Über Wahlverhalten

Hoffnungsträger Scholz?

Wahlergebnisse sind immer auch ein Stimmungsbarometer. Aus dem Wahlverhalten und den gesetzten Prioritäten lassen sich Rückschlüsse ziehen. Olaf Scholz und die SPD setzten im Wahlkampf auf soziale Themen wie den Mindestlohn, die Abschaffung von Hartz IV oder die Stabilität der Renten. Dass die SPD gemeinsam mit den Grünen für den Niedriglohnsektor in Deutschland, für Altersarmut oder die Knechtung von Arbeitslosen durch die sogenannten „Hartz-Reformen“ maßgeblich beigetragen hat, ist im kollektiven Gedächtnis nicht präsent. Es war aber die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder (1998 bis 2005), die diese Verschlechterungen durchgesetzt haben. Olaf Scholz gehörte damals zu den Hauptakteuren.

Ein Gradmesser für die Stimmung ist auch immer das Wahlverhalten der Gewerkschaftsmitglieder als organisiertem Teil der Arbeiterbewegung. Im Durchschnitt der Gesamtbevölkerung haben 25,7 Prozent die SPD gewählt, unter Gewerkschaftsmitgliedern waren es 32,1 Prozent. Die weiteren Stimmen von Gewerkschaftsmitgliedern verteilen sich und liegen unter dem Bundesdurchschnitt: Das Ergebnis der CDU liegt mit 18,6 Prozent deutlich niedriger (zu 24,1 Prozent). Die Grünen liegen leicht niedriger (13,0 zu 14,8 Prozent), bei der FDP ist der Unterschied etwas deutlicher (9,0 zu 11,5 Prozent). Über dem Bundesdurchschnitt liegt die Partei „Die Linke“ mit 6,6 zu 4,9 Prozent und die AfD mit 12,2 zu 10,3 Prozent – beide Parteien haben jedoch im Vergleich zur letzten Wahl deutlich verloren.

Die Zustimmung von Gewerkschaftsmitgliedern für die SPD relativiert sich, wenn man berücksichtigt, dass diese bis zur Jahrtausendwende bei über 50 Prozent lag. Die Zeiten von großen vermeintlichen „Volksparteien“ sind vorbei. Der Partei „Die Linke“ ist es im Laufe der Jahre zwar gelungen, eine gewisse Verankerung in den DGB-Gewerkschaften zu erlangen, sie hat es jedoch verpasst, ihr eigenes Profil als sozialistische Partei zu entwickeln, die sich insbesondere der sozialen Frage annimmt.

Im Gegenteil: Im Zuge ihrer Anpassung als Regierungspartei in verschiedenen Bundesländern wurde sie blasser, kaum unterscheidbar von der SPD. Daher ist die massive Wählerwanderung zur SPD nicht verwunderlich. Eine Wahlanalyse der Forschungsgruppe Wahlen bestätigt, dass der SPD mit Abstand die meiste Kompetenz in Sachen soziale Gerechtigkeit zugetraut wird, wie auch bei der Alterssicherung.

Die Analyse lässt zudem zwei weitere Trends erkennen: Die größte Zustimmung erhält die SPD bei den Arbeitern und mit Abstand zu allen anderen bei Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss. Je höher der Bildungsabschluss, desto größer ist die Zustimmung für die Grünen. Grüne und FDP haben zudem vor den anderen Parteien die größten Stimmenanteile in der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen, mit den Kernkompetenzen Klima und Wirtschaft/Steuern.

Olaf Scholz ist nun Favorit für das Amt des Bundeskanzlers, doch kann er auch für soziale Reformen stehen? Die von der SPD vorgeschlagenen Maßnahmen sind keine Abkehr von ihrer früheren Politik, eher Reförmchen. Gepaart mit zwei Koalitionsparteien an der Seite, deren Wirtschaftspolitik deutlich neoliberaler und unsozialer anzusiedeln ist, lässt sich eine Kompromissbereitschaft der SPD erahnen, die von den minimalen Vorhaben zu Veränderungen real nichts mehr übrig lassen dürfte. Die SPD hat in der Pandemiezeit zudem betont, dass sie für die Einhaltung der „Schuldenbremse“ steht. Damit ist klar: Sozialer Fortschritt und die Verhinderung der Abwälzung von Krisenlasten auf die Werktätigen wird nicht ohne eine soziale Bewegung erreicht werden. Die Hoffnung der Gewerkschaften darf nicht auf Scholz beruhen, sondern muss sich auf die eigene Durchsetzungskraft stützen.

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"Hoffnungsträger Scholz?", UZ vom 8. Oktober 2021



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