Über die Antisemitismus-Keule gegen Jeremy Corbyn

Hoffnungsträger verjagt

Die Labour-Führung hat ihren ehemaligen Vorsitzenden, Jeremy Corbyn, kaltgestellt. Corbyn galt vielen, die sich nach der neoliberalen „Blair-Wende“ die Rückkehr zu den reformistischen Zielen und Werten der Partei wünschten, als Hoffnungsträger. Diese Hoffnung wurde in das „Labour Manifesto 2019“ hineinformuliert. Sie dürfte nun gestorben sein.

Wie auch in anderen Hauptparteien des europäischen Reformismus kämpft das neoliberal pro-EU taktierende Partei-Establishment um den zweifelhaften nordirischen Ex-Staatsanwalt und neuen Parteivorsitzenden, Sir Keir Starmer, derartige Rückbesinnungstendenzen mit allen Haken und Ösen nieder. Eine Rückkehr zu reformistischen Zielen wird von den heutigen „sozialdemokratischen“ Parteiführungen in Großbritannien, wie auch in der EU, nicht zugelassen. „There is no Alternative“. Siehe Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht.

Begründet wurde die Suspendierung mit dem Vorwurf, Corbyn habe Antisemitismus in der Partei geduldet. Aus Corbyn einen Antisemiten machen zu wollen, ist absurder Unsinn. Aber nicht nur das. Es zeigt, wie weit die gesellschaftliche Exterminierung vor allem Linker und Kommunisten mit dem längst zu einer universellen Pro-Zionismus-Keule mutierten Antisemitismusvorwurf getrieben werden kann. Wer nicht jede rassistische und menschenverachtende Aktion der Regierung des Apartheidstaates Israel bejubelt, wird als Antisemit nicht nur ins Abseits gestellt, sondern regelrecht verfolgt und bedroht. Corbyns Versagen, wenn es denn ein solches gibt, liegt darin, sich diesen Vorwürfen nicht energisch und entschlossen entgegengestellt zu haben.

Es ist an Zynismus nicht zu überbieten und geradezu paradigmatisch für die politische Verkommenheit des heutigen bürgerlichen Politikbetriebs, dass ausgerechnet jene, die seit Jahrzehnten einen rassistischen Unterdrückungsstaat mit zwei Großghettos betreiben, in denen die eingepferchten Menschen regelmäßig niedergebombt und niedergeschossen werden, zu moralischen Gralshütern und Leitfiguren des „Westens“ stilisiert werden. Eines „Westens“, der selbst ganze Weltregionen in Schutt und Asche gelegt und Millionen Tote auf dem nicht vorhandenen Gewissen hat.

Da ist es irgendwie schon folgerichtig, dass die heutige Labour-Führung, ganz in der Tradition des unsäglichen „Irak-Kriegshelden“ Tony Blair, ihren letzten relevanten Linken, Jeremy Corbyn, mit der Antisemitismus-Keule aus der Partei prügelt.

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"Hoffnungsträger verjagt", UZ vom 6. November 2020



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