Gegen Geschichtsrevisionismus • Kolumne

Ideologische „Zeitenwende“?

Folgt man der Propaganda unserer großen Medien, die den US-Medien immer mehr nacheifern, sind die USA als Führungsmacht der „westlichen Wertegemeinschaft“ wieder präsent und hat sich Biden an die Spitze des Kampfs gegen „das Böse“ gestellt. USA, NATO und EU berauschen sich an ihrer Einigkeit. Fragen nachdenkliche Stimmen, was vor dem Krieg falsch gelaufen sein könnte und zu ihm geführt haben mag, gelten sie als Häretiker, wenn nicht als Verräter. Die „Zeitenwende“, die jetzt eintreten soll, richtet sich gegen die „Gutgläubigkeit“ und den „Pazifismus“ der Deutschen. Die Deutschen seien zu „russenfreundlich“, versichert der ukrainische Botschafter Melnyk. Seine Vorstöße, uns umzuerziehen, bleiben nicht erfolglos.

Altkanzler Schröder gilt mittlerweile als Verräter übelster Sorte. Die SPD will den einst von Merkel und dem Bundesverband der deutschen Industrie als „mutigen Reformer“ gefeierten Sozialdemokraten unbedingt loswerden. Nicht wegen der Agenda 2010 und dem folgenden SPD-Wählerschwund soll er im Orkus verschwinden, sondern weil er „Putinfreund“ sei. Und wer hätte 2020, als Altkanzlerin Merkel Nawalny in die Charité holte und Putin als Nowitschok-Giftmischer verunglimpfte, geahnt, dass dieselbe Merkel 2022 als „Appeasement“-Politikerin entlarvt würde? Springers „Welt“ riss Merkel die Maske vom Gesicht. Sie habe die NATO-Osterweiterung gebremst und verantworte die Energieabhängigkeit Deutschlands von den Russen.

Beate Landefeld
Beate Landefeld

1985 bezeichnete Bundespräsident Weizsäcker (CDU) in einer Rede zum 40. Jahrestag des 8. Mai 1945 das Kriegsende als „Befreiung“. Die Rede galt als „Durchbruch“ im Sinne einer demokratischen Geschichtsaufarbeitung in der BRD. 2022 wird im Vorfeld des Tags des Sieges über den Hitlerfaschismus das sowjetische Ehrenmal in Berlin-Treptow geschändet. Rechtskräfte stellen die Rote Armee als Armee von „Besatzern“, nicht von „Befreiern“ dar. Das entspricht dem Geschichtsbild der ukrainischen Nazis und wurde in der Zeit nach 2014 ukrainische Staatsideologie. Entsprechend diesem Geschichtsbild verehrt Botschafter Melnyk den ukrainischen Antisemiten und Nazi-Kollaborateur Bandera als „unseren Helden“, dem zum Ruhme er kurz nach seinem Amtsantritt 2015 in München einen Kranz auf das Grab legte.

Der Maidan-Putsch 2014 wurde seitens der EU und der USA materiell und politisch unterstützt und viele Jahre hindurch vorbereitet. Die imperialistischen Mächte, vor allem Deutschland und die USA, setzten damit eine seit 100 Jahren bestehende Tradition der Kollaboration mit ukrainischen Nationalisten und Rechtsextremen fort, die im Ersten Weltkrieg begann, sich im russischen Bürgerkrieg 1918 bis 1921 fortsetzte und während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg sowie im Kalten Krieg bis 1953 andauerte. Auch für den Erfolg des Maidan-Coups 2014 gab der bewaffnete „Rechte Sektor“ den Ausschlag. Nach 2014 rüsteten die USA die in die ukrainische Armee eingegliederten Nazi-Verbände (Asow, Aidar etc.) auf und bildeten sie für den Krieg zur Rückeroberung der Donbass-Republiken und der Krim aus.

Die bevölkerungsreichsten Länder der Erde, China und Indien, schlossen sich den Anti-Russland-Sanktionen der USA, der EU und anderer prowestlicher Staaten nicht an. Ebenso wenig taten dies große Länder Afrikas und Lateinamerikas. US-Außenminister Blinken warf China vor, es stehe „auf der falschen Seite der Geschichte“. Blinken, ein Neocon, hielt die US-zentrierte Weltordnung, die nach dem Kalten Krieg entstand, für das Ende der Geschichte. Ihre Zeit ist aber schon vorbei. Die NATO-Eindämmungs- und Rollbackpolitik ist auf den Pakt mit Kräften angewiesen, für die der Sieg über den Faschismus 1945 eine Niederlage war. Das zeigt deutlich, wer auf der falschen Seite der Geschichte steht. Für uns ist der 8. Mai Tag der Befreiung, aber auch des Eintretens gegen Geschichtsrevisionismus.

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"Ideologische „Zeitenwende“?", UZ vom 8. April 2022



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