Zum Tod der Queen

Hut ab

Vor hundert Jahren wurden weltweit täglich etwa einhunderttausend Kinder geboren. Vermutlich kamen demnach auch am 21. April 1926 gut fünfzigtausend Mädchen zur Welt, darunter vielleicht auch Elizabeth Omondi in Nairobi. Am selben Tag erblickte in Harare womöglich auch Elizabeth Mpofu das Licht einer Welt, die für sie – wie für die andere Elizabeth aus Kenia – eine war, in der weiße, britische Herren über die Menschen in Rhodesien bestimmten. Diese Herrscher plünderten mit Hilfe lokaler Cliquen die Boden- und sonstigen Schätze dieser und anderer Länder; was sie dort raubten oder unter Sklaverei ähnlichen Zuständen produzieren ließen, konnte in Europa in so genannten Kolonialwarenläden gekauft werden.

Ebenfalls am 21. April 1926 begann das Leben eines anderen Menschenkinds, das den bürgerlichen Namen ­Elizabeth Windsor bekam. Bei ihrer Geburt war sie an dritter Stelle der Monarchie Großbritanniens. Ob sie vor ihrer Proklamation zur Königin einmal in einem Kolonialwarenladen war, mag irgendwo vermerkt sein. Als ihr Vater 1952 starb, wäre es jedenfalls nicht nötig gewesen, denn sie hielt sich gerade in Kenia auf.

Elizabeth Omondi organisierte sich derweil bei den Mau-Mau. Sie gehörte zu den vielen zehntausend Kämpferinnen und Kämpfern, die in Lagern misshandelt und gefoltert wurden. Zeit ihres Lebens hatte sie an den Folgen zu leiden, bis sie – sagen wir – am 8. September 2022 im hohen Alter von 96 Jahren starb. Ihr Widerstandsgeist blieb ungebrochen. Hut ab, Elizabeth!

Auch Elizabeth Mpofu war im Widerstand gegen die britische Kolonialmacht, als Frau Windsor 4.000 Kilometer weiter nördlich den Thron bestieg. Dank der Unabhängigkeit konnte sie als Mittfünfzigerin endlich Lesen und Schreiben lernen. Auch ein kleines Stück Land durfte sie fortan mit ihrer Familie bebauen. Auch sie könnte vergangenen Donnerstag nach einem kämpferischen Leben gestorben sein. Hut ab, Elizabeth!

Das, was man gemeinhin Kolonialismus nennt, war nicht das Thema derjenigen Elizabeth, die nach bürgerlicher Lesart das „schwere Los“ traf, mit nur 26 Jahren zur (einfluss)reichsten Frau der Welt zu werden. Weder Einfluss noch Reichtum setzte sie gegen Folter, Ausbeutung und Analphabetentum in den Kolonien ein; deren Beseitigung war Aufgabe der Unterdrückten.

Dafür nannte sie fünftausend Hüte ihr Eigen. Keinen davon müsste man für sie ziehen.

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"Hut ab", UZ vom 16. September 2022



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