Die Ampel-Koalition ist eine Kampfansage an die Mehrheit der Menschen in diesem Land

Hungern oder frieren?

SPD, Grüne und FDP sind bereit für eine „Fortschrittskoalition“. Das klingt nach einer Drohung. Es ist auch eine. Das Sondierungsergebnis ist eine Kampfansage an Arbeitende, Erwerbslose, Rentner und Jugendliche. Und an Russland und China. Die Generallinie findet sich im letzten Kapitel des Sondierungspapiers unter der Überschrift „Deutschlands Verantwortung für Europa und die Welt“. Sie heißt: Stärkung des deutschen Imperialismus.

Außenpolitisch ist die Orientierung auf kommende Kriege ungeschönt. Die „verstärkte Zusammenarbeit der nationalen europäischen Armeen“ und eine „praxisnahe“ Auswertung des Afghanistan-Einsatzes stehen auf dem Programm – für die „Gestaltung zukünftiger deutscher Auslandseinsätze“. Es geht um die Stärkung der EU ohne Aufweichen der Zusammenarbeit mit der NATO. Gestärkt werden soll das „Weimarer Dreieck“, die Zusammenarbeit von Deutschland, Frankreich und Polen – gegen die Russische Föderation. Gestärkt werden soll Joseph Bidens „Allianz der Demokratien“, eine Allianz, die weit über die NATO hinausreichen soll, um die Russische Föderation und die Volksrepublik China militärisch einzukreisen.

Für den Kampf um die Vorherrschaft in der EU und um die Konkurrenz mit dem US-Imperialismus, für den Kampf gegen Russland und den „systemischen Gegner“ China werden alle Kräfte auf die Stärkung des deutschen Monopolkapitals gerichtet. Das kostet und braucht ein ruhiges Hinterland. Dafür stehen die ersten neun Kapitel des Sondierungspapieres.

Für den Umbau der Produktion und Greenwashing brauche es einen „modernen Staat“, „flexible Arbeitszeitmodelle“ und den Abbau „bürokratischer Hürden“. Geld für „Sozialklimbim“ ist nicht vorgesehen. Die Schuldenbremse bleibt, Unternehmenssteuern werden nicht erhöht, eine Vermögensteuer soll es nicht geben. Dem Kapital werden „Superabschreibungen“ bei „Klimaschutz und Digitalisierung“ versprochen. Der Steuerzahler muss zahlen.

„Hartz IV“ soll künftig „Bürgergeld“ heißen. Über die Höhe ist nichts zu finden, aber Zwang und Sanktionen werden bleiben. Die Renten sollen zwar nicht sinken, aber die Rentenkassen werden dem Kapital zum Fraß vorgeworfen. Die Deutsche Rentenversicherung soll „ihre Reserven am Kapitalmarkt“ anlegen. Die Abschaffung der EEG-Umlage wird als Senkung der Stromkosten verkauft, während sie über die CO2-Steuer massiv steigen. Der Sozialverband VdK warnt, dass in diesem Winter viele Menschen vor der Entscheidung stehen, ob sie hungern oder frieren „wollen“. Das untere Drittel wird dauerhaft abgehängt.

Das ist sozialer Sprengstoff. Deshalb bleibt eine Kampfansage an fortschrittliche Kräfte nicht aus. Entschlossen will die neue Koalition gegen „jede Form der Menschenfeindlichkeit“ vorgehen. Dazu gehöre der Linksextremismus – im gleichen Atemzug genannt mit Antisemitismus, Rechtsextremismus, Islamismus und Queer-Feindlichkeit.

Solch ein Regierungskurs braucht die Einbindung der Gewerkschaften. Dafür steht die überfällige Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro, die für die Betroffenen wichtig, aber nicht ausreichend ist. Das einzige soziale Zugeständnis wird belohnt. ver.di-Chef Frank Werneke macht sich den Kopf des Kapitals und fragt: Wer soll das bezahlen? Ohne steigende Rentenbeiträge könne es nicht gehen. „Wenn die Menschen vor der Wahl stehen, ob sie 30 Euro im Monat mehr in die Rentenkasse zahlen sollen oder ob sie am Ende eine Rente haben, von der sie nicht auskömmlich leben können, dann weiß ich, dass für sie moderat steigende Rentenbeiträge der bessere Weg sind“, so der Gewerkschaftschef. Hungern oder frieren? War da was?

Vieles erinnert an die Verbrechen der Schröder-Fischer-Regierung. Damals gelang es nicht, ausreichend gegen Krieg und „Hartz IV“ zu mobilisieren. Es ist höchste Zeit, jetzt Widerstand zu organisieren – vor allem gewerkschaftlichen. Dazu gehört es auch, Frank Werneke zu sagen, dass er nicht in unserem Namen gesprochen hat.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Hungern oder frieren?", UZ vom 22. Oktober 2021



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Auto.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit