Da können Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Anton Hofreiter (Grüne) noch so laut trommeln: Die Mehrheit von 52 Prozent der Deutschen lehnt die Lieferung von „Taurus“-Marschflugkörpern an die Ukraine ab. Laut „ARD-Deutschlandtrend“ vom August ist die Ablehnung in den ostdeutschen Bundesländern mit 70 Prozent besonders stark. Auch nach eineinhalb Jahren konzertierter antirussischer Propaganda lässt sich der mehrheitliche Wunsch nach mehr Diplomatie für eine Waffenruhe und einen Kompromissfrieden der Bevölkerung nicht austreiben. Und auch die Mär von der angeblich geschlossen kampfbereiten Ukraine verfängt nicht mehr. Eine vom Springer-Blatt „Bild“ durch ein Institut in der Ukraine (Democratic Initiatives Foundation) erhobene Umfrage fördert Erstaunliches zutage: 30 Prozent der Befragten sind für direkte Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zur Beendigung des Krieges. Und während die vom Westen abhängige ukrainische Führung um Präsident Wladimir Selenski bislang kategorisch ausschließt, über die Krim zu verhandeln, und die Rückeroberung zudem als Ziel ausgerufen hat, würden es 40 Prozent der Befragten nicht als Niederlage betrachten, wenn die Krim bei Russland verbliebe. Die hohen Werte sind noch dazu beachtlich, wenn man weiß, dass die Medien in der Ukraine seit Verhängung des Kriegszustands gleichgeschaltet und kritische Oppositionsparteien verboten sind.
Die Umfrage wird von „Bild“ selbst als „repräsentativ“ verkauft, befragt wurden den Angaben zufolge „1.025 Menschen, die in den von der Ukraine kontrollierten Gebieten des Landes leben“. Das heißt: Die gut zehn Millionen Ukrainer, die sich heute kriegsbedingt im europäischen Ausland aufhalten – gut eine Million davon in Deutschland und 2,8 Millionen in Russland (!) –, wurden nicht nach ihrer Meinung gefragt. Ebenso wenig diejenigen Ukrainer, die in den von Russland kontrollierten Gebieten – immerhin 20 Prozent des Landes – leben. Man kann und muss also davon ausgehen, dass der Wunsch nach einem Ende des Krieges noch stärker ausgeprägt ist. Die Bereitschaft, im NATO-Stellvertreterkrieg in der Ukraine zu sterben, sinkt. Kurierfahrer Mikhail (22) sagte „Bild“: „Ich beschäftige mich nicht mit dem Krieg. Soll sich die Regierung damit befassen. Wenn sie mich einziehen wollen, bin ich weg.“ Mehr als 20.000 ukrainische Männer im wehrfähigen Alter (18 bis 60 Jahre) hat der Grenzschutz in den vergangenen eineinhalb Jahren am illegalen Verlassen des Landes gehindert. Die Kiewer Führung will jetzt die Auslieferung von Fahnenflüchtigen, die sich im Ausland aufhalten, beantragen. In Deutschland könnte das Zehntausende treffen. Laut Bundesinnenministerium sollen in den ersten zwölf Monaten seit Kriegsbeginn 163.287 wehrfähige Ukrainer eingereist sein.
Mit gleich zwei Propagandaschauen in Berlin versucht die ukrainische Führung der Kriegsskepsis entgegenzuwirken. Die Ampel-Regierung hat Deutschland immerhin zum stärksten Waffenlieferanten nach den USA gemacht – hier muss die Bereitschaft zu nicht endender militärischer Unterstützung hochgehalten werden. Und so ist in der Humboldt-Universität (HU) vom 4. bis 16. September die Fotoschau „Russian War Crimes“ der ukrainischen Oligarchen-Stiftung „Victor Pinchuk Foundation“ zu sehen. Die Schirmherrschaft hat Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) übernommen, für das Grußwort zur Eröffnung war ihre Vizin, das Leopard-Fangirl Katrin Göring-Eckardt (Grüne), gekommen. „Die Ausstellung dokumentiert russische Kriegsverbrechen in der Ukraine seit der Ausweitung des Angriffskrieges im Februar 2022“, lässt die HU nüchtern wissen. „Blut, Tod, Trümmer, verzweifelte und trauernde Menschen – und das alles in Nahaufnahme“, die Ausstellung sei „nichts für schwache Nerven“, heißt es beim „Tagesspiegel“. Doch gerade die Nerven soll die Schau treffen, wie Björn Geldhof vom Oligarchen-Kunstzentrum der Zeitung mitteilt. Eine zehnminütige Videokompilation zeigt 5.000 Kriegsbilder, 500 grausame Fotos in der Minute als ideologische Druckbetankung. Hauptzielgruppe sind „die politischen Entscheidungsträger“, Kuratorin Ksenija Malykh nennt sie „Menschen in Anzügen“. Mit der Wanderausstellung war zuvor schon beim Weltwirtschaftsforum in Davos, bei der NATO in Brüssel sowie bei der UNO in New York und der Münchner Sicherheitskonferenz Stimmung gemacht worden. Sie war unter anderem in Partnerschaft mit dem Büro des Präsidenten der Ukraine und dem ukrainischen Außenministerium entstanden.
Im Deutschen Bundestag wird vom 20. bis 29. September schließlich von der ukrainischen Botschaft die Kriegsschau „Living The War“ präsentiert. „Den Krieg erleben“ ist das Ziel. Mit der Ausstellung würden „einzigartige und eindringliche Einblicke vom Kampf des ukrainischen Volkes um seine Freiheit und Existenz“ geboten. „Ganz anders als mit herkömmlichen Fotos und Videos in einer Galerie, bietet die moderne VR-Technologie ein bisher nicht greifbares Erlebnis der bildlichen Wahrnehmung in 360°.“ Krieg in der Rundumperspektive und mit Virtual-Reality-Brillen mittendrin, die Propagandaschau gleich neben dem Berliner Tiergarten lockt Besucher mit dem Kick: „Das Besuchserlebnis erfolgt durch Nutzung einer von insgesamt drei verfügbaren VR-Brillen, in denen für 20 Minuten Videomaterial aus der Ukraine präsentiert wird.“