Frau Nahles und Herr Gabriel haben in einem Anfall von Selbstlosigkeit die armen Rentner entdeckt. Ebenso Herr Seehofer. Ein Zusammenhang mit den jüngsten Landtagswahlen besteht selbstverständlich nicht. Und auch nicht mit den Bundestagswahlen im nächsten Jahr.
Jedenfalls aber ist plötzlich die gepriesene „Riesterrente“ gescheitert. „Riester“ ist bekanntlich ein Teil des „Drei-Säulen-Modells“ der deutschen Altersvorsorge. „Drei Säulen“, das klingt beruhigend nach Stabilität und Sicherheit. Die „Säule“ Betriebsrente im „deregulierten Arbeitsmarkt“ ist ein eigenes Thema. Aber für die „Säule“ „Riester“ lässt selbst der knickrige Finanzminister gerne mal ein paar Milliarden springen.
Und nun soll „Riester“ gescheitert sein? Fragt sich für wen? Gut, der hoffnungsvolle „Riester-Rentner“ in spe hätte sein Geld vielleicht besser versoffen, und die Staatskasse stünde auch besser da – ohne „Riester“. Aber für Herrn Riester, oder für den Finanzmakler Maschmeyer aus Hannover beispielsweise, da kann von Scheitern keine Rede sein. Es ist genau das herausgekommen, was von vornherein „drin“ war: Einige Leute sind sehr reich geworden, viele arm. Heute haben die rund 16 Millionen „Riester“-Gläubigen in der Dürre der Null-Zins-Politik der EZB einfach mal Pech gehabt. Kapitalismus, das heißt nicht nur Boom-Party, sondern seit 200 Jahren auch regelmäßig Krisen, Pleiten, Banken-Crash, Null-Renditen und Null-Zinsen. Die Idee, die Alterssicherung der arbeitenden Menschen im Finanz-Casino absichern zu wollen, konnte auch nur die Sozialdemokratie (unter Gerhard Schröder) ins Werk setzen, die bedingungs- wie erinnerungslos an das Gute im (deutschen) Kapitalismus glaubt.
Natürlich wäre der Erfolg von „Riester“ begrenzt geblieben, wäre es nicht gelungen, gleichzeitig die erste „Säule“, die althergebrachte umlagefinanzierte Rente so zu „reformieren“, dass jedem ihre Brüchigkeit und damit sein sozialer Abstieg klar vor Augen stand. In einem einmaligen Systembruch wurde aus Versorgungssicherheit und Sicherung des Lebensniveaus die Begrenzung der Beitragshöhe (für die Unternehmen). Das Umverteilungsvolumen der rosa-olivgrünen und rosa-schwarzen Renten-“Reformen“ dürfte im dreistelligen Milliardenbereich liegen. Die Renten-“Reformen“ haben, dank des Gewerkschaftsführers Riester und des guten Franz Müntefering aus dem Sauerland, nicht etwa „nicht funktioniert“, sondern bestens geklappt: Der „Nachhaltigkeitsfaktor“ wird das Rentenniveau bis 2020 zuverlässig auf 47 Prozent und bis 2030 – also in 14 Jahren – auf 43 Prozent – brutto – vom Nettolohn absenken. Die „große Witwenrente“ beträgt dann satte 50 Prozent von 43 Prozent. Und das auch nur, falls jemand tatsächlich noch eine Erwerbsbiographie von 45 Beitragsjahren bis zu seinem 67sten Lebensjahr zusammenbringt. Schon jetzt 2014 lagen 61 Prozent, also 10,9 Mio. der 17,8 Mio. Altersrenten unter der „Armutsgefährdungsschwelle“ von 917 Euro. Dass trotzdem offiziell nur 2,44 Mio. Menschen im Alter von 65plus als armutsgefährdet gelten, bleibt das Geheimnis der Statistiker, ändert aber nichts daran, dass schon jetzt rund 11 Millionen Altersrentner zumindest von ihrer Rente nicht mehr vernünftig leben können.
„Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt“, prahlte Gerhard Schröder 2005 vor der globalen Wirtschaftselite in Davos. Ja, super. Die Kolleginnen und Kollegen in diesem besten aller Niedriglohnsektoren können sich jegliche Altersvorsorge schenken. Sie werden mit ihrer Rente nie über die Grundsicherung kommen. Und nicht nur sie nicht. Erst wer inflationsbereinigt 45 Jahre dauerhaft jenseits von 12 Euro pro Stunde verdient, kann überhaupt damit anfangen, sinnvollerweise über seine Rente nachzudenken. Alle anderen sollten sich besser gleich mit dem Weg zum Sozialamt abfinden.
Ärgerlich für die Macher ist nur, dass es den Menschen, im Krisenverlauf mit seinen Billionen-schweren Rettungsschirmen langsam dämmert, in welcher Lage sie tatsächlich stecken und wer sie da hineingeritten hat. Da hilft dann auch Gabriels bräsige Ignoranz und Merkels Gebetstrommel, „Deutschland geht es gut“, nicht weiter. CDU/CSU und ihre Juniorausgabe SPD sind dabei ihre Tarnung als „Volkspartei“ zu verlieren, und erscheinen zunehmend als das, was sie in Wirklichkeit sind: politische Vertreter des Großen Geldes.
Wenn es aber eh‘ keine Möglichkeit zur sicheren Lebensplanung, zum Wohlstandsaufbau, ja nicht einmal zur Altersvorsorge gibt, warum es also überhaupt versuchen? Warum sich für ein Reihenhaus oder eine Eigentumswohnung krummlegen, wenn das mühsam Ersparte am Ende in Anrechnung auf die Stütze eine Beute des Sozialamtes wird? Der kleinbürgerliche Leistungswille, die sozialdemokratische Zukunftshoffnung – „Unsere Kinder sollen es einmal besser haben“ – sind durch Hartz IV, „Riester“, und die Agenda-Politk ihrer materiellen Basis beraubt. Da gerät die konsumfrohgemute, kapitalismusgläubige Leistungsmotivation kräftig unter die neoliberalen Räder.
Klar, ließe sich beim gegenwärtigen und erst recht beim künftigen Produktivitätsstand ein solidarisches Umlagesystem für alle locker erreichen. Trotz aller demographischen Horrorszenarien. Die produktiv Tätigen müssen in jeder Gesellschaft diejenigen mit unterhalten, die noch nicht können oder die nicht mehr können. Anders ging es nie und geht es auch in Zukunft nicht. Keine Gesellschaft kann als Ganzes sparen und niemand kann im Alter seine Aktien oder seine Goldbarren fressen. Und da (fast) jeder alle Altersstadien durchläuft, ist das Umlagesystem auch solidarisch. Und wenn auch die „Besserverdienenden“, alle, gemäß ihrer Einkommen, einzahlen würden, wäre ein auskömmliches Rentenniveau auch mit niedrigen Beitragssätzen locker zu finanzieren.
Keine Verbesserung, aber Kosmetik
Aber das ist natürlich eine Fata Morgana. Klar ist, es wird keine substantielle Verbesserung in der Rentenfrage geben, jedenfalls nicht beim gegenwärtigen Stand des Kräfteverhältnisses. Man müsste ja die Milliarden rückumverteilen. Daher versuchen nun Gabriel, Nahles und Seehofer zumindest so zu tun als ob. Zwar bleibt „Riester“ wohl auch weiterhin sakrosankt. Im Zweifel aber könnte es auf ein wenig Kosmetik hinauslaufen, darauf, den Steuerzahler in die Pflicht zu nehmen, etwa in Richtung einer weitgehend „kostenneutralen“ Umwidmung der Mittel für die Stütze in eine Art Basis-Rentenzahlungen auf Hartz-Niveau, so dass der entwürdigende Gang zum Sozialamt erspart bleibt. Dagegen hat Finanzminister Schäuble, wie immer, die Stimme seiner Herren klar im Ohr: Verbesserung durch Zerstörung. Wer mit 67 keine Arbeit hat, warum soll der nicht auch bis 70 keine Arbeit haben? Und wenn eh’ schon Zig-Millionen ihre Alterssicherung in den Wind schreiben dürfen, warum dann nicht noch ein paar Millionen mehr? Die Räder müssen rollen für den Sieg in der Exportoffensive. Und ohne Dumpinglöhne und Minirenten geht das nun einmal nicht.