Florence Hervés neues Buch über den Widerstand von Frauen in Europa

Ich bin kein Opfer!

Josephine Niemann

Der europäische Frauenwiderstand gegen den Faschismus ist in der Forschung weiterhin ein wenig untersuchtes Gebiet. Vor allem die Dimensionen und die Bedeutung für die Niederschlagung des Faschismus und die Emanzipation der Frau werden kaum wahrgenommen.

Bereits 2020 brachte Florence Hervé das Buch „Mit Mut und List“ heraus, das anhand von 75 Frauenbiografien aus 20 europäischen Ländern den facettenreichen weiblichen Widerstand bekannt machen sollte.

Das jetzt erschienene Buch „Ihr wisst nicht, wo mein Mut endet“ stellt 80 weitere Biografien von Frauen aus allen sozialen Schichten, Altersstufen und mit verschiedenen Weltanschauungen vor.

Schwerpunkte sind darin der kaum untersuchte transnationale Widerstand, der Widerstand in den Kolonien sowie der künstlerische Frauenwiderstand. Zu den 23 Ländern und Gebieten wird jeweils ein kurzer historischer Überblick gegeben, der die dort herrschenden Machtverhältnisse beschreibt. Die individuelle Ausgangssituation in den Ländern bringt die unterschiedlichsten Kampffelder, Bündnispartner und Widerstandsformen hervor.

In den französischen Kolonien spielte neben dem Widerstand gegen Philippe Pétain und die deutschen Besatzer auch die Frage nach dem zukünftigen Status der Länder und der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen eine Rolle. Die Schicht der privilegierten Europäer mit dem Wunsch auf eine Befreiung Frankreichs von den deutschen Besatzern verband sich für andere mit der Hoffnung auf ein Ende des Kolonialsystems und auf die eigene Unabhängigkeit.

Lisette Vincent stammte aus einer Familie von französischen Siedlern in Algerien. Sie stritt für eine moderne Pädagogik und lehnte soziale Ungerechtigkeit und Rassismus ab. Sie engagierte sich in der algerischen Freiheitsbewegung, die ihren Kampf gegen Faschismus und Krieg mit ihrem Kampf für ein unabhängiges Algerien verband.

Der Widerstand von Frauen gegen Faschismus und Krieg umfasste sämtliche Kampffelder, dazu gehörte das Organisieren von Untergrundgruppen, Kurierdienste, das Erstellen und Verteilen von Gefälschten Ausweisen, Spionage, Sabotage, Fluchthilfe und der bewaffnete Kampf. Louis Van Brussel, Oberstleutnant der bewaffneten Résistance, formulierte es so: „Ohne Frauen hätte es die Résistance in Belgien nicht gegeben.“ Dennoch waren Frauen in Führungspositionen eine Ausnahme.

Der Kampf der Frauen stellte in vielen europäischen Ländern einen Bruch mit patriarchalen Strukturen dar und Frauen forderten die politische Gleichberechtigung. Diese fand unter anderem im Frauenwahlrecht ihren Ausdruck, welches zeitnah nach der Befreiung vom Faschismus in Frankreich und Belgien eingeführt wurde. Viele der Frauen, die im Kampf politische Funktionen übernahmen, knüpften auch nach dem Krieg an ihre Aktivitäten an.

Martha Desrumaux organisierte 1941 in Frankreich den Bergarbeiterstreik, den größten Streik im von Deutschland besetzten Europa. Nach ihrer Rückkehr aus dem KZ Ravensbrück wurde sie als erste Frau Generalsekretärin in der Gewerkschaft CGT in Nordfrankreich.

Die Dimensionen des militärischen Widerstandskampfs von Frauen werden besonders in der So­wjet­union deutlich. Rund eine Million Frauen kämpften in der Roten Armee und als Partisaninnen. Damit haben die sowjetischen Kämpferinnen unter ihren Geschlechtsgenossinnen den größten Anteil an der Befreiung Europas vom Faschismus. Sie arbeiteten als bewaffnete Krankenschwestern an der Front, als Köchinnen und Wäscherinnen. Sie übernahmen Funktionen in Stäben und in den Redaktionen von Frontzeitungen. 10.000 Frauen wurden als Schützinnen ausgebildet, andere kämpften als Panzerfahrerinnen, Pilotinnen und Infanteristinnen. Dennoch sind von 11.657 als „Helden der So­wjet­union“ ausgezeichnete Soldaten des Zweiten Weltkrieges nur 90 Frauen.

Den wenigsten Widerstandskämpferinnen blieb das KZ oder Gefängnis erspart. Mit bewundernswertem Mut und Solidarität leisteten sie auch dort Widerstand – von Sabotageaktionen, dem gegenseitige Verstecken in den Baracken, um der Gaskammer zu entgehen, bis zum Festhalten an den eigenen Idealen im Angesicht schlimmster Folter. Madeleine Riffaud war 19 Jahre alt, als sie sich dem bewaffneten Kampf in der von der Französischen Kommunistischen Partei gegründeten Widerstandsgruppe FTP anschließt. Nachdem sie einen Unteroffizier der Nazis erschossen hatte, wurde sie festgenommen und gefoltert, bevor sie nach Ravensbrück deportiert werden sollte. Sie schreibt über das Erlebte: „Selbst in den schlimmsten Momenten – zum Beispiel, als uns die Deutschen für ein Stück Brot weinen, ja kriechen sehen wollten – muss man sich sagen: Ich bin kein Opfer! Ich bin eine Kämpferin! Das ändert alles!“

Florence Hervé (Herausgeberin)
Ihr wisst nicht, wo mein Mut endet
Europäische Frauen im Widerstand gegen Faschismus und Krieg
PapyRossa Verlag, 317 Seiten, 22,90 Euro
Erhältlich unter uzshop.de

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"Ich bin kein Opfer!", UZ vom 19. April 2024



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