Vom Umgang mit Rechtspopulismus in der politischen Bildung

Ideologiekritik statt Moralisieren

„Rechtspopulismus im Fokus“ heißt ein Sammelband, der von Lukas Boehnke, Malte Thran, Jacob Wunderwald, allesamt Mitarbeiter an der Hochschule in Merseburg, herausgegeben wird. Es zeigt, wie sich die bürgerliche Wissenschaft den Umgang mit der AfD vorstellt.

Weil man rechtspopulistische Auffassungen nicht aus den Köpfen bekomme, indem sie als antidemokratische „Defizitphänomene“ gebrandmarkt werden, bedürfe es einer politischen Bildung, die auf „argumentative Ideologiekritik“ setze. Indem politische Bildung sich auf die wirre Eigenlogik der rechtspopulistischen Ideologie einlasse, könne deren immanente Widersprüchlichkeit aufgezeigt und damit insgesamt widerlegt werden. Zudem sei „die Mündigkeit des Bürgers“ als Kernziel politischer Bildung mittels der vorherrschenden „Defizitperspektive“ nicht zu realisieren, da sie lediglich eine hilflose „Moralisierung“ des Phänomens Rechtspopulismus bewirke. Deshalb müsse „Analysekompetenz“ vermittelt werden, indem „das Verständnis der Logik des Rechtspopulismus im Allgemeinen und rechtspopulistischer Standpunkte in besonderen Politikfeldern“ zum Bestandteil der politischen Bildung werden. Dergestalt stehe im Zentrum ihrer Bemühungen „ein eigenständig denkendes Individuum, das aufgrund eigener Kenntnisse, Haltungen und Interessen sich als politisches Subjekt zu betätigen vermag“.

Um den moralisierenden Umgang zu überwinden, kritisiert Jack Weber in seinem Beitrag populäre Begründungsversuche des Erfolges der AfD, weil sie die rechtspopulistischen Interpretationen von politischen Problemen nicht in den Fokus stellen. Stattdessen bemängeln sie allerlei Defizite bei den Wählern: Angst, Unsicherheit, Dummheit, Unzufriedenheit, Verführbarkeit. Beispielsweise widerlegt er die gängige Erklärung, Menschen würden zur AfD tendieren, weil sie Angst vor Fremden hätten, dergestalt, dass er einen Angstforscher zitiert: Da Ängste auch im primitiven Teil des Gehirns verarbeitet werden, der im Gegensatz zum intelligenten Teil rationalen Argumenten nicht zugänglich sei, könnten Demagogen „primitive Ängste wie Xenophobie leicht auslösen und für sich ausnutzen“. Dass dieser Erklärungsversuch einen argen Widerspruch beinhaltet, bemängelt er: „Wenn bei allen Menschen diese physiologische Festlegung auf rechtes Gedankengut beziehungsweise auf primitive Urängste vorhanden ist, dann ist nicht schlüssig zu erklären, warum die einen den rechten Gedanken fassen und teilen und die anderen, die über dieselben Hirnteile verfügen und auch ‚Urängste‘ in sich tragen sollen, nicht.“ In Anbetracht der Untauglichkeit populärer Deutungsmuster zieht Weber das Fazit, dass man den rechtspopulistischen Wählern die Urteilsfähigkeit nicht absprechen sollte. Vielmehr müsse man zur Kenntnis nehmen, dass sie deren politische Ansichten für richtig halten. Die Konsequenz daraus sei, „dass an der argumentativen Auseinandersetzung mit diesen politischen Überzeugungen, mit Nationalismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit, im Kampf gegen den Rechtsruck kein Weg vorbeiführt“.

Auf welche Weise die argumentative Auseinandersetzung nach Meinung bürgerlicher Wissenschaftler geführt werden kann, lässt sich in Ina Schildbachs Beitrag studieren. Es geht um das Thema Armut. Die Autorin kritisiert die völkischen Nationalisten, die Migranten als Ursache für die Armut in Deutschland konstruieren, allerdings erscheine sie den staatstragenden Nützlichkeitsnationalisten als Gefährdung des nationalen Zusammenhalts. Stattdessen müsse Armut als „Forschungsgegenstand“ begriffen werden, damit nach ihren politökonomischen Ursachen gefragt wird.
Die wackeren Sozialwissenschaftler im Staatsdienst scheinen zu glauben, dass die AfD durch politische Bildungsarbeit gestoppt werden könne.


Lukas Boehnke, Malte Thran, Jacob Wunderwald (Hrsg.)
Rechtspopulismus im Fokus. Theoretische und praktische Herausforderungen für die politische Bildung
Springer VS, Wiesbaden 2019
272 Seiten, 32,99 Euro

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"Ideologiekritik statt Moralisieren", UZ vom 27. März 2020



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