Als die frühere Generalsekretärin der Kommunistischen Partei Chiles, Gladys Marín, nach ihrem Tod am 6. März 2005 zu Grabe getragen wurde, säumten Hunderttausende Menschen den Trauerzug durch Santiago de Chile. Die Regierung ordnete eine zweitägige Staatstrauer an, eine wichtige Hauptverkehrsstraße wurde wenige Monate später nach ihr benannt.
Gladys Marín hat Chiles Politik der vergangenen Jahrzehnte geprägt wie wenige andere. Sie galt als Symbol des Widerstands gegen die Diktatur und als wichtige Impulsgeberin für die chilenische und internationale Frauenbewegung. Geboren wurde sie 1937 als zweite von vier Töchtern eines Bauern und einer Grundschullehrerin. Der Vater verließ die Familie früh, so dass die Mutter, Adriana Millie, gezwungen war, ihre vier Kinder alleine großzuziehen. Auch das dürfte das Bewusstsein von Gladys tief geprägt haben. Sie wurde, wie ihre Mutter, Lehrerin. 1959 lernte sie den Ingenieur Jorge Muñoz Poutays kennen, den sie 1963 heiratete und mit dem sie zwei Kinder hatte. Sie verband nicht nur ihre Liebe, sondern auch ihre politische Überzeugung – beide gehörten der Kommunistischen Partei an, Gladys wurde Generalsekretärin des Jugendverbandes. Jorge Muñoz wurde nach dem Putsch der Militärs um General August Pinochet verhaftet und vermutlich ermordet. Er gehört zu den Tausenden Opfer der Diktatur, die als „Verschwundene“ in die Geschichte eingegangen sind.
Gladys Marín war, als die Generäle am 11. September 1973 die demokratisch gewählte Regierung des Sozialisten Salvador Allende stürzten, Parlamentsabgeordnete und stand wie viele andere Funktionäre der Unidad Popular auf den Fahndungslisten der Putschisten. Sie entzog sich der Verhaftung und ging in den Untergrund, bis sie auf Anweisung ihrer Partei Asyl in der Botschaft der Niederlande suchte. Acht Monate musste sie dort aushalten, weil ihr die Faschisten die ungehinderte Ausreise verweigerten. Erst im Sommer 1974 konnte sie Chile verlassen und reiste in die DDR, wo sie mit einer großen Solidaritätsveranstaltung herzlich begrüßt wurde. Ein zehnminütiger DEFA-Dokumentarfilm zeigt ihre Ankunft und die Kundgebung (uzlinks.de/GladysDDR). Die DDR kannte Gladys schon von den Weltfestspielen 1973 in Berlin, an denen sie wenige Wochen vor dem Staatsstreich teilgenommen hatte. Vor Tausenden meist jungen Menschen hatte sie damals angekündigt: „Wir werden die Volksregierung und das Recht, den Sozialismus aufzubauen, mit unserem Leben verteidigen!“
Dazu war Gladys auch nach dem Putsch entschlossen. 1978 kehrte sie illegal in ihre Heimat zurück und übernahm im Untergrund Führungsaufgaben für ihre Partei. Ab 1986 stand sie als politische Leiterin an der Spitze der Patriotischen Front Manuel Rodríguez (FPMR), des bewaffneten Arms der Kommunistischen Partei im Widerstand gegen die Diktatur. Gemeinsam mit Guillermo Teillier, der später ebenfalls an der Spitze der KP Chiles stand, organisierte sie den vermutlich größten Waffenschmuggel in der Geschichte Lateinamerikas, rund 90 Tonnen Sprengstoff und Gewehre wurden über die Grenze gebracht. Auch wenn ein Teil davon später durch das Militär beschlagnahmt werden konnte, verfügte die FPMR damit über ein beträchtliches Arsenal, das sie für Entführungen von hochrangigen Vertretern der Diktatur, Sabotageakte und Aktionen zur Unterstützung von Streiks und Protesten einsetzte. Nachdem ein Attentat auf den Diktator Pinochet 1986 scheiterte, entschied sich die Kommunistische Partei für einen Strategiewechsel und rief die FPMR zur Einstellung des bewaffneten Kampfes auf. Gladys Marín und Guillermo Teillier folgten der Entscheidung, andere Teile der Organisation setzten den Kampf dagegen auf eigene Rechnung noch bis Ende der 1990er Jahre fort.
Nach dem Ende der Diktatur wurde Gladys Marín 1994 zur Generalsekretärin der Partei gewählt. Als sie zwei Jahre später in einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des Putsches kritisierte, dass Pinochet noch immer Politik betreiben und Befehle erteilen könne, wurde sie aufgrund einer Strafanzeige des Militärs verhaftet. In der Anklage hieß es, sie habe den Oberbefehlshaber der Streitkräfte beleidigt. Tatsächlich stand Pinochet noch bis 1998 und damit noch acht Jahre nach dem Ende seiner Herrschaft an der Spitze des Militärs. So hatte er es in der 1980 unter der Diktatur verabschiedeten Verfassung festschreiben lassen. Die Anklage gegen Gladys wurde schließlich nach einer Intervention des Verteidigungsministers aus „humanitären und staatspolitischen Gründen“ fallengelassen. Bis 2002 stand sie an der Spitze der Kommunistischen Partei.
2003 diagnostizierten die Ärzte bei ihr einen Tumor. Obwohl Ärztinnen und Ärzte in Schweden und Kuba versuchten, sie zu retten, verlor sie ihren letzten Kampf und starb am 6. März 2005 in ihrem Haus in Santiago. Noch im Jahr zuvor hatte sie bei der Internationalen Buchmesse in Havanna ihre Autobiographie „La vida es hoy“ (Das Leben ist heute) vorstellen können. Bereits gezeichnet von ihrer Krankheit, sagte sie dort: „Wir werden es niemals hinnehmen, gedemütigt zu werden. Wir werden tausendmal wieder aufstehen. Wir haben die Kraft dazu und wir sind im Recht und haben große Lust, zu leben. Wenn wir uns selbst in solchen Umständen wiederfinden, wenn es nur noch um Leben und Sterben geht, dann sage ich: Ich setze auf das Leben und alles das, was dies meint. Ich setze auf das Leben und eine Weltrevolution.“