„Ich bin der Antifaschismus“

Zum Beitrag von „Sozialer Protest, extreme Rechte und bürgerlicher Staat“ von Ulrich Schneider in der UZ vom 14. Oktober 2022 erreichte uns eine Reihe von Leserbriefen. Wir dokumentieren hier die ausführliche Reaktion von Diether Dehm.

Ulrich Schneider plädiert gegen einen „inflationären Gebrauch des Faschismusbegriffs“. Genau gegen diesen aber ist Georgi Dimitroffs Definition faschistischer Regime regelrecht immun – auch wenn Schneider Glauben machen möchte, diese Definition konnte 1935 noch „nicht die Dimension des Rassismus und Antisemitismus erfassen, wie sie sich später in den faschistischen Vernichtungslagern manifestierte“.

Hätte Dimitroff also nach der Befreiung vom Faschismus und dem Wissen über Auschwitz seine Definition vom VII. Weltkongress widerrufen müssen? Oder war in der „offenen terroristischen Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ nicht die Shoa gleichsam „inbegriffen“? Zumal der spätere bulgarische Ministerpräsident Dimitroff spätestens 1946 von den 27 Millionen ermordeten Sowjetmenschen erfahren haben musste – ohne sich zu revidieren!

Schneider verniedlicht sogar den Faschismus auf „Ausgrenzungen (Fremdenfeindlichkeit, Nationalismus, rassistische Ausgrenzung und entsprechende Feindbilder)“ und vergisst dabei aufzuzählen die „Grundtorheit der Epoche“ (Thomas Mann), den Antikommunismus – und damit dessen faschistisch zugespitzten Terrorismus gegen sämtliche organisierten Bewegungen der Lohnarbeit. In Deutschland gröhlten die Mordsdemagogen von der „jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung“. Aber der terroristisch-antiproletarische Wesenszug ist das Gemeinsame sämtlicher Faschismen – von Deutschland, Italien und Spanien bis zu Griechenland, Chile und anderen Militärdiktaturen, seien sie nun mehr rassistisch oder weniger antisemitisch gewesen.

Um zum „Faschismus an der Staatsmacht“ aufzusteigen, um also seine objektive Funktion zu erfüllen, musste der Faschismus einerseits in allen Nationen deren Rebellionsgeist ansaugen und andererseits deren niederträchtigste Folklore aggressivieren – historisch in Deutschland vor allem den Antisemitismus, in Italien vor allem den Hass auf Afrikaner. Die subjektiven Besonderheiten des jeweiligen Faschismus sind dabei von Nation zu Nation, von Region zu Region, teilweise von Stadt zu Stadt verschieden.

Um also herauszufinden, wieviel Faschismus es in Russland, Indien, Nicaragua, in der US-Tea Party und der AfD tatsächlich gibt, bedarf es der objektiven Wesensbestimmung des Faschismus, aber – darauf fußend – auch ständig fortzuschreibender empirischer Studien der kulturellen, regional und schichtenspezifisch wechselnden Beschaffenheiten.
Ob hingegen in Europa jemals wieder ein völkischer Faschismus alter Ideologiekonstruktion namens „Nationalsozialismus“ die „am meisten imperialistischen Teile des Finanzkapitals“ so zur Macht führen kann wie zuzeiten von Krupp, Stinnes, Thyssen und der Deutschen Bank, darf als fraglich gelten. Zumal diese Monopole nicht nur subjektiv auf völkische Ideologie gebaut waren, sondern ökonomisch orientiert waren auf eine Art Autarkie: „Die Europastrategien des deutschen Kapitals 1900 – 1945“ (Reinhard Opitz).

Könnte es nicht sein, dass Freihandels-Konzernherren wie Jeff Bezos, George Soros, Mark Zuckerberg und Larry Page bald einen gänzlich runderneuerten „Rechtsextremismus“ hochfinanzieren? Der dürfte weiter die doppelte Marketinglüge vom „National-Sozialismus“ wiederkäuen, um sich entrüstet davon zu distanzieren. Also „nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus“ (Ignazio Silone).

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"„Ich bin der Antifaschismus“", UZ vom 28. Oktober 2022



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