Die Politik streitet sich, ob es eine dritte Welle in der Corona-Pandemie gibt oder Lockerungen zulässig sind. Abseits davon nehmen die Belastungen für die arbeitende Bevölkerung stetig zu. Das merken zuerst die Hausärztinnen und -ärzte, die an vorderster Front stehen. UZ sprach mit der Hausärztin Pia Woberg. Sie arbeitet in einer Gemeinschaftspraxis in Niedersachsen.
UZ: Wie haben sich die Krankheitsbilder bei dir in der Praxis verändert seit der Pandemie?
Pia Woberg: Meinen Kollegen und mir fällt auf, dass vermehrt Menschen mit psychischen Beschwerden zu uns kommen, da die Situation insgesamt sehr belastend ist. Möglichkeiten, sich abzulenken, zum Beispiel durch Sport oder Treffen mit Freunden, sind weggefallen. So treten psychische Probleme viel deutlicher hervor.
Die Arbeit ist da für viele ein echter Stressfaktor. Wenn es davor schon nicht gut lief und man jetzt auch keinen Ausgleich mehr hat, macht es das nicht besser. Viele Menschen belastet auch das Home-Office, weil sie dann nicht mal mehr den räumlichen Abstand zur Arbeit haben. Selbst am Wochenende laufen sie ständig an ihrem Arbeitsplatz zu Hause vorbei.
UZ: Wie geht es gerade Eltern in dieser Situation?
Pia Woberg: Wir haben viele Eltern, die eine extreme Doppelbelastung haben, gerade wenn sie jüngere Kinder haben. Diese müssen sie permanent beaufsichtigen und beschäftigen. Im Home-Office ihrem Job gerecht zu werden und nebenbei die Kinder zu betreuen, ist eine sehr spürbare zusätzliche Belastung. Ganz schlimm trifft es da Alleinerziehende, die keinen Partner haben, der ihnen eventuell zur Seite steht. Kinderbetreuung und Home-Schooling ist für viele der Punkt, wo sie dann zu uns kommen und sagen: Ich kann nicht mehr.
UZ: Könnt ihr da helfen?
Pia Woberg: Es ist sehr schwierig. Vieles, was man normalerweise an Ausgleich und schönen Aktivitäten raten würde, ist durch die Pandemie nicht möglich. Und wer Kinder zu betreuen hat, den kann man nicht mal eben einen halben Tag rausnehmen. Häufig ist dann die einzige Möglichkeit, die Leute krankzuschreiben und die Belastung durch den Job wegzunehmen. Das ist nichts, was die Situation wirklich löst, aber es hilft den Leuten, die Zeit irgendwie besser durchzustehen. Für viele ist es aber auch eine finanzielle Frage, die können nicht einfach länger raus aus dem Job, wenn sie mit dem Krankengeld ihre Familie nicht versorgen können.
UZ: Wie siehst du die Lockerungen?
Pia Woberg: Das sehe ich sehr kritisch. Die Lockerungen basieren darauf, dass mehr geimpft und mehr getestet wird. Es gibt aber noch keine guten Konzepte, wie das tatsächlich funktionieren kann. Wir sehen aktuell, dass die Fallzahlen schon wieder deutlich steigen.
Überall in den Zeitungen steht, dass die Schnelltests bald durch Hausarztpraxen durchgeführt werden sollen. Dabei sind wir mit dem, was wir zurzeit an Patienten haben, schon gut ausgelastet. Neben den regulären Patienten und den Leuten, die vermehrt Probleme durch den Lockdown haben, sollen wir dann noch die für einen Schnelltest unterbringen, die gerne wieder zum Friseur gehen wollen. Das können wir nicht auch noch leisten. Die Praxen sollten sich da lieber auf das Impfen konzentrieren können.
UZ: Bekommt ihr Unterstützung von den Gesundheitsämtern?
Pia Woberg: Die Gesundheitsämter sind meist personell unterbesetzt und mit ihren aktuellen Aufgaben schon mehr als ausgelastet. Das war eines der Probleme, warum sich das ganze Infektionsgeschehen nicht in den Griff bekommen ließ. Es war überhaupt nicht möglich für die Gesundheitsämter, die Infektionsketten rechtzeitig nachzuvollziehen. Viel Unterstützung erwarten wir von dieser Seite nicht. Auch der Informationsfluss ist sehr schleppend. Bis heute wissen wir als Praxis auch nicht viel mehr als das, was für jeden in der Zeitung zu lesen ist.