, die Beschäftigten der betreffenden Firmen moralisch in Haft zu nehmen oder abzuqualifizieren. Särge vor einer Firma abzulegen und die Kolleginnen und Kollegen als Mörder zu brandmarken, erreiche das Gegenteil von dem Versuch, miteinander ins Gespräch zu kommen. Als Beispiel nannte er die Beschäftigten und Betriebsräte von Heckler & Koch, die mit der IGM nicht mehr sprechen wollen, weil sie meinen, die IG Metall sei gegen sie. So werde es schwierig mit ihnen darüber zu reden, was sie denn anderes produzieren könnten.
Er warb dafür, miteinander statt übereinander zu reden und trotz vorhandener unterschiedlicher Sichtweisen, auch zu streiten, um am Ende weniger Rüstungsproduktion zu haben und gleichzeitig den Beschäftigten eine klare Perspektive geben zu können.
In der anschließenden langen und intensiven Diskussion gab es Widerspruch und Verständnis sowie Fragen nach konkreter nachhaltiger Zusammenarbeit. Gemeinsame Ansatzpunkte müssen vertieft werden. Vermutlich wird das nur gelingen, wenn wir auf der untersten Ebene IGM-Geschäftstellen kontaktieren und mit ihnen gemeinsam Veranstaltungen zu Frieden und Rüstungskonversion organisieren. Zitzelsberger hat Unterstützung zugesagt.