Rosa und Karl im Emma-Theater Osnabrück

Hotel Eden – die Hölle

Von Benno Sorg

Am Ende des Stückes spürbare Beklemmung bei den Zuschauern. Rosa (Hannah Walther) rezitiert Döblins Beschreibung von der Ermordung Karl Liebknechts:

„Die feige Soldateska stößt den bereits Blutenden in ein Auto. Es geht in den Tiergarten. ‚Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben. Und daran ist der Liebknecht schuld, Liebknecht schuld, und daran ist der Liebknecht schuld. Herr, wir werden Sie wirklich schadensersatzpflichtig machen, wenn Sie sich nicht besser benehmen wollen. Wollen Sie nun wirklich aufhören, uns mit Ihrer dämlichen Jauche zu begießen?’ Und dann rissen sie Karl, der halb bewusstlos war, hoch und stießen ihn aus dem Wagen. Kann der Karl nicht laufen? Hilfe, ein Selbstmörder, ha, ha, ha. Die Schüsse krachten. Fahrt zur Unfallstation am Zoo. Wir sind die Samariter. Den haben wir unterwegs auf der Chaussee irgendwo gefunden. Ist der vielleicht noch zu retten? Leider keine Zeit. Mann ist in besten Händen. Denken, haben unsere Pflicht getan. ’n Abend.“

Und dann Karl über die Ermordung Rosas: „Man drückte ihr von unten den Kiefer zu. Sie konnte nur noch stöhnen. Sie dachte, man wird mich ins Gefängnis bringen, dann werde ich wegen Karl Alarm schlagen. Sie haben ihn misshandelt. Solche schändliche Mordbande, einen hilflosen Gefangenen zu schlagen. Draußen trifft sie auf Jäger Runge, dessen Brutalität ihr schon einmal im Gefängnis in Breslau aufgefallen war. Er sieht sie auf sich zukommen. Wo hab ich die Watschelente mit den weißen Haaren schon gesehen? Er hebt sein Gewehr beim Lauf und schwingt es hoch und lässt den Kolben wie einen Hammer auf ihren Schädel niederfahren. Sie speit ihm in sein tyrannisches Gesicht und schreit ihm ihre Abscheu entgegen. Da holt der Soldat schon zum zweiten wuchtigen Kolbenhieb aus. Sie packten die Leblose bei Schulter und beiden Beinen und warfen sie in den Wagen hinein, und auf der Liechtensteinbrücke: Das alte Vieh will zu den Fischen in die Schule gehen, raus aus dem Wagen mit dem Bündel. Plumps, da fällt sie, und ward nicht mehr gesehen, – ein Prosit, ein Prosit der Gemütlichkeit.“

Das Stück beginnt in der Halle des Hotels Eden, damals eigentlich Hauptquartier von Noskes Gardekavallerie-Schützendivision. Dort empfängt der Portier (Thomas Kienast) die vier Gäste. Liebknecht (Florian Kleine) wird ein behagliches Studierzimmer zugewiesen. Rosa geht ins Badezimmer. Die weiteren Gäste: Eine kämpfende Proletarierin (Elisabeth Rieß) und der im Krieg verkrüppelte Friedrich Becker (Mick Riesbeck). Das Eden ist aber nicht das Paradies, wie sich bald zeigt, sondern die Hölle, mit Satan als dem Portier. Fantasien, Gedanken, Alpträume, Halluzinationen. Aus Satan wird Hannes, Rosas Geliebter, als Feldarzt bereits gefallen. Tiefe Verzweiflung über dessen Tod, aber auch über die eigene Erfolglosigkeit, das Gemetzel noch aufhalten zu können. Sie war es doch, die noch im September 1913 den vielen tausend Demonstranten zugerufen hatte: „Wenn uns zugemutet wird, die Mordwaffen gegen unsere ausländischen Brüder zu erheben, so erklären wir, ‚Nein, das tun wir nicht.‘“ Aufruf zur Befehlsverweigerung. 14 Monate Gefängnis. Und danach als „Gefährderin“, nämlich zur Abwendung einer Gefahr für die Sicherheit des Reiches, noch einmal zweieinhalb Jahre Zuchthaus in Breslau. Rosa, die Einfühlsame, die Liebende, die kompromisslose Pazifistin.

Am Abend der Ermordung, noch im Hotel Eden, ist Liebknecht fasziniert von John Miltons „Paradise Lost“, der die Rolle von Gott und Satan anders sieht als in der Sonntagsschule: Satan, der gefallene Engel, der Widersacher Gottes, Widersacher aber deshalb, weil er den Menschen nicht mehr die naive Leichtlebigkeit im Garten Eden zumuten möchte, sondern eine selbstbestimmte Existenz auf der Basis der Erkenntnis. Der Krüppel Becker berichtet von grausamen Kriegsverwundungen. Er darf wieder Lehrer werden, wird als Überlebender geplagt von Schuldgefühlen den Toten gegenüber und wirft Sinnfragen auf: Wie konnte die Schlächterei des 1. Weltkrieges von einem Land ausgehen mit bedeutenden Philosophen und „humanistischen“ Schulen?

Der von schwersten Schicksalsschlägen heimgesuchte Döblin, eigentlich atheistisch denkend, hatte seine Romanfolge „November 1918“ und deren vierten Band „Karl und Rosa“ Ende der 1930er Jahre im Exil geschrieben, schon geprägt durch seine damalige Hinwendung zum Katholizismus. Dadurch verlieren aber die von ihm aufgeworfenen Lebensfragen nicht an Bedeutung. Es ist ein großes Verdienst der jungen Regisseurin Sophia Barthelmes, die über 700 Seiten des Romans in knapp anderthalb Stunden Theaterstück ohne Verlust wichtigen Sinngehalts untergebracht zu haben.

Resümee: Hervorragende Inszenierung, hervorragende schauspielerische Leistungen, hervorragendes Bühnenbild. Und besonders eindrucksvoll: Die vorangestellte Einführung in das Thema durch die Dramaturgin Marie Senf: In klaren Formulierungen benannte sie den damaligen Verrat der führenden Sozialdemokraten Ebert, Scheidemann, Noske in Kumpanei mit den Freikorps, den Wurzeln der späteren SA und SS. Allerdings: Spontanumfrage bei einigen Zuschauern nach der Vorstellung: Unverständnis, Verwirrung. Ohne Blick in die Hintergrundliteratur dürften viele Wendungen des Stückes einfach nicht zu verstehen gewesen sein.

„Rosa und Karl“ – ein neuer Theaterhöhepunkt unter dem scheidenden Intendanten Ralph Waldschmidt: Voran gingen großartige Inszenierungen von „Mutter Courage“, „Mackie Messer“ und „Der brave Soldat Schwejk“, – nicht als nur historische Stücke, sondern als Antwort auf die Fragen der Jetztzeit. In seine Amtszeit fiel auch der Auftritt des Osnabrücker Symphonieorchesters in Wolgograd zum 70. Jahrestag der Kriegswende.

Im Stück zu vermissen waren auch auf der Hand liegende lokale Bezüge. Die Namensgebung „Emma-Theater“ geht nicht auf einen Vornamen zurück, sondern auf das früher im Gebäude ansässige Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium (EMA), den Dichter von „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte …“, das waren stets gern gehörte Wort in militaristischen Kreisen und natürlich auch bei den Waffenproduzenten. Rosa hält im Roman dagegen, als ihr geliebter Hannes diesen Vers summte: „Du bist und bleibst ein Dummkopf, Hannes, gerade umgekehrt ist es. Mit Eisen macht man Knechte.“ Nicht weit vom Emma-Theater hatten vor einigen Jahren Burschenschaftler mit dem Grölen von Naziliedern und „Es schwimmt eine Leiche im Landwehrkanal …“ öffentliches Ärgernis erregt. In der weiteren Nachbarschaft war Erich Maria Remarque aufgewachsen, der in seinem Roman „Im Westen nichts Neues“ die Bilanz der Grausamkeiten des Krieges zog, für dessen Verhinderung sich Karl und Rosa so intensiv eingesetzt hatten. Im Gebäude des jetzigen Emma-Theaters war der später in Auschwitz ermordete Maler Felix Nussbaum zur Schule gegangen. Der hatte sich mit seinem Vater wegen dessen militaristischer Gesinnung überworfen. Philipp Nussbaum war mit dem Osnabrücker 78. Regiment auch in Ypern eingesetzt gewesen und damit vielleicht auch beteiligt an den ersten Giftgasangriffen von 1916. Im Rathaus der Stadt Osnabrück, nur wenige hundert Meter entfernt, führten Gesandte aus den kriegsbeteiligten Ländern die Verhandlungen zur Beendigung des 30-jährigen Krieges. Zwei Drittel der Bevölkerung hatten darin den Tod gefunden. In den Verhandlungen wurde erstmals Völkerrecht konstituiert: Das Prinzip der Gleichberechtigung der souveränen Staaten und das Gebot der Nichteinmischung. Errungenschaften, also die den 1. Weltkrieg hätten verhindern können.

Das alles auch noch in dieses Theaterstück zu packen: Unmöglich. Aber völlig daran vorbeizugehen: Schade.

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"Hotel Eden – die Hölle", UZ vom 1. März 2019



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